Samstag 17.07.21, 20:29 Uhr
Kundgebung gegen das geplante Versammlungsgesetz NRW am 17.7.2021 in Bochum

Andreas Stiewe, Bochumer Initiative Polizeibeobachtung


Andreas Stiewe

Vorab eine kurze Mitteilung: Auch wenn hier die MLPD wieder einmal als einzige mit einer großen Parteifahne erschienen ist: Wir haben mit der MLPD nichts zu tun und distanzieren uns auch von der Dominanzkultur dieser Partei, auch wenn diese uns jetzt wahrscheinlich „Antikommunismus“ unterstellt. So sind sie eben.

Nachdem 2016 zunächst Menschen, die sich dem Aufmarsch von Nazis zum 1. Mai entgegenstellen wollten, durch massiven und komplett eskalierenden Polizeieinsatz zunächst drangsaliert, verletzt, dann auch gekesselt und im Nachgang kriminalisiert wurden und es direkt danach im Juni auch beim Protest gegen den Bochumer Pegidaableger DaSKut zu heftigen Polizeiübergriffen kam, hat eine Gruppe von in der Regel älteren, politisch aktiven Menschen beschlossen, dass die Polizei ganz offensichtlich etwas verdient.
Nämlich Beobachtung. Kritische Polizeibeobachtung.
Und zwar deutlich sichtbare Beobachtung und Dokumentation direkt vor Ort.

Seitdem tun wir dies als „Bochumer Initiative Polizeibeobachtung“, kurz „BIP“,bei jeder Kundgebung, Demonstration und jedem Protest, bei dem dies von den Anmelder*innen gewünscht ist und deren Inhalte wir berechtigt finden. Letzteres bedeutet, dass wir selber schon im weitesten Sinne hinter den Inhalten der Demonstration stehen müssen. Also z.B. auf Querdenker*innen-Demos werden wir nicht als „BIP“ agieren.

Unsere Motivation ist durchaus auch aus eigener Betroffenheit entstanden, da 2006 teilweise auch unserer Kinder oder Enkel und ihre Freund*innen von der Polizeigewalt direkt betroffen waren.

Wir sind als Beobachter*innen sehr bewusst nie Teil der jeweiligen Veranstaltung und daher gab es in den letzten Jahren auch keinerlei Redebeiträge von uns.

Aber die aktuelle Situation, der wir auf der Straße begegnen und die zunehmend autoritäre Sicherheitspolitik der Landesregierung können wir nicht weiter unkommentiert hinnehmen!

Nach unseren Erfahrungen trifft die zunehmende Polizeigewalt im Bereich von Versammlungen sehr häufig Gegenkundgebungen gegen Naziaufmärsche und antifaschistische Proteste. Bizarrerweise genau dann, wenn Menschen, die beispielsweise eindeutig undemokratische, rechtsradikale oder hetzerische Gedanken auf die Straße tragen, wird vorrangig der Widerspruch dagegen als lästig empfunden und gegen diesen Protest mit unangemessener Gewalt vorgegangen. Auch wenn dieser eindeutig friedlich ist.

Das gilt hier in NRW auch für Klimaaktivist*innen, deren häufig kreative Kritikformen und friedliche Blockaden sich gegen Konzerne richten, die scheinbar sinnvoll in Lobbyarbeit, z.B. zur Verschleppung von Maßnahmen gegen den Klimawandel, investiert haben.

Versammlungsfreiheit – Versammlungsrecht ist aus unserer Sicht ein extrem wichtiges Grundrecht, ein entscheidendes Mittel der politischen Mitbestimmung.

Wenn Menschen dieses Recht in Anspruch nehmen, gehören sie nach unserem Verständnis und dem Willen des Verfassungsgerichts geschützt. Geschützt durch die Exekutive, die Polizei. Den Glauben daran verlieren aktuell immer mehr von uns.

Der von der Landesregierung vorgelegte Entwurf zu einem Versammlungsgesetz für NRW, stellt eine massive Bedrohung dieses demokratischen Grundrechtes dar.
Wie werden zukünftig Protest, Interessen, Kritik, Meinungen hier in NRW auf die Straße getragen werden können. Wie wird mit Menschen umgegangen werden, die Kundgebungen anmelden oder an diesen teilnehmen, wenn dieses Gesetz durchkommt?
Einen Vorgeschmack darauf konnten wir am 26.06. in Düsseldorf erleben. „Unsere“ Landesregierung in NRW hat offensichtlich Probleme damit, Widerspruch und Proteste auszuhalten.

Einsatzstrategie und das Verhalten der Polizei vor Ort, von der Kommunikationsverweigerung mit den Anmelder*innen bis hin zu den Angriffen auf den antifaschistischen Block haben deutlich gezeigt, dass es nie darum ging, eine angemeldete Demo zu gewährleisten – die Provokationen und Eskalationen gingen durchgängig von der Polizei aus.
Ich persönlich war vor Ort und habe dies ganz persönlich, hautnah miterlebt.
In mir steigt die Wut auf, wenn ich sehe, wie die Polizei bei der Anhörung im Landtag offen lügt.

Bereits jetzt erleben wir auch hier in Bochum z.T. Willkür im Umgang mit Demonstrationen, Kundgebungen, Protesten und deren Anmeldung, die genau wie der Grundtenor des Gesetzentwurfes zeigt, dass Menschen, die Ihre Meinung auf die Straße tragen, zunehmend als hinderlich für einen reibungslosen Betriebsablauf wahrgenommen werden.

Warum ist Gegenprotest häufig nicht in direkter Hör- und Sichtnähe zu rechten Kundgebungen zugelassen?

Warum wurden in letzter Zeit von der polizeilichen Versammlungsbehörde Bochum verschiedenen Anmelder*innen unterstellt, ihre geplante Veranstaltung sei keine politische, nur weil sie kreative Protestmethoden wählen, die offensichtlich den Horizont polizeilicher Vorstellungskraft von Protest überschreiten?

Damit wird bereits, ohne dass das neue Versammlungsgesetz beschlossen ist, unser grundsätzlich garantiertes Versammlungsrecht ausgehöhlt und Anmeldende sollen zu Bittsteller*innen gemacht werden. So kann die Polizeibehörde in Bochum aber nur handeln, weil sie sich der Rückendeckung durch unsere aktuelle Landesregierung sicher sein kann.

Der vom Landeskabinett, also CDU und FDP, vorgelegte Gesetzentwurf für das neue „Versammlungsrecht in NRW“, würde dafür sorgen, dass bisher rechtswidriges, eskalierendes Verhalten der Polizei, wie wir es in unserer Position als Beobachter*innen immer wieder erleben und das nicht selten auch von Gerichten auch so gesehen wird, wie z.B. die rechtswidrige Einkesselung von Menschen, in Zukunft bequemerweise im Vorfeld legitimiert wird.

Der „Republikanische Anwältinnen und Anwälteverein“ (RAV) hat gemeinsam mit dem „Komitee für Grundrechte und Demokratie“ und der „Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen“ (VDJ), im Mai diesen Jahres eine sehr treffende Presseerklärung zu diesem Gesetzentwurf vorgelegt, den ich diesem Redebeitrag anschließen möchte, da er unsere Kritikpunkte umfassend darstellt:

Der RAV, die VDJ und das Komitee für Grundrechte und Demokratie

lehnen den von CDU und FDP vorgelegten Entwurf für ein Versammlungsgesetz für Nordrhein-Westfalen als undemokratisch ab.
Der Entwurf verfehlt den zentralen Kern eines Versammlungsgesetzes: den Schutz der Versammlungsfreiheit als Abwehrrecht gegenüber dem Staat. Der Entwurf ist vordemokratisch und atmet den Geist eines autoritären Staats.
Die Versammlungsfreiheit ist – als kollektive Meinungsfreiheit – eines der wichtigsten politischen Grundrechte, das für den politischen Meinungskampf, die gesellschaftliche Teilhabe und die Sicherstellung von demokratischen Grundsätzen von zentraler Bedeutung ist.

Tritt das Versammlungsgesetz für NRW wie vorgeschlagen in Kraft, würden die zentralen verfassungsrechtlichen Grundsätze der Versammlungsfreiheit, wie sie seit dem Brokdorf-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts im Jahr 1985 bestehen, unterlaufen.

Dazu gehören die Autonomie in der Ausgestaltung der Versammlung, die Staatsfreiheit, der
freie Zugang zur Versammlung und die Abwesenheit von Observation und Registrierung.

Der Entwurf der Landesregierung ist durch ein tiefes Misstrauen gegen Bürger:innen geprägt, die vom Grundrecht der Versammlungsfreiheit Gebrauch machen.

Versammlungen werden alleinig als polizeilich zu behandelndes Problem – als Gefahr, der man begegnen muss – verstanden.

Entsprechend sieht der Entwurf weitreichende Regulierungs- und Überwachungsmöglichkeiten für die Polizei vor:

Die Anwendbarkeit von Polizeirecht in Versammlungen,
die Errichtung von Kontrollstellen zur Identitätsfeststellung und Durchsuchung, das Verbot der Teilnahme mithilfe von Meldeauflagen, Videoüberwachung und -aufzeichnung, Gefährderansprachen und weitere Maßnahmen.

Zusätzlich werden Möglichkeiten der Kriminalisierung von Teilnehmenden und Veranstalter:innen stark ausgeweitet.

Es werden neue Straftatbestände und Ordnungswidrigkeiten geschaffen, sowie Strafmaße erhöht.

Der Versammlungsleitung werden umfangreiche Pflichten auferlegt, die Anmeldung von Versammlungen wird erschwert.

Dass es der Landesregierung im Braunkohleland NRW insbesondere darum geht, konzernkritische Klimaproteste gegen RWE abzuschwächen, belegt die Gesetzesbegründung.

Auch antifaschistische Proteste werden massiv erschwert, das Recht auf Gegendemonstrationen beschnitten.

Rechtsanwältin Anna Busl, Mitglied im erweiterten Vorstand des RAV
, erklärt hierzu: „Die Ausübung der Versammlungsfreiheit, vom Bundesverfassungsgericht bezeichnet als „ein Stück ursprünglich-ungebändigter unmittelbarer Demokratie, das geeignet ist, den politischen Betrieb vor Erstarrung in geschäftiger Routine zu bewahren“, wird durch diesen Gesetzentwurf zur „Gefahr“ erklärt, der polizeilich Einhalt geboten werden muss.

Michèle Winkler, Referentin des Komitees für Grundrechte und Demokratie
ergänzt: „Dieses obrigkeitsstaatliche Verständnis der Versammlungsfreiheit ist einer Demokratie unwürdig.

Die Landesregierung führt einen gezielten Bruch mit dem Brokdorf-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts herbei.

Der Versammlungsfreiheit wird ihr demokratischer Kern entzogen: Wenn Demonstrationen komplett polizeilich eingehegt und überwacht sind, werden sie jeglicher Wirkung beraubt.“

Rechtsanwältin Ursula Mende, Bundesvorstandsmitglied der VDJ
unterstreicht: „Es ist offensichtlich, dass die Landesregierung die Kritik an ihrer desaströsen Klima- und Energiepolitik mithilfe des Versammlungsgesetzes zum Verstummen bringen will. Geradezu obsessiv wird auf die Klimabewegung verwiesen, um Verschärfungen zu begründen. Dies steht in starkem Kontrast zum Bundesverfassungsgericht, das gerade erst in einer historischen Entscheidung ein Klimaschutzgebot postuliert hat.

Die Landesregierung täte gut daran, ihre politische Verantwortung wahrzunehmen, statt Protest gegen ihre desaströse Klimapolitik zu erschweren.“

In diesem Sinne möchte ich schließen und uns alle hier daran erinnern, dass dieses Gesetz also uns alle meint und dass es wichtig ist, dass wir solidarisch und gemeinsam dagegen weiter auf die Straße gehen müssen.