Samstag 05.02.22, 12:45 Uhr
Redebeitrag auf der Kundgebung „Solidarisch durch die Pandemie – Demokratie stärken!“ am 4.2.2022 in Bochum

Tim Ackermann, DGB Bildungswerk-NRW


Liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Damen und Herren,

Tim Ackermann, DGB Bildungswerk-NRW

vergangene Woche, am Donnerstag den 27. Januar jährte sich die Befreiung des Lagers Auschwitz zum 77. Mal. Auschwitz ist das Synonym für den industriell organisierten Massenmord an Juden und Jüdinnen, das Sinnbild für die Shoah. Wie in vielen anderen Städten gab es auch in Bochum eine Kundgebung, um daran zu erinnern und den Opfern des antisemitischen Wahns zu gedenken. Auch aus Bochum und Wattenscheid wurden in der Zeit des Nationalsozialismus an die 700 Frauen und Männer jüdischen Glaubens deportiert und in den Vernichtungslagern Sobibor, Majdanek und Auschwitz ermordet. In gewisser Weise wird auch bei den sogenannten Querdenkern an den Nationalsozialismus und den – glücklicherweise gescheiterten – Versuch der Vernichtung der europäischen Jüdinnen und Juden erinnert. Aber eben in einer völlig verqueren, völlig falschen und sehr gefährlichen Art und Weise. Eben antisemitisch.

So stilisieren sich Personen aus dem „Querdenken“-Milieu als die „Juden von heute“. Oder vergleichen die Situation von Ungeimpften im heutigen Deutschland mit der Verfolgung der Jüdinnen und Juden im Nationalsozialismus, der Shoah. Oder sie tragen in Anlehnung an den Judenstern – das von den Nazis eingeführte Zwangskennzeichen für Jüdinnen und Juden – Gelbe Sterne oder Gelbe Armbinden mit der Aufschrift „Ungeimpft“.

Letzteres konnte am vergangenen Samstag bei der Demonstration von Querdenken auch in Bochum beobachtet werden. Das sind Gleichsetzungen bei der die Vernichtung von sechs Millionen Jüdinnen und Juden in Zeiten des Nationalsozialismus und die Maßnahmen der Bundesregierung zur Pandemiebekämpfung als dasselbe dargestellt werden. Das sind alles Verharmlosungen, Relativierungen der Shoah. Antisemitismus.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Damen und Herren,

Wer mit Nazis demonstrieren geht und einen Stern trägt, betreibt eine perfide, eine widerliche Verhöhnung der Opfer des Nationalsozialismus. Und wir reden hier nicht nur über extreme Rechte, über Nazis. Wir reden auch von Leuten von denen man mal dachte, sie seien ganz „normal“.

Und in gewisser Weise ist Antisemitismus in Deutschland heutzutage leider auch ganz normal: So stellt die von der Friedrich-Ebert-Stiftung herausgegebene „Mitte-Studie“ aus dem letzten Jahr fest, dass 13 Prozent einen eindeutigen israelbezogenen Antisemitismus äußern, 30 Prozent stimmen in Teilen zu.

Sie stellt fest, dass die Aussage „Auch heute noch ist der Einfluss der Juden zu groß“ von jeder fünften Person nicht klar abgelehnt wird. Und sie stellt fest, dass jeder Fünfte daran glaubt, dass Politiker nur Marionetten dahinterstehender Mächte seien.

Na welcher Mächte denn wohl?

Antisemitismus ist eine Ideologie der Welterklärung. Alles abstrakte und unverstandene wird über Verschwörungstheorien personalisiert und kann so scheinbar verstanden werden. Und diese Verschwörungstheorien landen – mal mehr mal weniger verklausuliert und codiert – mit traumwandlerischer Sicherheit bei der alten antisemitischen Vorstellung einer „jüdischen Weltverschwörung“.

Und in Zeiten wie heute haben Verschwörungstheorien Konjunktur. Auch das kann im Milieu der Querdenkenden massenhaft beobachtet werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Damen und Herren,

Wir haben in Deutschland noch immer ein Problem mit antisemitischem Gedankengut. Und in den Chatgruppen, auf den Demonstrationen der Querdenkenden werden antisemitische Welterklärungstheorien und antisemitische Relativierungen der Shoah verbreitet und in diesen Milieus salonfähig gemacht. Das ist schlicht eine Enttabuisierung und Normalisierung von Antisemitismus. Und dementsprechend sehr gefährlich.

Demokratische Verhältnisse sind in Deutschland alles andere als Selbstverständlich. Sie wurden mit und nach der Novemberrevolution 1918 von der Arbeiter*innenbewegung erkämpft und schon 1933 wieder an die Nationalsoziallisten verloren.

Es ist in dieser Republik mit Sicherheit nicht alles perfekt und auch an der Pandemiebekämpfung lässt sich sehr vieles vollkommen zu Recht kritisieren. Aber die deutsche Geschichte erinnert uns daran, wohin rechte und antisemitische Hetze, wohin die Verachtung demokratischer und solidarischer Werte führt.

Demokratische und solidarische Verhältnisse sind die Basis guter Lebensverhältnisse, sie sind die Basis individueller Freiheit. Und sie sind die Basis für demokratische und solidarische Kämpfe für ein besseres Leben und eine weitere Demokratisierung von Wirtschaft und Gesellschaft.

In diesem Sinne: Wehret den Anfängen!

Vielen Dank für Eure und Ihre Aufmerksamkeit.