Sonntag 31.10.21, 20:44 Uhr

Einen Kopf kürzer … oder linksradikale Tradition in Bochum


von Heiko Koch
Dem „Ehrenmal den Kopf abgesägt“ meldete vor 34 Jahren der Bochumer Lokalteil der WAZ am 31.10.1987. Bezug genommen wurde in dem Artikel auf eine Aktion, die frühmorgens am 29. Oktober am Kriegerdenkmal an der Alten Bahnhofstraße/Ecke Unterstraße in Bochum-Langendreer stattgefunden hatte. Unbekannte hatten den Kopf des dortigen Steinsoldaten abgesägt und der Lokalredaktion ein Bekennerschreiben zukommen lassen. In diesem Bekennerschreiben hieß es:

Seit Donnerstagfrüh ist ein weiteres Denkmal in Bochum zerstört, das Krieg, Unterdrückung und Faschismus symbolisiert. Das Objekt unsrer Aktion, das Krieger-Denkmal an der Unterstraße in Langendreer, hofft in seiner Inschrift auf ein Verstehen späterer Generationen für die historische Notwendigkeit von Krieg und Faschismus.

Unsere Aktion soll nicht dazu beitragen, Bochums Stadtbild von Nazi-Kultstätten zu reinigen. Asylgesetze, Ausländerhass, Zimmermanns Mitfoltern in Chile sind nur einige Ausdrucksformen dieses Staates, der so seine Verwandtschaft zum letzten deutschen Reich und so auch zu seinen Monumenten bekundet.
Der Kopf des zerstörten Denkmals befindet sich in unserem Gewahrsam. Zu gegebener Zeit werden wir ihn den Verantwortlichen in entsprechender Form zurücksenden.“

Zum Zurücksenden des Kopfes an die Verantwortlichen ist es nie gekommen, wie man einem amüsanten Film der Bochumschau „Der Kopf des Soldaten“ entnehmen kann. Auch, dass nach einer zweiten Enthauptung des Denkmals im Jahr 2010 Dieter Maiweg von dem Ehrenmal-Verein nicht daran denkt, einen neuen Kopf dem Denkmal aufzusetzen:

https://www.bochumschau.de/kriegerdenkmal-soldaten-kopf-bochum-langendreer-2019.htm

Aber zu einer immer wieder aufflackernden Auseinandersetzung rund um das enthauptete Kriegerdenkmal kam es in den letzten Jahrzehnten. Mit dazu beigetragen hat der Film „Der Überzahl erlegen, im Geiste unbesiegt.“ der Videogruppe Klack Zwo B aus dem Jahr 1994, der nicht nur die steinerne Enthauptung des Langendreer Denkmal, sondern auch den Sturz des Kriegerdenkmal am Stadtpark dokumentierte. In der Ankündigung des 20 minütigen Films heißt es: „In diesem Film kommen jene zu Wort, die mit den Denkmälern zu tun hatten: der Kyffhäuserbund, der Parkgärtner, der Stadtarchivar, die Täter.“

Siebzehn Jahre später setzte der Ehrenmal-Verein aus Langendreer dem steinernen Torso am 15. März 2004 für viel Geld einen neuen Steinschädel auf. Nicht ohne diesen noch einmal mit einem Scharnier fester zu verankern, um eine zweite Enthauptung zu verhindern. Eine zum Nachdenken anregende Tafel aus den 80er Jahren wurde dabei entfernt und das Ehrenmal wie einst 1929 seinem revanchistischen Symbolcharakter zurückgegeben.

In den Jahren 2009 und 2010 entbrannte erneut ein Streit um das Denkmal. Denn nicht nur der Ehrenmal-Verein und der örtliche Kyfhäuserbund nutzten das Denkmal zum Gedenken. Auch die NPD hatte es für ihre Zwecke entdeckt, setzte sich dort mit Veranstaltungen in Szene und belebte so die politische Diskussion. Politische Kommentierung mit Spraydosen einerseits und Putzen des Denkmals andererseits reichten sich die Hand, bis ein zweites Mal der Steinkopf vom Rumpf entfernt wurde. Dies war kurz vor dem Volkstrauertag im Jahr 2010.

Seit dem steht der steinerne Soldat wieder kopflos an der Kreuzung in Langendreer und dient allerlei politischer Kommentierung und unpolitischen Schabernacks.

Generell kann man sagen, dass diese zwei historisch-kritischen Initiativen in den 80er Jahre am Stadtpark und in Langendreer zur Auseinandersetzung um die verherrlichenden Relikte von Faschismus und Krieg ausgesprochen anregend und produktiv waren. Sie sollten nicht in Vergessenheit geraten.

(Oktober 2021, Heiko Koch)

Eine inhaltlich Auseinandersetzung um das Soldatendenkmal bietet ein öffentlicher Brief einer Bochumer Antifa-Gruppe aus dem Jahr 2011, der hier angehängt wird. Sowie eine Liste von Links zu älteren Artikel. Ich bin mir sicher, dass rund um das Denkmal noch viele andere Aktionen stattgefunden haben, die bis heute unbekannt sind. Vielleicht kann ja der ein und die andere die Liste der Aktionen erweitern.


Dieser Text ist Teil einer Dokumentation zu dem Thema und kann hier runtergeladen werden.
https://www.bo-alternativ.de/aktuell/wp-content/uploads/2021/11/Einen-Kopf-k%C3%BCrzer-%E2%80%A6-oder-linksradikale-Tradition-in-Bochum.pdf