Donnerstag 29.10.20, 10:23 Uhr
Kundgebung am 26. 10. 2020: Solidarität mit den Protestierenden gegen das Abtreibungsverbot in Polen!

Redebeitrag Antisexistisches Aktionsbündnis Ruhr


Die Gesetzesverschärfung in Polen zeigt uns eins: Überall in Europa werden wir angegriffen, weil wir Frauen sind. Unsere Unterdrücker bedienen sich religiöser und moralischer Mechanismen, um in unsere Selbstbestimmung als Frauen und als gebärfähige Menschen einzugreifen. Auch in Deutschland ist das so! Generell ist die öffentliche Debatte um das Thema Schwangerschaftsabbruch sehr aufgeheizt. Bei Google in der News-Kategorie drehen sich die ersten angezeigten Artikel rund um Aussagen, Überschriften und Fragen wie „Legale Abtreibung, ein verweigertes Recht“, „Ärzte sollen sensibilisiert werden“ oder „Schwangerschaftsabbruch während Corona: Warten auf die Abtreibung“. Was beim weiteren Scrollen durch diese News auffällt, ist nicht nur eine kritische Gesamtpositionierung, sondern insbesondere einen politischen „Wirbel“ um Gesetzesverschärfungen, ein Recht auf medizinische Versorgung und moralische Legitimierung.

Was gleichzeitig auch Beachtung finden soll ist der Aspekt der Tabuisierung. Diese Tabuisierung ist in der Debatte ein Teil, der nicht mehr aus dieser weggedacht werden kann. Ganz gleich der Positionierung zum Thema ist eine Tabuisierung Teil der meisten Beiträge, Diskussionen und Berichte; in den meisten der News geht es beispielsweise um einen „Aufschrei“, um Betroffenheit – meistens seitens einer imaginierten Gesamtbevölkerung – oder einer Darstellung von Abtreibungen als außerordentliches, „neuartiges“ und zu Teilen abzulehnendes Phänomen. Indem also Abtreibungen jenseits von Normalität und Wichtigkeit verortet werden, treten vor allem solche Quellen in den Vordergrund, die die ersten Seiten der Google-Suchfunktion überfluten, wenn es darum geht, sich über neuste Diskussionen und Gegebenheiten rund um den Themenkomplex zu informieren.

Als Beispiel für die Debatte rund um das Thema Schwangerschaftsabbruch in Deutschland wollen wir ein mittlerweile sehr prominentes Beispiel nennen: Die Frauenärztin Kristina Hänel wurde nach §219a StGb angezeigt, da sie auf ihrer Homepage „Werbung“ für Schwangerschaftsabbrüche gemacht haben soll. Was genau sie getan hat: sie hat unter der Rubrik Dienstleistungen angegeben, dass sie in ihrer Praxis Schwangerschaftsabbrüche durchführt. Nicht mehr, nicht weniger.

In erster und zweiter Instanz wurde sie dafür schuldig gesprochen und beide Male zu einer Geldstrafe im vierstelligen Bereich verurteilt, denn das Gericht sah es als strafbar an, diese Information mit ihren Patient*innen zu teilen. Schlussendlich gewann sie den Prozess, und auch der §219a wurde 2018 reformiert: es ist nun erlaubt, die reine Information, dass man Schwangerschaftsabbrüche vornimmt, öffentlich zu teilen. Weiterführende Informationen aber, beispielsweise welche Methode genutzt wird oder auch, ob Abbrüche nach der 10. Woche durchgeführt werden, dürfen immer noch nicht bereitgestellt werden. Somit kann der gewonnene Prozess noch längst nicht als Gewinn für den Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen gewertet werden: immer noch gibt es kaum ärztliche seriöse Informationsquellen im Internet, die niedrigschwellig und umfassend über einen möglichen Abbruch in Deutschland informieren können. Zudem ist die Information, die Frau Hänel bereitstellt, immer noch illegal: die Aufführung von Schwangerschaftsabbrüchen in der Liste der angebotenen Behandlungen gilt trotz Gesetzesreform als „Werbung für den eigenen Vermögensvorteil“. Bei allen anderen medizinischen Eingriffen ist es völlig normal, dass die Arztpraxen ihren Patient*innen auf ihrer Homepage weiterführende Informationen bereitstellen – beispielsweise auch, was diese für den Eingriff von zuhause mitbringen sollen, wie sie sich vorzubereiten haben, Tipps für die Nachsorge etc. – nur bei diesem wichtigen Thema soll der breite Zugang zu Informationen, die die Patient*innen befähigen sollen, sich gut um sich zu kümmern, und die Ängste und Unsicherheiten ausräumen könnten, weiterhin als „Werbung“ gelten. Das so eine Rechtslage die Situation von Schwangeren weiterhin erschwert und zusätzlich das gesellschaftliche Stigma rund um Schwangerschaftsabbruch aufrechterhält, ist so eindeutig wie unannehmbar.

Während immer weniger Ärzt*innen in Deutschland Schwangerschaftsabbrüche anbieten – unter Anderem wegen der fehlenden Lehre in den Studiengängen, aber auch wegen diesem Stigma und den rechtlichen Uneindeutigkeiten von §219a – werden Praxen, die diese anbieten, Zielscheibe von rechter und religiöser Agenda, den sogenannten „Abtreibungsgegnern“. Der Begriff wird hier in Anführungsstrichen gesetzt, da er recht irreführend ist: Hänel sagt dazu, dass diese Leute eigentlich Frauen verfolgen, sie kümmern sich weder um ungewollte Kinder noch darum, eine familienfreundliche Gesellschaft zu gestalten. In einem Interview mit Neues Deutschland stellt sie klar: „Es ist Quatsch zu sagen, man sei gegen Abtreibung und für das Leben. Mit Gesetzen, die Abtreibungen bestrafen oder nicht mehr zulassen, sterben am Ende Frauen. Das hat die Geschichte gezeigt, und das ist global gesehen nach wie vor so.“

Sogenannte Abtreibungsgegner wie Yannic Hendricks machen es sich dennoch zur Aufgabe, Ärzt*innen zu verfolgen, zum Beispiel indem sie sie wegen des „Werbeparagrafens“ anzeigen und sie mit angedrohter Strafverfolgung dazu zu bringen, ihr Angebot des Schwangerschaftsabbruchs aus dem Internet zu entfernen, oder wie Klaus Günter Annen, der auf seiner Seite „Babycaust“ nicht nur 1200 Praxen und Ärzt*innen an den Pranger stellt, die Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen anbieten, sondern – ganz wie nebenbei – auch den Holocaust gefährlich relativiert. Problematisch an der ganzen Sache ist nicht nur, dass Frauenfeinde so den Rechtsstaat nutzen können, um Ärzt*innen unter Druck zu setzen, sondern auch, dass die medizinisch wichtigen Informationen durch den „Werbeparagrafen“ unter Verschluss bleiben und nur auf wenigen Seiten, wie der der Bundeszentrale für ärztliche Aufklärung, thematisiert werden, während „Abtreibungsgegner“ wie Klaus Günter Annen ihre menschenfeindlichen Ansichten über Schwangerschaftsabbrüche genauso wie Fehlinformationen und schwarze Listen mit Ärzt*innen einfach so im Internet verbreiten können.

Auch die Shoahrelativierung, die mittels Annens Seitentitel „Babycaust“ betrieben wird, zeigt, wie menschenverachtend die selbsternannten „Lebensschützer“ vorgehen. So ein Vergleich von Schwangerschaftsabbruch und Holocaust ist allen Betroffenen gegenüber, ob nun ungewollt Schwangeren oder holocaustüberlebend/-betroffen, schmerzhaft und unfassbar respektlos. Hänel klagte gegen den Vergleich von Schwangerschaftsabbrüchen mit dem größten Verbrechen der menschlichen Geschichte und gewann. Lernen tun wir aus dieser Geschichte eines: den „Abtreibungsgegner*innen“ geht es nicht um die Wertigkeit des Lebens, wenn sie gegen Ärzt*innen, Dozierende die Schwangerschaftsabbrüche lehren und ungewollt Schwangere hetzen. Ihnen geht es um weitere Eingriffe in die Selbstbestimmung von schwangeren Personen, und es ist an der Zeit, ihnen dafür die rechtliche Grundlage endgültig zu entziehen.

Ihrem Informationsanspruch kommt Kristina Hänel übrigens trotzdem nach: auf ihrer Homepage ist nicht nur weiterhin zu lesen, dass sie Schwangerschaftsabbrüche durchführt, sondern auch wichtige Informationen im Zusammenhang von Covid-19 und den Beratungen zum Schwangerschaftsabbruch.

Danke, Frau Hänel!

Und danke an alle anderen Ärzt*innen, Jurist*innen, Studierende und Aktivist*innen, die In Deutschland sowie in Polen weiter für die körperliche Selbstbestimmung von Frauen und gebärfähigen Menschen kämpfen. Die gesellschaftliche und rechtliche Tabuisierung von Schwangerschaftsabbrüchen muss enden – dafür kämpfen wir gemeinsam, heute sowie jeden Tag!

Und an unsere Freund*innen und Mitkämpfer*innen in und aus Polen:

Stoimy po waszej stronie! (wir stehen an eurer Seite)

Wlaczy razem z wami! (wir kämpfen gemeinsam)