Dienstag 12.10.21, 13:35 Uhr
Horst Hohmeier, Vorsitzender der Linksfraktion im Bochumer Rat auf der Kundgebung "Freiheit für Mahmut Günes!" am 11.10. 2021 :

Wir machen Druck! Diesen politischen Druck erwarten wir auch von der Bundesregierung und der EU


Ich war im März 2017, als Mitglied einer Delegation zum Schutz der Newroz Feiern der kurdischen Bevölkerung vor Repressionen, im Nordosten der Türkei, oder wie ich hier sagen darf, in Kurdistan. Die Lage vor Ort war geprägt von patrouillierenden Militär- und Polizeifahrzeugen, Wasserwerfern und der Präsens von Geheimpolizei und Beamten in Zivil, überall vor öffentlichen Gebäuden und den Parteibüros der HDP und anderer Oppositionsparteien.

Zur Erinnerung: Nach dem von den Geheimdiensten und der Staatsführung der Türkei geduldeten Putschversuch und dessen sofortiger Niederschlagung wurden vorbereitete Listen mit tausenden von Namen unbequemer, oppositioneller und anders denkender Politiker:innen, Richter:innen, Staatsanwält:innen, Anwalt:innen und Verwaltungsmitarbeiter:innen aus den Schubladen geholt und diese verhaftet oder aus ihren Ämter verjagt.

Es wurden in kürzester Zeit Lager für politische Gefangene eingerichtet, Gefängnisse gebaut oder erweitert. Straftäter wurden amnestiert und entlassen, um Platz in den Gefängnissen zu schaffen.

Spätestens jetzt wäre eine entschiedene Reaktion der Bundesregierung fällig gewesen!

Die Justiz ist seit dem Putschversuch durch die Absetzung zahlreicher Richter:innen und Staatsanwält:innen gefügig gemacht worden. Der Hohe Rat der Richter und Staatsanwälte kündigte unmittelbar nach dem Putschversuch an, im Land 2745 Richter zu entlassen.

Mittlerweile wurden in verschiedenen Etappen weitere Richter entlassen, im Mai 2017 waren es bereits 4238 Richter und Staatsanwälte. Damit waren fast 1/3 der ursprünglich 14.000 Richter und Staatsanwälte entlassen Ersetzt wurden diese bisher nur zum Teil und nur durch regierungstreue Richter:innen und Staatsanwält:innen. Wer nicht abgesetzt wurde, muss dies befürchten, wenn die Entscheidungen nicht dem Interesse des Staates entsprechen.

Die Repressions- und Verhaftungswelle der Nutzer:innen sozialer Medien startete bereits 2015 kurz nach dem Scheitern des Friedensprozesses und der Friedensverhandlungen mit der PKK.

Bereits 2011 hatten türkische Behörden unterschiedliche „Hacker-Tools und -Dienstleistungen“ bei Firmen wie Hacking Team gekauft und sie eingesetzt, um die Online-Aktivitäten türkischer Staatsbürger:innen zu überwachen

Alle Aussagen, die in der Kurdenfrage der Regierung widersprachen, wurden als „terroristische Propaganda“ abgestempelt. Zur Zielscheibe wurden Alle, von bekannten Journalist:innen bis hin zu nicht weiter bekannten Personen.

Genau dies passierte unserem Bochumer Mahmut Günes: Politisch kritische Tweeds bzw. zumeist Retweeds von kurdischen Journalist:innen, die außerhalb der Türkei leben, werden ihm als Propaganda für eine Terrororganisation vorgehalten, ein Vorwurf, der in der Türkei eine mehrjährige Haft nach sich ziehen kann.

Vor diesem Hintergrund könnte man erwarten, dass die Bundesregierung mindestens die gleichen Maßstäbe bei Menschenrechten gegenüber der Türkei anlegt, wie z.B. gegen Russland. Stattdessen wird billigend in Kauf genommen, dass bei uns Millionen Menschen aus der türkischen und kurdischen Community, aber auch von NGOs und aus dem linken und alternativen Spektrum durch Repressionen aus der Türkei bedroht werden.

Die Justiz in der Türkei ist nicht unabhängig, Gerichte und Strafverfolgungsbehörden klagen entsprechend der Staatsdoktrin politische Gegner:innen an und verurteilen diese mit konstruierten organisatorischen Zusammenhängen.

Personen, denen staatsfeindliche Betätigungen zur Last gelegt werden, können unter den politischen Verhältnissen in der Türkei nicht mit einem fairen Strafverfahren rechnen.

Deshalb stehen wir heute hier und machen Druck! Diesen politischen Druck erwarten wir auch von der Bundesregierung und der EU.

Vielen Dank.