Dienstag 27.10.20, 17:32 Uhr
Kundgebung am 26. 10. 2020: Solidarität mit den Protestierenden gegen das Abtreibungsverbot in Polen!

Redebeitrag der Sozialen Medizin Ruhr


Mit der Entscheidung des polnischen Verfassungsgerichts wird aus einer schlimmen Situation eine absolut katastrophale. Dieses hat Schwangerschaftsabbrüche aufgrund schwerer Fehlbildungen für verfassungswidrig erklärt, womit eine der letzten Ausnahmen vom generellen Abtreibungsverbot der rechtskonservativen Regierung in Polen wegfällt. Das bedeutet: ungewollt Schwangere sind in Zukunft dazu gezwungen, Schwangerschaften zu Ende auszutragen, die nach Geburt keine Überlebenschance haben. Das geht mit erheblichen medizinischen Risiken einher und kann die Chance auf eine zukünftige erfolgreiche Schwangerschaft mindern.

Diese Entscheidung wird schwangere Personen in Not bringen, und sie zum illegalen Abbruch oder ins Ausland treiben. Schon jetzt reisen sie nach Tschechien, Deutschland oder in die Ukraine.

Laut der WHO sind 13,2% der Tode während einer Schwangerschaft auf unsichere Abtreibungen zurückzuführen. Die Stigmatisierung von ungewollt Schwangeren, restriktive Abtreibungsgesetze, schlechte Erreichbarkeit und hohe Kosten sind die Ursache für eben jene.

Auch von restriktiven Abtreibungsgesetzen und schlechter Erreichbarkeit kann in Deutschland ein Lied gesungen werden. Innerhalb von 15 Jahren ist die Zahl der Praxen und Kliniken, die eine Abtreibung anbieten, um 40% gesunken. Waren es 2003 noch circa 2000 Stellen, sind es momentan nur noch circa 1200. Gerade der ländliche Raum leidet besonders unter der mangelnden Versorgung. Dadurch sind viele Menschen dazu gezwungen, mehrere hundert Kilometer zu fahren, was für viele Schwangere erhebliche finanzielle und logistische Probleme bedeutet.

In Deutschland herrscht, nach Polen und Malta, das restriktivste Abtreibungsgesetz in ganz Europa. Nach §218 können Abtreibungen immer noch strafrechtlich verfolgt werden. Das Ganze basiert auf einem Gesetz aus dem Jahre 1871. So werden heute immer noch ÄrztInnen und ungewollt Schwangere kriminalisiert und stigmatisiert. Deshalb, der Schwangerschaftsabbruch muss raus aus dem Strafgesetzbuch.

Aufgrund des Werbeverbots nach §219a können ÄrztInnen aber nicht ausreichend darüber informieren, welche Methoden sie anbieten und wie diese durchgeführt werden. Dazu kommt, dass selbsternannte LebensschützerInnen zunehmend den Paragraf 219a nutzen, um ÄrztInnen anzuzeigen, so auch Kristina Hänel, die im November 2017 zu einer Geldstrafe von 6000€ verurteilt wurde, weil sie auf ihrer Homepage darüber informiert, Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen.

Die Strafrechtliche Verfolgung von ÄrztInnen, radikale AbtreibungsgegnerInnen und fehlender ärztlicher Nachwuchs führen zu einer immer schlechteren Versorgung für Betroffene. Denn auch in der medizinischen Lehre findet der Schwangerschaftsabbruch kaum Platz.

Obwohl im Gegenstandskatalog des IMPP das Thema Schwangerschaftsabbruch explizit genannt wird, findet es hier an der medizinischen Fakultät nicht zuletzt deshalb keine Beachtung, weil an den Universitätskliniken in Bochum keine Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt werden.

Das heißt, dass ich in 6 Jahren Studium weder praktisch noch theoretisch darauf vorbereitet werde, einen Schwangerschaftsabbruch durchzuführen. Wie soll eine adäquate Versorgung gewährleistet sein, wenn angehenden ÄrztInnen nicht die nötigen Fertigkeiten vermittelt werden?

Nur in Eigeninitiative konnten wir uns das Wissen aneignen, indem wir mit einer Gynäkologin an Papayas den chirurgischen Eingriff geübt haben. Dass das keine dauerhafte Lösung sein kann, ist jawohl klar. Deshalb fordern wir eine angemessene Lehre für Studierende. Der Schwangerschaftsabbruch gehört in die medizinische Lehre!

Die prekäre Lage hat sich während der Corona-Pandemie noch weiter verschlimmert, denn viele von den nur 1200 ÄrztInnen, die in Deutschland Abbrüche durchführen, gehören aufgrund ihres Alters zur Risikogruppe. Kliniken verweigerten den Abbruch, weil er nicht als notwendige Leistung angesehen wurde, Krankenkassen verweigerten die Kostenübernahme online zu regeln und Beratungsstellen hatten geschlossen.

So verlieren ungewollt Schwangere unnötig Zeit und Geld und die Eingriffe werden später als nötig oder im schlimmsten Fall gar nicht mehr durchgeführt.

Vor allem betroffen sind dabei Frauen, die in prekären Lebensbedingungen leben, Trans*Menschen, Geflüchtete und Menschen ohne Papiere.

Deshalb gilt, egal ob Pandemie oder nicht, Schwangerschaftsabbruch ist Grundversorgung. Egal wo. Egal wann und egal wer.