Dienstag 08.06.21, 08:38 Uhr
Kundgebung am 1. Juni in Bochum für die Selbstbestimmung von Transsexuellen

Rede von Dilara, Kritische Jurist*innen


Liebe Alle*,
das sogenannte Transsexuellengesetz, kurz TSG, gehört abgeschafft! Da sind wir uns alle einig und ich bin froh, dass wir hier nicht mehr darüber diskutieren müssen. Umso wichtiger ist es, dass wir heute hier auch Mitbürger*innen klar machen, wieso die Abschaffung schon längst überfällig ist!

Ich möchte  mich heute nur auf den bürokratischen Namensänderungsprozess beziehen, obwohl es sehr viele weitere Baustellen gibt, wie die Kostenübernahme von geschlechtsangleichenden OPs oder, dass nicht binäre Personen in keinem Gesetz erfasst sind, weder im TSG noch im Gesetz zur Änderung der in das Geburtenregister einzutragenden Angaben. Problematisch ist auch das Vorgehen des Justizministeriums, welches durch einen Rundschreiben sogar die letzten Gesetzeslücken für Transmenschen geschlossen hat ihre Namen außerhalb des TSG zu ändern oder,dass Gewalt und Diskriminierung von Trans*, Inter* und nichtbinären Menschen ein ernstzunehmendes Problem ist, besonders wenn man PoC ist.

Ich will nur einmal kurz darlegen, wieso das TSG ein sehr problematiches Gesetz ist. Um eine Namens- oder und Personenstandänderung zu bekommen, muss eine Transperson vor dem zuständigen Amtsgericht ein Gerichtsverfahren anstreben und in dem Kontext werden zwei Sachverständigengutachten angefordert.

Das kostet viel Geld. Im Durchschnitt liegen die Kosten bei 2000 Euro, die die antragstellende Person selber tragen muss. Wenn diese erste Hürde überwunden ist, was, wenn wir ehrlich sind, bei 2000 Euro schon sehr hoch ist, wartet schon die nächste Hürde auf einen.

In dem Sachverständigengutachten werden sehr viele intime Fragen gestellt. Fragen, die man zwingend richtig beantworten muss, damit das Gutachten positiv ausfällt. Dafür muss man fähig und willig sein die intimsten Details mit einer komplett fremden Person zu teilen und hoffen, dass man überzeugen konnte.

Aber Sachverständiger*innen können NIE gänzlich fühlen, was in einem vorgeht. Vielleicht will man auch nicht alles teilen. Vielleicht gibt es aber auch sprachliche Barrieren. Die Zukunft des eigenen Lebens hängt davon ab, ob mein fremde Personen hinsichtlich der eigenen geschlechtlichen Identität überzeugen konnte.

Das Sytsem der Befragung ist zutiefst verkehrt und spiegelt im Gesetz sogar Stereotypen wieder, die wir alle versuchen zu überwinden. Man muss also eindeutig Mann oder Frau sein und in das binäre Sytem passen und den Stereotypen entsprechen.

Was ebenfalls erfide ist:  das ganze Verfahren der Begutachtung fußt auf einer Krankheitsdiagnose, die schon längst von der WHO abgeschafft wurde. Dieses Gesetz ist schon aus dem Grund veraltet, weil es eine längst abgeschaffte Diagnose durchführt. Das bedeutet, dass Trans sein nach dem sogannannten Transsexuellengesetz immer noch als „Krankheit“ betrachtet wird. Und das ist schlicht menschenverachtend.

Und das alles nur, wenn man seinen Namen ändern will. Und an diesen Namen hängt viel: Wie Polizeikontrollen ablaufen, wie Bewerbungsverfahren ablaufen, wie die Registrierung in Schulen, Universitäten ablaufen. Dieser ganze Rattenschwanz hängt an dem Umstand, ob man die Kosten tragen kann und zwei fremde Menschen davon überzeugen kann, dass die eigenen Emfindungen,die eigene Persönlichkeit, das Selbstverständnis von einem selbst real sind.

Wie ihr seht, ist es längst überfällig, dass das TSG abgeschaftt werden muss! Die Kritik gibt es aber auch schon sehr lange! Der Bundessverband Trans* fordert schon seit Jahrzehnten die Abschaffung des Gesetzes und das Bundesverfassungsgericht hat schon mehrfach Teile des Gesetzes für verfassungswidirg erklärt.

Doch leider hat der Gesetzgeber lange nicht auf die Stimmen derjenigen gehört, die von dem Gesetz bevormundet, entwürdigt und diskriminiert wurden und damit über ihre Selbstbestimmung über das eigene Leben und den Körper hinweg entschieden.  Diejenigen, die am staus-quo festhalten, argumentieren mit der vorgeschobenen Schutzpflicht des Staates. Man will die eigentlich mündigen Bürger*innen vor Fehlentscheidungen bewahren- und behandelt sie so als unmüdig. Zusätzlich wird ebenfalls argumentiert, dass der öffentliche Meinungsbildungsprozess noch nicht abgeschlossen sei.

Aber wisst ihr was ich  nicht verstehe? Ich verstehe erstens nicht, wieso über die Realität von so vielen betroffenen Menschen hinwegentschieden wird, weil man sich noch keine Meinung dazu bilden konnte. Es ist ein Privileg, dass man sich mit dem zugewiesenem Geschlecht identifiziert und sich nicht mit den alltäglichen Hindernissen und Diskriminierungen außeinandersetzen muss! Wenn ihr euch keine Meinung bilden könnt, dann hört auf die betroffenen Menschen,die ganz genau wissen, was sie fühlen, was sie brauchen und was sie wollen!

Zweitens verstehe ich nicht, wie ein solch diskriminierendes Gesetz einzelne Menschen schützen soll, wenn es doch seitdem eine immense Gefahr für die Psyche von Transpersonen darstellt? Leider ist es kein Geheimnis, dass viele Transpersonen unter der Last der alltäglichen Erfahrungen und dem Zwang ihrem gesellschaftlich zugewiesenem Geschlecht zu entsprechen leiden und sehr viel öfter im Durchschnitt mit psychischen Erkrankungen leben müssen und deutlich suizidgefährdeter sind als Cispersonen.

Alle, die an einem solchen Gesetz festhalten und sich auf die Schutzpflicht berufen: ihr schützt keinen einzigen Menschen. Ihr lasst Transpersonen alleine und das Gesetz ist einer der Gründe, wieso eure Argumentation heuchlerisch ist.

Doch zum Glück werden die Stimmen lauter, die Bündnisse stärker, die sich für eine Abschaffung des TSG einsetzen. Erst kürzlich hatte der Bundestag sogar zwei mal die Chance das TSG abzuschaffen und durch ein selbstbestimmteres Gesetz zu ersetzen und hat diese Chance leider auch genau zwei Mal verpasst. Das war ein herber Schlag für die queere Community. Der Beigeschmack, der blieb, lautete: eure Diskriminierungserfahrungen sind nicht real und wichtig genug und ihr seid nicht in der Lage gute Entscheidungen zu treffen.

Leider wird in dieser Legislatur nicht mehr viel geschehen, es sei denn das Bundesjustizministerium legt einen guten Vorschlag im Sinne von Trans*, Inter* und nicht nichtbinären Personen vor.

Das sieht gerade aber nicht vielversprechend aus. Daher wird unser Kampf natürlich weitergehen, auch über Legislaturen hinaus, bis das Gesetz endlich abgeschafft ist. Wir fordern ein Selbstbestimmungsgesetz, welches eine Änderung des Namens und Personenstands für alle trans*, inter* und nicht-binären Personen ermöglicht – unabhängig von Attesten, Gutachten oder Beratungen.

Wir fordern ein Ende der transfeindlichen Politik. Jede*r hat das Recht auf geschlechtliche Selbstbestimmung!