Samstag 03.07.21, 21:39 Uhr
Demonstration am 3. 7. 2021: Solidarisch und entschlossen gegen „Querdenken“, Antisemitismus und Nazis!

Redebeitrag der Bochumer Initiative Polizeibeobachtung


Nachdem 2016 zunächst Menschen, die sich dem Aufmarsch von Nazis zum 1. Mai entgegenstellen wollten, durch massiven und komplett eskalierenden Polizeieinsatz zunächst drangsaliert, verletzt, dann auch gekesselt und im Nachgang kriminalisiert wurden und es direkt danach im Juni auch beim Protest gegen den Bochumer Pegidaableger DaSKut zu heftigen Polizeiübergriffen kam, hat eine Gruppe von Menschen, die in dieser Stadt leben, beschlossen, dass die Polizei ganz offensichtlich etwas verdient: Beobachtung – kritische Beobachtung.

Und zwar deutlich sichtbare Beobachtung und Dokumentation direkt vor Ort.

Seitdem tun wir dies bei jeder Kundgebung, Demonstration und jedem Protest, wenn dies von den Anmelder*innen gewünscht ist und wir deren Inhalte berechtigt finden. Wir sind als Beobachter*innen nie Teil der jeweiligen Veranstaltung und daher gab es in den letzten Jahren auch keinerlei Redebeiträge von uns. Aber die aktuelle Situation, der wir auf der Straße begegnen und die zunehmend autoritäre Sicherheitspolitik der Landesregierung können wir nicht weiter unkommentiert hinnehmen.

Nach unserer Erfahrung trifft die zunehmende Polizeigewalt im Bereich von Versammlungen sehr häufig Gegenkundgebungen und Proteste. Bizarrerweise in der Regel genau dann, wenn Menschen, die beispielsweise eindeutig undemokratische, rechtsradikale, hetzerische Gedanken auf die Straße tragen, wird vorrangig der Widerspruch gegen dieses Gedankengut als lästig empfunden und gegen diesen Protest mit unangemessener Gewalt vorgegangen, auch wenn dieser eindeutig friedlich ist. Das gleiche gilt hier in NRW auch für Klimaktivist*innen, deren häufig kreative Kritikformen und friedliche Blockaden sich gegen Konzerne richten, die scheinbar erfolgreich in Lobbyarbeit investiert haben.

Versammlungsfreiheit – Versammlungsrecht ist aus unserer Sicht ein extrem wichtiges Grundrecht, ein entscheidendes Mittel der politischen Mitbestimmung. Wenn Menschen dieses Recht in Anspruch nehmen, gehören sie nach unserem Verständnis und dem Willen des Verfassungsgerichts geschützt, geschützt durch die Exekutive. Den Glauben daran verlieren aktuell immer mehr von uns.

Der von der Landesregierung vorgelegte Entwurf zu einem Versammlungsgesetz für NRW stellt eine massive Bedrohung für dieses demokratische Grundrecht dar. Wie werden zukünftig Protest, Interessen, Kritik, Meinungen hier in NRW auf die Strasse getragen werden, wie wird mit Menschen umgegangen werden, die Kundgebungen anmelden oder an diesen teilnehmen, wenn dieses Gesetz durchkommt? Einen Vorgeschmack darauf konnten wir am Samstag, den 26. 6. in Düsseldorf erleben. Unsere Landesregierung hat offensichtlich Probleme, Widerspruch auszuhalten.

Bereits jetzt erleben wir auch hier in Bochum z.T. Willkür im Umgang mit Demonstrationen, Kundgebungen, Protesten und deren Anmeldung, die genau wie der Grundtenor des Gesetzentwurfes zeigt, dass Menschen, die Ihre Meinung auf die Straße tragen, zunehmend als hinderlich für einen reibungslosen Betriebsablauf wahrgenommen werden.

Warum sollte die heutige Kundgebung nicht in direkter Hör- und Sichtnähe zum Kirmesplatz stattfinden? Warum wurden in letzter Zeit von der polizeilichen Versammlungsbehörde Bochum verschiedenen Anmelder*innen unterstellt, ihre geplante Veranstaltung sei keine politische? Damit wird bereits ohne, dass das neue Versammlungsgesetz beschlossen ist, unser grundsätzlich garantiertes Versammlungsrecht ausgehöhlt und Anmeldende sollen zu Bittsteller*innen gemacht werden. So kann die Polizeibehörde in Bochum aber nur handeln, weil sie sich der Rückendeckung durch unsere aktuelle Landesregierung sicher sein kann.

Der vom Landeskabinett, also CDU und FDP- Minister*innen vorgelegte Gesetzentwurf Versammlungsrecht für NRW würde dafür sorgen, dass bisher rechtswidriges Verhalten der Exekutive, wie wir es in unserer Position als Beobachter*innen immer wieder erleben, wenn Eskalation eindeutig von Seiten der Polizei ausgeht und dieses im Nachgang durch Gerichte auch bestätigt wurde, in Zukunft bequemerweise im Vorfeld legitimiert wird.

Der Republikanische Anwältinnen und Anwälteverein (RAV) hat gemeinsam mit dem Komitee für Grundrechte und Demokratie und der Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen (VDJ) im Mai diesen Jahres eine sehr treffende Presseerklärung zu diesem Gesetzentwurf vorgelegt, den ich diesem Redebeitrag anschließen möchte, da er unsere Kritikpunkte umfassend darstellt:

Der RAV, die VDJ und das Komitee für Grundrechte und Demokratielehnen den von CDU und FDP vorgelegten Entwurf für ein Versammlungsgesetz für Nordrhein-Westfalen als undemokratisch ab. Der Entwurf verfehlt den zentralen Kern eines Versammlungsgesetzes: den Schutz der Versammlungsfreiheit als Abwehrrecht gegenüber dem Staat. Der Entwurf ist vordemokratisch und atmet den Geist eines autoritären Staats. Die Versammlungsfreiheit ist – als kollektive Meinungsfreiheit – eines der wichtigsten politischen Grundrechte, das für den politischen Meinungskampf, die gesellschaftliche Teilhabe und die Sicherstellung von demokratischen Grundsätzen von zentraler Bedeutung ist. Tritt das Versammlungsgesetz für NRW wie vorgeschlagen in Kraft, würden die zentralen verfassungsrechtlichen Grundsätze der Versammlungsfreiheit, wie sie seit dem Brokdorf-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts im Jahr 1985 bestehen, unterlaufen. Dazu gehören die Autonomie in der Ausgestaltung der Versammlung, die Staatsfreiheit, der freie Zugang zur Versammlung und die Abwesenheit von Observation und Registrierung. Der Entwurf der Landesregierung ist durch ein tiefes Misstrauen gegen Bürger:innen geprägt, die vom Grundrecht der Versammlungsfreiheit Gebrauch machen. Versammlungen werden alleinig als polizeilich zu behandelndes Problem – als Gefahr, der man begegnen muss – verstanden. Entsprechend sieht der Entwurf weitreichende Regulierungs- und Überwachungsmöglichkeiten für die Polizei vor: Die Anwendbarkeit von Polizeirecht in Versammlungen, die Errichtung von Kontrollstellen zur Identitätsfeststellung und Durchsuchung, das Verbot der Teilnahme mithilfe von Meldeauflagen, Videoüberwachung und -aufzeichnung, Gefährderansprachen und weitere Maßnahmen. Zusätzlich werden Möglichkeiten der Kriminalisierung von Teilnehmenden und Veranstalter:innen stark ausgeweitet. Es werden neue Straftatbestände und Ordnungswidrigkeiten geschaffen, sowie Strafmaße erhöht. Der Versammlungsleitung werden umfangreiche Pflichten auferlegt, die Anmeldung von Versammlungen wird erschwert. Dass es der Landesregierung im Braunkohleland NRW insbesondere darum geht, konzernkritische Klimaproteste gegen RWE abzuschwächen, belegt die Gesetzesbegründung. Auch antifaschistische Proteste werden massiv erschwert, das Recht auf Gegendemonstrationen beschnitten. Rechtsanwältin Anna Busl, Mitglied im erweiterten Vorstand des RAV, erklärt hierzu: „Die Ausübung der Versammlungsfreiheit, vom Bundesverfassungsgericht bezeichnet als „ein Stück ursprünglich-ungebändigter unmittelbarer Demokratie, das geeignet ist, den politischen Betrieb vor Erstarrung in geschäftiger Routine zu bewahren“, wird durch diesen Gesetzentwurf zur „Gefahr“ erklärt, der polizeilich Einhalt geboten werden muss. Durch die Aufhebung der sog. Polizeifestigkeit von Versammlungen kann gegen jeden Teilnehmer als „Störer“ polizeilich vorgegangen werden.“ Michèle Winkler, Referentin des Komitees für Grundrechte und Demokratie ergänzt: „Dieses obrigkeitsstaatliche Verständnis der Versammlungsfreiheit ist einer Demokratie unwürdig. Die Landesregierung führt einen gezielten Bruch mit dem Brokdorf-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts herbei. Der Versammlungsfreiheit wird ihr demokratischer Kern entzogen: Wenn Demonstrationen komplett polizeilich eingehegt und überwacht sind, werden sie jeglicher Wirkung beraubt.“ Rechtsanwältin Ursula Mende, Bundesvorstandsmitglied der VDJ unterstreicht: „Es ist offensichtlich, dass die Landesregierung die Kritik an ihrer desaströsen Klima- und Energiepolitik mithilfe des Versammlungsgesetzes zum Verstummen bringen will. Geradezu obsessiv wird auf die Klimabewegung verwiesen, um Verschärfungen zu begründen. Dies steht in starkem Kontrast zum Bundesverfassungsgericht, das gerade erst in einer historischen Entscheidung ein Klimaschutzgebot postuliert hat. Die Landesregierung täte gut daran, ihre politische Verantwortung wahrzunehmen, statt Protest gegen ihre desaströse Klimapolitik zu erschweren.“

In diesem Sinne möchte ich schließen und uns alle hier daran erinnern, dass dieses Gesetz also uns alle meint und dass es wichtig ist, dass wir solidarisch und gemeinsam dagegen weiter auf die Straße gehen müssen.