Sonntag 30.01.22, 22:05 Uhr

Die Blockade der Patentfreigabe aufgeben


Die F:Antifa Bochum hat mit ihrem Redebeitrag auf der gestrigen Gegenkundgebung zur Demonstration der Corona-Leugner*innen zur internationalen Solidarität aufgerufen: »Liebe solidarische Menschen, kotzt es Euch auch so unendlich an, dass derzeit scheinbar jeder Diskurs von den sog. „Querdenker*innen und Co“ bestimmt wird, dass diese Gruppe Begriffe wie Freiheit, Demokratie und auch Faschismus umdeutet? Empfindet auch ihr teilweise Hilflosigkeit und ohnmächtige Wut in Anbetracht dessen? Schon die Analyse der Menschen, die unter „Querdenken“ demonstrieren, ist schwierig. Das übliche Links-Rechts Schema greift nicht, auch wenn immer wieder klar belegt werden kann, dass Mitglieder der AFD, der Partei „Die Rechte“ und anderer Neonazi Parteien wie der „III.Weg“ etc. nicht nur mit marschieren, sondern auch in Organisation, Anmeldung und Mobilisation der Aufmärsche involviert sind. Das neurechte „Institut für Staatspolitik“ ruft offen dazu auf, sich an den „Querdenken und Co“-Protesten zu beteiligen, in der Hoffnung durch Destabilisierung der bestehenden Verhältnisse, ihre autoritäre und faschistische Vorstellung von Gesellschaft zu implementieren. Ob dies allen „bürgerlichen“ Teilnehmer*innen der „Querdenken-Proteste“ bewusst ist?

Irritiert betrachten wir die Mischung aus Reichskriegsflagge schwenkenden Rechtsextremen, Antisemit*innen, Holocaustverharmloser*innen, staatskritischen Linken, Hippies, Esoteriker*innen und scheinbar friedensbewegten Menschen, die das Grundrecht hochhalten und damit versuchen unsolidarisches Verhalten zu rechtfertigen.

Doch ist die „Querdenken“-Bewegung so heterogen wie es scheint?

Wie der Journalist Marek Winter in der Jungle World treffend schrieb: „Das in der Bewegung kulturell disparate Strömungen zusammenfinden wird verständlich, wenn man sie als politische Reaktion auf die immer vielfältigeren Krisen kapitalistischer Vergesellschaftung fasst und auf das Scheitern der demokratischen, bürgerlichen Nationalstaaten an deren Bewältigung. Die Bewegung sucht persönlich Schuldige statt Warenproduktion, Konkurrenz und Ausbeutung anzugreifen.“ Diese Suche nach einfachen Antworten auf komplexe Probleme und plakative Schuldzuweisungen eint die Menschen in dieser Bewegung. Dieser regressive Antikapitalismus der Querdenkenbewegung und seine Entstehung auch im Milieu von Anthroposophie und Esoterik wurde lange nicht ernst genommen, eine analytische Auseinandersetzung unterblieb.

Kapitalismuskritik ist nicht automatisch fortschrittlich. Es geht in der regressiven Kapitalismuskritik nicht um die Bewahrung der Errungenschaften der Aufklärung und der Demokratie, sondern darum, ein vormodernes autoritäres Gesellschaftsideal zu etablieren. Dies ist per se fortschritts- und wissenschaftsfeindlich und bietet in der undifferenzierten Kritik am „raffenden Kapital“ und „der Elite“ eine offene Flanke zum Antisemitismus.

Hier gilt es künftig fortschrittlich linke Positionen gegen kapitalistische Ausbeutung voranzubringen und postkapitalistische Lebensmodelle zu erarbeiten und der unsolidarischen „Querdenken-Bewegung“ entgegenzustellen.

Die Coronakrise wirkt wie ein Brennglas auf Ungleichheiten und kapitalistische Ausbeutung, aber sie ist auch ein Vorgeschmack auf künftige Krisen und deren politischer und gesellschaftlicher Umgang hiermit.

Der Zugang zu Impfungen und medizinischer Versorgung ist das beste Beispiel: Während wir hierzulande bereits boostern, haben weite Teile der Menschen im globalen Süden keinen Zugang zur Coronaimpfung. Während die Mehrheit der G20 Staaten für die Aussetzung des Patentrechtes ist, wird dies weiterhin von der EU – hier v.a. Deutschland – und Großbritannien blockiert. Die 3 .Impfung wird von vielen Menschen in Deutschland als Zumutung empfunden, tatsächlich ist dies jedoch ein unglaubliches Privileg. Während hierzulande die medizinische Grundversorgung aufrecht erhalten wird – und dies mit z.T. nicht unerheblichem Kraftaufwand der im Gesundheitssystem arbeitenden Menschen – brechen andernorts medizinische Grundversorgung wie z.B. auch Impfprogramme gegen Tuberkulose und Masern weg, was auch einen Anstieg der potentiell tödlichen Krankheiten bedeutet. Infektionskrankheiten waren auch schon vor Corona weltweit gesehen eine der Haupttodesursachen und eine wesentliche Ursache für Kindersterblichkeit. Ob eine Infektion adäquat behandelt wird, entscheidet in vielen Ländern der Welt der Geldbeutel

Eine Kritik an dieses Zuständen kann nicht bedeuten, sich nicht impfen zu lassen oder gar impfende Ärzt*innen und Impfzentren zu bedrohen. Hier muss internationale Solidarität eingefordert werden. Wir fordern die EU und die „neue“ deutsche Regierung auf, die Blockade gegen die Patentfreigabe aufzugeben. Impfstoff muss an allen Produktionsstätten frei und in großer Menge hergestellt und allen Menschen zum Selbstkostenpreis zur Verfügung gestellt werden. Die Pandemie kann nicht enden, wenn ein großer Teil der Weltbevölkerung keinen Zugang zur Impfung hat. Infektionskrankheiten generell können nicht beherrscht werden, wenn viele Menschen dieser Welt keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser, ausreichender Nahrung und medizinischer Grundversorgung hat.

Wie der WHO Generaldirektor Tedros Ghebreyesus im April 2021 bereits sagte, stehen die Staats- und Regierungschefs der Welt vor der Wahl „Entweder sie investieren in die Rettung von Leben, indem sie die Ursache der Pandemie überall und jetzt behandeln, oder sie geben weiterhin Billionen für die Folgen aus, ohne dass ein Ende in Sicht ist.»

Grund- und Menschenrechte und hiermit auch das Recht auf Gesundheit und Leben gelten nicht nur für eine lautstarke Minderheit, sie gelten auch weltweit für pflegebedürftige Menschen, chronisch Kranke aber auch für geflüchtete Menschen, die an den EU Außengrenzen im Stich gelassen werden.

Wo waren die Querdenker*innnen, die heute lautstark behaupten, sie würden sich für die Kinder einsetzen, als im Mittelmeer Kinder ertranken. In den sozialen Netzwerken wird sich genau mit denen solidarisiert, die dämliche und menschenverachtende „Lachsmileys“ unter Bilder ertrunkener Kinder wie damals den kleinen Alan Kurdi und ihre trauernden Eltern posteten. Die vermeintliche Sorge um Kinder soll nur den dahinter stehenden Egoismus kaschieren.

Freiheit bedeutet nicht die persönliche Freiheit des einzelnen Menschen, sondern die Freiheit und Befreiung aller Menschen. Auch ein befreiter Mensch muss in der Lage sein, persönliche Bedürfnisse dem Wohlergehen aller unterzuordnen.

Demokratie bedeutet nicht, die eigene Meinung mit Lügen und Verschwörungstheorien kritiklos durchzusetzen, sondern einen immerwährenden Diskurs mit allen Menschen auf Augenhöhe.

Journalist*innen zu bedrohen und anzugreifen ist das Gegenteil von Demokratie und Meinungsfreiheit.

Solidarität bedeutet, dass wir gemeinsam durch die Krise gehen und niemanden zurücklassen – in Deutschland und weltweit, jetzt in der Coronakrise und auch künftig bei der Bekämpfung weiterer Krisen insbesondere der Existenz-bedrohenden Klimakrise.

Das teilweise desaströse Management der Coronakrise macht nicht viel Zuversicht, was die Bekämpfung künftiger größerer Krisen bedeutet.

Umso wichtiger ist es, dass wir als Linke geschlossen und solidarisch progressive Perspektiven und Lebensmodelle zur Bewältigung der Krisen und ihrer kapitalistischen Ursachen entwickeln, statt uns von der Querdenken Bewegung treiben zu lassen – das haben die nicht verdient!

Für eine internationale Solidarität – nicht nur in der Coronakrise! Leave no one Behind!«