Donnerstag 29.10.20, 10:43 Uhr
Kundgebung am 26. 10. 2020: Solidarität mit den Protestierenden gegen das Abtreibungsverbot in Polen!

Redebeitrag der Initiative Frauen*kampftag Bochum


In diesem Redebeitrag geht es um verschiedene Ebenen von Gewalt an FLINT Personen sowie an gebärfähigen Menschen. Wir sprechen hier unter anderem von gebärfahigen Menschen anstatt von Frauen, um darauf aufmerksam zu machen, dass nicht nur weiblich gelesene Menschen von der Restriktion reproduktiver Rechte betroffen sind. Von FLINT Personen sprechen wir, weil unsere feministische Solidarität nicht nur an Frauen sondern an alle Personengruppen, die besonders vom Patriarchat unterdrückt werden, rausgeht! Auch wenn es sich hierbei um ein Thema handelt, über das zu Sprechen nicht immer leicht fällt, finden wir es notwendig, geschlechtsspezifische Gewalt gegen FLINT Personen als solche zu benennen, gerade weil es die Realität vieler FLINT Personen ist. Nur wenn die zugrundeliegenden Strukturen sichtbar gemacht und analysiert werden, können diese bekämpft werden.

FLINT (also Frauen, Lesben, Inter, Trans Personen) sehen sich beinahe täglich verschiedensten Formen von Gewalt ausgesetzt, sowohl physische als auch psychische. Das Abtreibungsgesetz in Polen ist eine Form der institutionalisierten Gewalt an gebärfähigen Menschen.Die körperliche Selbstbestimmung gebärfähiger Menschen wird so beinah komplett unterdrückt. Denn gebärfähige Menschen dazu zu zwingen, gegen ihren Willen ein Kind auszutragen, ist nichts anderes als Fremdbestimmung und ein direkter Auswuchs patriarchaler Gewalt.

Patriarchale Gewalt erleben FLINT Personen auch beinahe täglich auf offener Straße. In Bochum ist beispielsweise das Bermudadreieck ein unsicherer Ort für FLINT Personen. Das Bermudadreieck ist im ganzen Ruhrgebiet und auch darüber hinaus als Partymeile bekannt. Es gilt als eine der größten Attraktionen in Bochum für junge Leute und wird als solche beworben. Doch was sich hier regelmäßig und verdichtet abspielt, ist alles andere als feierlich: Enthemmte, betrunkene Männer, die sich auch gern in Gruppen als Junggesellenabschiede zusammenfinden, fühlen sich zu unangenehm sexistischem bis hin zu grenzüberschreitendem Verhalten ermutigt. Doch bei der ständigen Degradierung und Abwertung beim Catcalling, starrenden Blicken, Verfolgungen und unerwünschten Berührungen, die FLINT Personen beinah überall zu ihrem Alltag zählen müssen, bleibt es längst nicht. Auf Zurückweisung und Ablehnung reagieren gekränkte Männer, die den eigenen Machtverlust fürchten, oftmals mit verbaler oder physischer Gewalt. Verhaltensweisen dieser Art von Männern sind gesellschaftlich akzeptiert und sind ein Zeichen internalisierter Frauen*feindlichkeit. In den Medien werden sie als gescheiterte Flirtversuche bagatellisiert und die Schuld in den vielen Fällen bei den Betroffenen selbst gesucht, die sich angeblich falsch kleiden, falsch reagieren, zur falschen Uhrzeit oder mit den falschen Freunden oder eben allein unterwegs waren.

Bei Frauenmorden, sogenannten Feminiziden, kommt es zur existenziellsten Form der körperlichen Gewalt gegen FLINT Personen , die zum Tod führt. Oft werden Feminizide jedoch nicht als das erkannt, was sie sind, nämlich das Töten einer FLINT Person aufgrund ihres Geschlechts. Häufig werden Feminizide als Beziehungsdramen verharmlost. Doch Tatsache ist: FLINT Personen werden aufgrund ihres Geschlechts, wegen vermeintlicher Ehrverletzung oder im Streben nach unumstößlicher Macht getötet.Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend hält für das Jahr Anfang diesen Jahres in einer Studie fest: Jede dritte cis Frau (was hier?) in Deutschland ist mindestens einmal in ihrem Leben von physischer und/oder sexualisierter Gewalt betroffen. Etwa jede vierte cis Frau wird mindestens einmal Opfer körperlicher oder sexueller Gewalt durch ihren aktuellen oder früheren Partner.(“)

Die Verharmlosung von Gewalt gegen FLINT Personen setzt sich auch in der Justiz fort und schlägt sich nieder in der tatsächlichen Zahl der zur Anzeige gebrachten Übergriffe und Verurteilungen: Nur einer von 100 Vergewaltigern wird verurteilt. Die Betroffenen müssen sich einer retraumatisierenden Befragung durch die Polizei und das Gericht aussetzen, die unzureichend sensibilisiert sind. Als Betroffene den Vorfall in jeglicher Art publik zu machen und aktiv zu werden, wirkt sich zudem häufig negativ auf verschiedene Lebensbereiche der Betroffenen aus das : Von sozialer Ächtung und Ausschluss bis hin zu ökonomischem Schaden. In Fällen wie diesen offenbart sich die absolute Widerlichkeit des Patriarchats, das die als weiblich gelesenen Menschen zum ewig kommentierbaren, bewertbaren, greifbaren und verfügbaren Objekt degradiert. Die geschlechtsspezifische Ausübung von körperlicher und psychischer Gewalt gegen FLINT Personen ist Bestandteil patriarchaler Strukturen. Über das Mittel der Gewalt wird Macht hergestellt, reproduziert und gesichert.

Übergriffe auf FLINT Personen sind nur dann von politischem und medialem Interesse, wenn sie bestehenden rassistischen Ressentiments entsprechen und für rassistische Politik instrumentalisiert werden können. So sollen diese Muster der Gewalt und Übergriffigkeit, die Bestandteil aller patriarchalen Gesellschaften sind, ethnisiert und aus dem Nationalstaat ausgelagert werden. Ganz nach dem Motto: Nicht wir, nein nein, die anderen sinds.

Am Falle der #metoo-Bewegung hat sich gezeigt, was erreicht werden kann, wenn von Sexismus Betroffene ihre persönlichen Unterdrückungserfahrungen in die Öffentlichkeit tragen und damit der notwendigen Erkenntnis folgen, dass das Private politisch ist! Wir müssen die Missstände sichtbar machen! Solidarität ist die Voraussetzung dafür alle Strukturen zu zerschlagen, die das Patriarchat tragen! Seid wach, reflektiert euch und euer Umfeld! Übernehmt Verantwortung für euer Handeln! Seid mutig und laut! Holt euch Hilfe und unterstützt andere! Bildet Banden! Schließt euch zusammen! Wir sind solidarisch mit den FLINT Personen Frauen in Polen und in der ganzen Welt, die gegen die Unterdrückung im Patriarchat, im Kapitalismus und im Postkolonialismums und für ein selbstbestimmtes Leben kämpfen! Gemeinsam sind wir gemeiner!