Dienstag 20.07.21, 07:30 Uhr

Der Comic „Carlo vive“ – vom Leben und Tod Carlo Giulianis


von Heiko Koch

Der hier vorliegende Comic von dem Schriftsteller Francesco Barilli und dem Zeichner Manuel de Carli beleuchtet die Umstände des GB-Gipfels in Genova nur in soweit, dass in einer anschließenden Chronik die Ereignisse terminiert und in einem Glossar kurz erklärt werden. Barilli und de Carli fokussieren sich in ihrem Narrativ auf das Schicksal des jungen Mannes aus Genova, der auf der Piazza Alimonda erschossen wurde – auf Carlo Giuliani.

Dabei haben die Macher die Geschichte so konzipiert, dass die nächsten Anverwandten von Carlo als Erzähler*innen im Comic auftreten. So werden nicht nur ihre Informationen und Erinnerungen im Comic verarbeitet, die Eltern Giulino und Haidi und die Schwester Elena werden zu Protagonist*innen des Comic. Alle drei hantieren bei ihren Erzählungen jeweils mit einem Artefakt, das mit den letzten Bildern von Carlo in Verbindung gebracht werden. Elena mit einer Balaclava, wie sie ihr Bruder als Vermummung nutzte. Giuliano mit einem Gaffa-Band, wie es sein Sohn um den Arm trug. Und Haidi mit einem Feuerlöscher, den Carlo angeblich gegen einen Jeep werfen wollte. So ausgestattet zeichnen die drei ein Bild der Ereignisse auf der Piazza Alimonda, den Widersprüchen in den offiziellen Versionen der Geschehnisse und ein Bild von Carlo als Menschen. Die Artefakte sind dabei die verbindenden Elemente in die geschilderte Situation und schaffen Zusammenhänge zu anderen Deutungsebenen. Während der Vater sich in seinen Erzählungen stark auf die Demonstrationsereignisse, die Geschehnisse auf der Piazza Alimonda und die zahlreichen Widersprüche der offiziellen Version bezieht, gehen Mutter und Schwester mehr auf Carlo als Person ein. Sie zeichnen das Bild eines jungen Mannes, der sein Studium abgebrochen hatte und auf der Suche nach sich selbst war. Einem sensiblen und nachdenklichen „ragazzo“, der Gedichte schrieb, für Freund*innen und Familie einstand und sich für politische und soziale Ideale wie Freiheit und Gerechtigkeit einsetzte.

So werden über mehrere Kapitel die Ereignisse auf der Piazza Alimonda rekonstruiert, wie sich die Auseinandersetzungen zwischen Demonstrant*innen und Carabinieri entwickelten und Carlo Giuliani in die tödliche Situation geriet. An Hand von gezeichneten Gerichtsverfahren werden die Widersprüche der angeblichen Notwehrsituation der Carabinieri aufgezeigt und offengelegt, dass es sich hier um ein polizeiliches Szenario handelte, was den Mord an einen Demonstranten bewusst einkalkulierte. Und der Umstand wird skandalisiert, dass es keinen expliziten Prozess zum Mord an Carlo Giuliani gab, in dem all die offiziellen Ungereimtheiten und Unwahrheiten zu Sprache hätten kommen können.

Francesco Barilli und Manuel de Carli ist es gelungen mit diesem Comic eine gelungene Erinnerung an Carlo Giuliani vorzulegen. Einen Comic, der auch die nächsten Anverwandten mit einbezieht, die Geschehnisse auf und um die Piazza Alimonda anschaulich rekonstruiert und es schafft aus Carlo keinen Märtyrer und Helden, sondern einen jungen Demonstranten, einen von vielen „ragazzi“, zu machen.

Der Comic „Carlo vive“ ist zeitlos. Er entstand im Jahr 2011 – 10 Jahre nach der Ereignissen von Genua – und ist auch heute noch – 20 Jahre nach den Ereignissen – ein ebenso einnehmendes wie gelungenes Werk lebendiger Erinnerungskultur. Nimmt heute ein junger Mensch den Comic zur Hand, so kann er in Kürze auf eine einprägende und empathische Art, die Geschichte vom Leben und Tod Carlo Giulianis erfahren.

Zu so einem Comic kann man nur sagen: Bravo!

Francesco Barilli & Manuel de Carli: „Carlo Vive: G8, Genua 2001“
erschienen im Wiener Verlag Bahoe Books
http://www.bahoebooks.net
ISBN 978-3-903022-38-6

Leseprobe: http://www.bahoebooks.net/leseprobe/Leseprobe_CarloVive.pdf