Donnerstag 24.06.21, 19:25 Uhr

Soll Bochum den Bildungsnotstand ausrufen?


Die Fraktionen von „Die Linke“ und „Die Partei & Die Stadtgestalter“ haben zur Ratssitzung am 24.06.2021 gemeinsam eine Resolution eingereicht, mit der in Bochum der Bildungsnotstand ausgerufen werden soll. Sie erklären dazu gemeinsam: »Lehrkräfte seien überfordert, Eltern frustriert. Die Hilferufe aus den Schulen und den Familien häuften sich. Die beiden Fraktionen kritisieren, dass alle inhaltlichen Initiativen der Opposition von der Verwaltung und Koalition ungehört blieben. „Die desolate Situation in Bochumer Schulen sorgt dafür, dass sich die soziale Schere weiter öffnet“, kritisiert Gültaze Aksevi, Fraktionsvorsitzende der Linksfraktion.

„Finanziell besser gestellte Eltern können sich vielleicht Nachhilfeunterricht per Videokonferenz über die eh vorhandenen iPads für ihre Kinder leisten, aber Familien mit weniger Geld schauen in die Röhre. In der notwendigen Beschaffung und Verteilung von Laptops und Tablets hat sich die Verwaltung in einem Chaos verstrickt. Das Schulamt, das zwar eine Landesbehörde ist, in der aber der Oberbürgermeister bzw. eine von ihm benannte Vertretung direkt beteiligt wird, hat sogar die Finanzierung von Laptops durch das Jobcenter für Kinder im SGB-II-Bezug torpediert. Die Affäre ist weiterhin nicht aufgeklärt. Auch für das kommende Jahr werden Plätze an den Bochumer Gesamtschulen fehlen, und es werden wohl erneut nicht alle eigentlich vorgeschriebenen Schuleingangsuntersuchungen durchgeführt. Der Bochumer Rat muss diese Probleme endlich anerkennen. Das ist eine wichtige Voraussetzung, um sie zu lösen“, fordert Aksevi.
Dr. Volker Steude von den Stadtgestaltern und Vorsitzender der Fraktion „Die Partei & Die Stadtgestalter“ verweist auch auf die Gefahr für den ökonomischen Standort: „Bildung ist die letzte Ressource, die wir in Bochum noch fördern können. Nur wenn wir allen Kinder und Jugendlichen die besten Chancen für ihren persönlichen Lebensweg ebnen, können Unternehmen bei uns ausreichend Fachkräfte finden. Die Stadt muss es jedem Kind ermöglichen, in der Schule sein volles Potential auszuschöpfen, nur das ist echte Inklusion. Allein auf die Hochschulen zu setzen, greift zu kurz. Bochumer Schüler*innen muss der Sprung ins Studium oder Ausbildung überhaupt erst ermöglicht werden. Ansonsten werden bald die Transferauwendungen weiter steigen, während die Steuereinnahmen der Stadt zurückgehen“, so der Ökonom Dr. Steude.

Die Linke und Die Partei & Stadtgestalter“ sehen den Oberbürgermeister in der Verantwortung, die Probleme an den Bochumer Schulen unter Aufbringung aller möglichen Anstrengungen schnellstmöglich zu beseitigen. Sie fordern für den Haushalt 2022 erhebliche finanzielle Anstrengungen für Maßnahmen im Schulbereich und eine Umorganisation des Schuldezernats, dass sich auch schon vor der Corona-Krise als untauglich erweisen hat die Herausforderungen zu bewältigen. Auch rufen die beiden Fraktionen die gesellschaftlichen Institutionen, Eltern, sowie alle Einwohner*innen Bochums auf, sich der Erklärung anzuschließen und einen Pakt für Bildungschancen zu fordern und zu befördern.«

Die Fraktionen von SPD und Grünen im Rat lehnen die Ratsresolution der Fraktionen von Die Stadtgestalter/Partei und Linken zur Ausrufung eines Bildungsnotstands ab und schreiben: »Bastian Hartmann, schulpolitischer Sprecher der SPD, erklärt dazu: „Jetzt einen Notstand auszurufen ist nur Empörungssymbolik. Dass die Pandemie die Ungleichheiten und Benachteiligungen im Bildungssystem vergrößert hat, ist allen klar, die nicht hinter dem Mond leben. Ganz abgesehen davon, dass Bildungspolitik im wesentlichen Ländersache ist: Die Stadt ist als Schulträgerin primär für Gebäude und Ausstattung zuständig und unternimmt seit Jahren erhebliche Anstrengungen. Allein in den letzten 3 Jahren wurden für Bau und Sanierung von Schulen Projekte mit einem Gesamtvolumen von über 130 Mio. Euro auf den Weg gebracht. Wir werden im Zuge der laufenden Schulentwicklungsplanung mehr Räume für Unterricht und Ganztag schaffen. Eine neue Stabsstelle wird sich um die sozialen Folgewirkungen der Pandemie kümmern. Und nach einem verstolperten Start wurde bei der Digitalisierung eine Aufholjagd gestartet. Um Chancengerechtigkeit zu erreichen, helfen konkrete Maßnahmen mehr als Resolutionen: zum Beispiel ein Nachholprogramm zu außerschulischem Lernen oder Familienzentren an Grundschulen – beides sind wichtige aktuelle Ratsbeschlüsse!“

Birte Caspers-Schäfer, schulpolitische Sprecherin der Grünen, hält die Resolution für pure Selbstdarstellung: „Mit der leeren Phrase, dass Bildung nun zur Chefsache erklärt werden müsse, löst man keines der Probleme. Konkrete Überlegungen oder Forderungen, wie etwa Benachteiligung auf lokaler Ebene verringert werden könnte: Fehlanzeige! Das ist kaum verwunderlich. Wie es um die bildungspolitische Kompetenz beider Fraktionen bestellt ist, sieht man an deren äußerst dürftigen Engagement im zuständigen Ausschuss für Schule und Bildung. Während Stadtgestalter/PARTEI seit Beginn der Wahlperiode nur zwei Änderungsanträge zu Initiativen anderer Fraktionen eingebracht haben, sind die Linken bisher überhaupt nicht antragsinitiativ geworden. Wir laden beide Fraktionen herzlich ein, sich im Fachausschuss künftig an der Lösung der Probleme zu beteiligen.“«