Sonntag 14.02.21, 22:13 Uhr

Frau Anger und die Äpfel, Bananen, Rosinen…


von Norbert Hermann, Bochum Prekär

Frau Angerer würfelt in ihrer Stellungnahme Äpfel mit Bananen und Rosinen durcheinander. Es geht BODO und dem „Offenen Brief“ nicht um die – wie von Frau Anger beschrieben – Untergebrachten, sondern um die „Übriggebliebenen“. In Bochum sind immer noch mehr als 2.000 Menschen ohne eigene Wohnung. Etwa die Hälfte ist in von der Stadt angemieteten Wohnungen untergebracht, oftmals in Umständen, die für „Wohnen“ unüblich sind. Zumeist handelt es sich hier um ehedem Geflüchtete. Andere sind schlechter oder nicht wirklich untergebracht. Um die 300 Menschen leben „auf der Straße“. Die Verelendung obdachloser Menschen hat sichtbar zugenommen, mit der Pandemie hat sich ihre ohnehin prekäre Lage weiter verschärft: Essensausgabestellen, Tagesaufenthalte, Arztpraxen und Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe haben ihr Angebot reduziert. Mehrere hundert Menschen müssen gar ordnungsrechtlich untergebracht werden, nur zum Teil fachlich hinreichend betreut.

Das Diakonie-Projekt für Frauen in der Uhlandstr. 8a ist natürlich sehr zu begrüßen, vor allem weil es sich um Einzelzimmer handelt und die Beratungsstelle im Hause ist. Etwa ein Viertel aller Wohnungs-/Obdachlosen sind Frauen. Für sie gibt es zu wenig Not-Unterkünfte. Stundenweise wird hier ein Tagesaufenthalt angeboten. Ein Leuchtturmprojekt für ein Dutzend Menschen. Das gilt ebenso für das Diakonie-Wohnheim „Die Villa“ im ehemaligen Seniorenpflegeheim Zillertal an der Stembergstraße in Riemke. Hier leben betreut vier Frauen und acht Männer mit psychischen Erkrankungen. Darum wird die Unterbringung auch finanziert vom Landschaftsverband als überörtlicher Träger der Sozialhilfe. Der Focus ist hier natürlich ein anderer, wie auch im Frauenhaus. Die hier aufgenommenen Frauen sind ja auch zumindest vorübergehend ohne Wohnung. Lt. „Correctiv“ ist das Bochumer Frauenhaus in den letzten drei Monaten praktisch ausgebucht.

Das „neue“ Fliednerhaus ist gelungen. Es bietet 42 Menschen Platz, leider nur in Doppelzimmern. Lobenswert der separate Trakt für Frauen und Mütter mit ihren Kindern. Es ist derzeit rund um die Uhr geöffnet, allerdings nur für feste Nutzer*innen.

Damit hat es sich auch schon mit „Leuchttürmen“ im Meer des Elends.

Die Notschlafstelle „Schlaf am Zug“ für junge Leute der Evangelischen Stiftung „Overdyck“ bietet schon in „normalen“ Zeiten zu wenig Übernachtungsplätze, immer wieder müssen sich die Leute ohne Ticket auf den Weg nach Essen oder Dortmund machen. Tagsüber ist nur wenige Stunden geöffnet. Ebenso der Tagesaufenthalt „Sprungbrett“ für junge Menschen in der Ferdinandstraße.

Das „Kolping-Hotel“ in der Maximilian-Kolbe-Str. bietet die Möglichkeit einer Unterbringung durch die Stadt, im gleichen Gebäudekomplex gibt es eine kleine Einheit für junge Menschen sowie selbst anzumietende kleine Einzelzimmer im „Männerheim“. Alles ziemlich renovierungsbedürftig, das Mobiliar alt und knapp. Keine Koch- und Wäschemöglichkeit, Gemeinschaftssanitäranlagen. Dafür recht teuer. Trotzdem gut belegt.

Platzzahlen und Öffnungszeiten der Tagesaufenthalte mussten den Corona-Hygienekonzepten angepasst werden. Was aber erfordert hätte, mehr Raum/Räume zu schaffen. Auch derart, dass die Menschen die Möglichkeit hätten, es sich mit ihrem Gepäck für einige Stunden gemütlich zu machen, etwa Warmes zu essen und auch mal ein Nickerchen zu halten, wie wir das ja alle gerne mal möchten. 45 Minuten Aufenthalt, wie in der Henriettenstrasse, klingt zynisch. Aber länger ist dort nicht möglich, weil jedeR mal rein möchte. Gegessen wird hier wie im Fliednerhaus „unterwegs“.

Die anerkennenswerte Initiative der Bahnhofsmission, in der Propsteikirche eine coronagerechte Anlaufstelle einzurichten, kann dem auch nicht genügen. Stundenweise gibt es dort Kaffee und Kuchen, ein liebes Wort, ggf. Beratung und ein mobiles Handwaschbecken. Das ist viel, aber es reicht nicht. Samstags und sonntags sieht es ganz schlecht aus.

Der Tagesaufenthalt und die Übernachtung in der ehemaligen Graf-von-der-Recke-Schule mit 12 Schlafplätzen mag für einige Menschen akzeptabel sein, ist aber weit ab vom Schuss.

Die Diakonie Bochum hat auf betterplace.org eine Spendenkampagne initiiert, weil es am Nötigsten fehlt. „Durch die Corona-Pandemie stehen viele der Wohnungslosen vor dem Nichts“, sagte Christiane Caldow, die Leiterin der Bochumer Wohnungslosenhilfe auf Radio Bochum dazu.

Aus der Landesinitiative gegen Wohnungslosigkeit „Endlich ein ZUHAUSE“ erhält die Stadt 300.000 Euro für Personal- und Sachkosten. Viel mehr als die „Notfallpakete“ (mit Rucksack, Schlafsack, Iso-Matte und einem Hygieneset) hat es bislang nicht gebracht: Immerhin, einem Dutzend Menschen konnte eine Wohnung vermittelt werden. Ein Tropfen auf den heißen Stein. Seit Jahren weisen verschieden Organisationen auf die rapide steigende Zahl an Wohnungslosen auch in Bochum hin. Die kapitalistische Dauerkrise und der Goldesel Wohnungsmarkt fordern ihren Tribut. Einige Hundert neue Fälle von drohender oder bereits eingetretener Wohnungslosigkeit gibt es jährlich in Bochum. Die Stadt müsste für Betroffene von Räumungsklagen ausreichend gute Not-Wohnungen zur Verfügung stellen. Wer erst mal richtig auf der Straße ist, kommt schwer da wieder weg. Die Wohnungskosten können zu einem großen Teil vom Jobcenter übernommen werden. Das fällt zwar wieder auf die Stadt zurück, wird aber zu 44 % vom Bund (über das Land) refinanziert.

Laut Mitteilung der Verwaltung sei der Wohnungsmarkt sehr angespannt, „erst recht, wenn für obdachlose Menschen etwas gesucht wird“. Auch Suchtkrankenhilfe, Drogenberatung, Bewährungshilfe … wissen ein Lied davon zu singen.

Es hilft alles nichts, es müssen dringend und schnell Wohnungen her. Einerseits um den allgemeinen Wohnungsmarkt zu entlasten, anderseits um zügig gefährdeten Menschen helfen zu können. Das „Bündnis gegen Wohnungs- und Obdachlosigkeit“ vom August 2020 mit VIVAWEST, Vonovia, der VBW Bauen und Wohnen und der LEG ist zu langsam.

Ganz konkret geht es aber jetzt um Menschen, die aus persönlichen Gründen von den (unzureichenden) Angeboten der Stadt keinen Gebrauch machen können oder wollen. Für sie – und es werden einige aber nicht so sehr viele sein – ist die Anmietung von Pensions- oder Hotelzimmern der angemessene Weg, ihnen aus der Not der Kälte und der Infektionsgefahr zu helfen. Um die geht es aktuell bei der Initiative der 36 Organisationen. Ihnen hilft keine Schönrederei der Sozialdezernentin, hier hilft nur entschlossenes und zügiges sachgerechtes Handeln. Andere Städte (Hannover, Hamburg, Köln …) machen gute Erfahrung damit. Und über die Kälte und Corona hinaus kann das den Menschen helfen, sich gesundheitlich und auch persönlich zu stabilisieren.
Petition: „Öffnet die Hotels“ (112.131 haben unterschrieben)