Donnerstag 18.11.21, 11:05 Uhr

Fragen zum ‚Haus des Wissens‘


In der Realisierung des ‚Haus des Wissens‘ sieht das ‚Netzwerk Stadt für alle‘ eine große Chance für die Neubelebung der Bochumer Innenstadt und schreibt: »Das ‚Haus des Wissens‘ kann mit der Zusammenarbeit der Institutionen VHS, Stadtbücherei und UniverCity ein Lern- und Begegnungsort werden, der einen öffentlichen Raum nicht nur für Bildung und Kreativität, sondern auch für demokratische Teilhabe bereitstellt. Das ‚Haus des Wissens‘ kann im besten Sinne ein ‚Dritter Ort‘ werden.

„Dritte Orte sind offene Orte für alle. Sie sind weder das Zuhause noch der Arbeitsort und laden zum Verweilen ein. Sie sind in ihren Nutzungsmöglichkeiten offen, bieten Raum für Kommunikation und Unvorhergesehenes. Jenseits traditioneller Dritter Orte wie etwa Bibliotheken, Kneipen oder der Dorfbäckerei, stellen viele soziokulturelle Projekte […] eine neue Kategorie dieser Dritten Orte dar. Das Selbstgemachte und der persönliche Einsatz Vieler wirken einladend und niedrigschwellig. Sie ermöglichen das Zusammenkommen von Menschen unterschiedlichen Alters und sozialer Milieus – unabhängig von gesellschaftlichen Rollen oder Status. Als Orte des ungeplanten Miteinanders und Nebeneinanders spielen Dritte Orte somit für eine demokratische Gesellschaft eine bedeutende Rolle. Dritte Orte sollten im Sinne des Gemeinwohls frei von Verwertungsinteressen und Konsumzwang entstehen.“
(Glossar zur gemeinwohlorientierten Stadtentwicklung, Hrsg.: Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung).

Der Soziologe Ray Oldenburg, der den Begriff ‚Dritter Ort‘ entwickelt hat, definiert ihn wie folgt:

  1. „On Neutral Ground“ – Neutraler Boden
  2. „The Third Place is a Leveler“ – Am dritten Ort sind alle gleich
  3. „Conversation is the main Activity“ – Konversation ist die Hauptaktivität
  4. „Accessibility an Accommodation“ – Zugänglichkeit und Unterbringung
  5. „The Regulars“ – Stammgäste
  6. „A low Profile“ – schlicht und zurückhaltend
  7. „The Mood is Playful“ – Die Stimmung ist spielerisch
  8. „A Home Away from Home“ – Wie ein zweites Zuhause

Offen und vielfältig – Ein Ort für Alle?

Ob das ‚Haus des Wissens‘ in diesem Sinne ein ‚Dritter Ort‘ wird, ist offen. Das bisher sichtbare bauliche Konzept verspricht einladende Offenheit und funktionelle Vielfalt. Wir denken, dass dieser entstehende Möglichkeitsraum ein ebenso auf Offenheit und Vielfalt fokussiertes inhaltliches Konzept benötigt. Das ‚Haus des Wissens‘ darf kein „Kulturpalast“ werden, der neue Ausschlüsse produziert, weil sich die Menschen dort nicht hineintrauen oder von den Angeboten nicht angesprochen werden. Barrierefreiheit bedeutet hier nicht nur die Abwesenheit von baulichen Handikaps sondern eine Einladung aller sozialen und kulturellen Milieus. Wie kann ein inhaltliches Nutzungskonzept aussehen, das insbesondere die breite soziale und kulturelle Diversität integriert, die in der Bochumer Stadtgesellschaft vorhanden ist? Ein Konzept, das eine Antwort auf die Herausforderungen einer solchen explizit inklusiven Nutzung gibt, ist bisher noch nicht öffentlich sichtbar.

Eine Markthalle im Begegnungsort?

Im Inneren des ‚Haus des Wissens‘ ist eine privatwirtschaftlich betriebene Markthalle vorgesehen. Das architektonische Konzept zielt auf eine räumliche Durchdringung von Markthalle und ‚Haus des Wissens‘. Die unterschiedlichen Nutzungsbereiche sollen ineinander übergehen. Diese Nutzungsmischung wird in den Darstellungen des Projekts ‚Haus des Wissens‘ als Alleinstellungsmerkmal besonders hervorgehoben.

Der Raum der Markthalle soll auch für Programme der Institutionen VHS, Stadtbücherei und UniverCity nutzbar sein. Ist in der beabsichtigten Doppelfunktion der Markthalle als „Einkaufs- und Genussort“ und „gesellschaftlicher Begegnungsort“ nicht ein Konflikt zwischen der kommerziellen und nicht-kommerzieller Nutzung des ‚Haus des Wissens‘ angelegt? Im bisherigen Entwurf des Betriebskonzeptes der Markthalle ist ein „professionelles überregionales Zielgruppen-Marketing“ angedacht, um Kaufkraft aus anderen Städten anzulocken – zum Beispiel Tagestouristen, die die Markthalle als „Erlebnisort“ besuchen sollen. Zugleich sollen die Nutzerinnen von VHS, Stadtbücherei und UniverCity zu potenziellen Kundinnen der Markthalle werden. Spricht aus dieser Art von gewünschten Synergieeffekten nicht eher ein instrumentelles Verhältnis zu den Nutzer*innen des ‚Haus des Wissens‘? Wir fragen uns, ob es wirklich eine gute Idee ist, Markthalle und ‚Haus des Wissens‘ auf diese enge Weise miteinander zu verschränken.

Zentral und dezentral?

Rund 90 Millionen Euro wird der Umbau des Telekom-Blocks zum ‚Haus des Wissens‘ kosten. Betrieb, Verwaltung und Programm werden dauerhaft Mittel binden. Wir begrüßen diese gewaltige Investition in die kulturelle Infrastruktur der Stadt Bochum. Jedoch darf die Entstehung dieses zentralen Ortes nicht dazu führen, dezentrale Bildungs- und Teilhabeangebote in den Stadtteilen, wie zum Beispiel Stadtteilbibliotheken, zu vernachlässigen, die insbesondere von immobilen Stadtbewohner*innen genutzt werden. Würde das ‚Haus des Wissens‘ zukünftig einen Großteil der Ressourcen an sich ziehen, wäre ein gesamtstädtischer Bildungsauftrag damit gescheitert.

Partizipation?

In der Kommunikation der Stadt zum ‚Haus des Wissens‘ ist viel von neuen Ideen, Digitalisierung und Zukunftsorientierung die Rede. Auf die Beteiligung der Bochumer Stadtgesellschaft am Planungsprozess trifft das nicht zu. Hier bleibt das Projekt bisher konventionell und ideenlos. Wir finden, die Präsentation von Architekturentwürfen und ein Namenswettbewerb sind keine Beteiligungsformate, die darauf abzielen, die Stadtbewohnerinnen in den Konzeptionsprozess tatsächlich einzubeziehen. Eine umfassende qualitative Nutzerinnenbefragung hat es nach unserem Kenntnisstand nicht gegeben. Öffentliche Workshops, in denen zum Beispiel mit der Methode der Wunschproduktion Ideen entwickelt werden, die in den Planungsprozess einfließen, sind bei vergleichbaren Projekten erprobte Formate. Bürgerräte, die bei Großprojekten wie das ‚Haus des Wissens‘ konsultiert werden, sind in anderen Städten längst institutionalisiert. Warum gibt es das alles nicht in Bochum?

Auch für den späteren Betrieb des ‚Haus des Wissens‘ wären Beteiligungsformen mehr als wünschenswert. Wie setzt sich die angedachte Programmdirektion zusammen? Wie werden die Partnerinnen der beteiligten Institutionen einbezogen? Gibt es zum Beispiel eine Art Nutzerinnenbeirat?

Wenn das ‚Haus des Wissens‘ ein Ort für Alle werden soll, halten wir Beteiligungsformen, die mehr sind als Informationsveranstaltungen, für notwendig. Ein ‚Dritter Ort‘ sollte schon im Prozess seines Entstehens die Kriterien seiner zukünftigen Nutzung im Sinne einer demokratischen Teilhabe erfüllen. Wir möchten das ‚Haus des Wissens‘ mitgestalten und sind bereit, uns mit Ideen und Engagement einzubringen.«