Dienstag 27.10.20, 12:31 Uhr
Kundgebung am 26. 10. 2020: Solidarität mit den Protestierenden gegen das Abtreibungsverbot in Polen!

Rede von Maja B. vom SDS


Immer wieder wird von Kritiker:innen des Feminismus hinterfragt, ob der Feminismus überhaupt noch eine Daseinsberechtigung hat. „Männer“ und „Frauen“ seien doch schon gleichberechtigt. Das würde ja sogar das Grundgesetz sagen mit den Worten “
Männer und Frauen sind gleichberechtigt.“ Jedenfalls im globalen Norden gebe es doch keinen Unterschied in der Behandlung von Cis-Männern und Cis-Frauen.
Doch selbst das Grundgesetz erkennt, dass das echte Leben anders aussieht. Danach heißt es „Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.“ Das heisst ganz klar, dass es ja gerade doch noch keine Gleichbehandlung gibt. Und heute sind wir aufgrund von einem Anlass zusammengekommen, der gleichermaßen traurig ist und anschaulich zeigt, dass es gerade doch einen Grund dafür gibt, dass Sexismus immer noch existiert – auch im globalen Norden. Einen Grund dafür, dass Frauen und LGBTQ+-Menschen weltweit auf die Straße gehen müssen, um für ihre Rechte zu kämpfen.

Anlass für die Kundgebung heute ist die verschärfte Lage in Polen. Für Menschen, die ungewollt schwanger geworden sind, hat sich die Situation in den letzten Tagen dramatisch verschlechtert. Schon länger ist Polen als restriktives Land bekannt, was Selbstbestimmungsrechte über den eigenen Körper anbelangt. Schon bisher ist es so, dass in Polen weniger als 2000 Abtreibungen pro Jahr auf legalem Wege durchgeführt werden. Dem gegenüber stehen circa 200.000 pro Jahr die auf illegalem Wege oder im Ausland durchgeführt werden. 200.000 mal werden Menschen gezwungen, immense Kosten und körperliche Gefahren auf sich zu nehmen, nur weil eine Regierung ihnen das Recht verwehrt, über ihren eigenen Körper zu bestimmen.
Und trotzdem wurde in den letzten tagen eine neue Dimension erreicht. Nach dem Beschluss des polnischen Verfassungsgerichts gibt es quasi keine Möglichkeiten für Menschen in Polen, eine Abtreibung legal durchzuführen. Das Verfassungsgericht hat die Abtreibung nun auch für den Fall, dass der Fötus unheilbar krank ist und sogar für die Situation, in der die Wahrscheinlichkeit einer Totgeburt besteht, für verfassungswidrig erklärt.

Eine Ausnahme sollen Schwangerschaften in Folge einer Vergewaltigung sein. Aber als wäre eine Vergewaltigung nicht schon tragisch genug, soll den Menschen in so einer Situation noch zugemutet werden, ihre Vergewaltigung nachzuweisen, wobei doch allen bewusst ist, dass das nur in den aller seltensten Fällen möglich ist. Welches Opfer kann in dieser Notsituation schon belastbare Beweise für eine Vergewaltigung zusammentragen? Darüber hinaus bedarf schon das bloße Anzeigen einer Vergewaltigung einer riesigen Überwindung. Vergewaltigungen werden schließlich zu 70- 80% von Täter:innen aus dem näheren Bekanntenkreis des Vergewaltigungsopfers begangen. Es ist also so, dass ein Mensch vergewaltigt wird, sich dazu überwindet, diese Vergewaltigung anzuzeigen, brauchbare Beweise sammeln muss und dann zur Polizei geht. Da kommt dann aber noch das Problem dazu, dass Vergewaltigungsopfer von den Behörden vielfach nicht ernst genommen werden. Nicht selten taucht Fragen auf wie: was hast du denn getragen, als du vergewaltigt wurdest? Bist du nicht selbst daran schuld, wenn du so spät nachts allein draußen rumläufst?
All diese Probleme und dazu wird den Personen noch die Bürde aufgelastet diese Vergewaltigung nachzuweisen, um überhaupt eine Abtreibung vornehmen zu dürfen.

Kamila Gasiuk-Pihowicz, ein Mitglied der polnischen Bürgerrechtsplattform, kritisiert die Entscheidung des polnischen Verfassungsgerichts zurecht: Ein Staat der seine Bürger per Vorschrift unmenschlich behandele, höre auf, ein Statt zu sein. Anzuordnen, todkranke Kinder zu gebären, und dies in Paragraphen zu kleiden, ist moralisch der Tiefstpunkt, ein juristischer Sumpf.
Zu recht gehen die Pol:innen seit Tagen zu zehntausenden, zu zwanzigtausenden auf die Straßen!

Diese neue Eskalation der Lage reiht sich ein nicht nur in eine andauernde Attacke auf weibliche Selbstbestimmung, sondern geht wie jede antifeministische Bewegung auch mit Gewalt gegen die LGBTQ+-Community einher. Neben der anhaltenden offenen Feindseligkeit der katholischen Kirche in Polen gegenüber der LGBTQ+-Community haben kürzlich einige Städte angefangen, sich als LGBTQ+-frei zu deklarieren. Damit schreitet die Marginalisierung und Diskrimimierung von Menschen, die nicht in ein cisheteronormatives, patriarchales Weltbild passen, weiter fort. Angesichts des grassierenden Antifeminimus im Westen und seiner Wegbereiter-Funktion für rechtsextremes Gedankengut handelt es sich hier um ein gravierendes Problem, das auch in Deutschland viel stärker beachtet werden muss.

Die Gesetzeslage hinsichtlich Schwangerschaftsabbrüchen ist in Deutschland deutlich besser. Aktuell ist es grundsätzlich möglich, bis zum Ende des dritten Schwangerschaftsmonats ohne konkreten Grund Abtreibungen durchzuführen. Auch darüber hinaus sind Abtreibungen möglich, etwa wenn das Leben des schwangeren Menschen gefährdet ist. Aber ich möchte die aktuelle Situation in Deutschland gar nicht glorifizieren. Auch hier gibt es gravierende Missstände und ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. Es ist so, dass Abtreibungen im Grunde rechtswidrig sind, aber in manchen Fällen straffrei. Dafür muss man als schwangerer Mensch bestimmte Regeln befolgen. Man muss sich beraten lassen und nach der Beratung drei Tage warten, bevor man den Schwangerschaftsabbruch vornehmen lässt. Das geht grundsätzlich immer bis zum Ende des dritten Schwangerschafsmonats. Diese Fristenlösung wird von manchen Vertreter:innen der bürgerlichen Mitte als Kompromiss zwischen den „Pro-Life“ und „Pro-Choice“-Anhänger:innen gefeiert. Es ist aber so, dass die Grenze von drei Monaten kein Zeitpunkt ist, nachdem eine Abtreibung nicht mehr möglich wäre. Sie schadet dabei auch nicht dem Körper der schwangeren Person. Ich sehe schon da einen eklatanten Missstand. In Bezug auf den eigenen Körper sollte niemand einen Kompromiss eingehen müssen!
Dabei ist der hoch gefeierte Kompromiss auch kein so sachlicher Kompromiss. Den Beratungsstellen wird in § 219 StGB aufgetragen, die schwangere Person dahingehend zu beraten, dass sie das Kind behält. Das ist nicht das Gleiche wie jemandem die freie Wahl zu lassen.
Aber es kommt noch schlimmer. Über den dritten Monat hinaus sind Schwangerschaftsabbrüche zwar noch möglich, aber nur noch bei Lebensgefahr oder der Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes aufgrund von kriminologischer oder medizinischer Indikation. Das heißt, dass der schwangere Mensch entweder einer Lebensgefahr oder einer Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes ausgesetzt sein muss. Auch im Fall einer Vergewaltigung sind Schwangerschaftsabbrüche noch nach dem dritten Monat möglich. Hier zeigt sich ja, dass der Gesetzgeber sehr wohl gesehen hat, dass eine Abtreibung auch nach dem dritten Monat noch möglich und nötig ist. Warum dürfen wir denn dann nicht selber entscheiden, wann wir eine Abtreibung für nötig halten? Warum ist das Wohlergehen eines Fötus in unserem Körper wichtiger, als unsere Körper?
Außerdem finde ich, dass man wieder miteinbeziehen muss, wie schwierig es ist, eine Vergewaltigung nachzuweisen. Menschen, die Opfer einer Vergewaltigung werden, befinden sich – wie ich schon gesagt habe – in einer außergewöhnlichen psychischen und physischen Belastungssituation.

Lasst uns noch über den Zugang zur Abtreibungsmöglichkeiten reden. Vorab – es gibt genau einen Arzt in Bochum,der Abtreibungen durchführt. Selbst nachdem man sich beraten lassen hat und dann noch zwangsweise drei Tage warten muss, kostet so eine Abtreibung auch noch Geld. Die Kosten für eine Abtreibung werden von Krankenkassen aber nur in den kriminologisch bzw. medizinisch indizierten Fällen übernommen – das heißt, dass die Krankenkasse die Kosten für Frauen*, die ohne Angabe eines Grunds selbstbestimmt über ihren Körper entscheidet, gerade nicht übernimmt. Das kann nicht sein. Ein Schwangerschaftsabbruch darf nicht nur Leuten zustehen, die sich die paar hundert Euro für die Abtreibung leisten können. Die Kosten für einen Schwangerschaftsabbruch müssen jederzeit für alle Menschen unabhängig von dem Grund der Schwangerschaft von der Krankenkasse übernommen werden! Selbstbestimmung über den eigenen Körper darf nicht von den finanziellen Mitteln abhängig gemacht werden.

Außerdem kennen wir ja alle dieses veraltete Konstrukt des Werbungsverbots, dass immer noch in § 219a StGB steht. Es wird Ärzt:innen also verboten, darauf hinzuweisen, dass sie Schwangerschaftsabbrüche durchführen, denn das sei Werbung. Wir reden hier aber nicht von Werbespots zur PrimeTime, von großflächigen Plakaten, mit denen die Stadt gepflastert wird, durch die schwangere Menschen quasi dazu gezwungen werden, eine Schwangerschaft abzubrechen, noch bevor diese begonnen wird – nein. Wir reden davon, dass der bloße Hinweis, dass Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt werden – wie im Fall Kristina Hänel – verboten ist. Die Regierung scheint davon auszugehen, dass schwangere Menschen nichts lieber tun würden, als fröhlich Schwangerschaften abzubrechen, nur weil es die Möglichkeit dazu gibt. Mit derselben Argumentation wurde übrigens auch jahrelang vertreten, dass die Pille danach nicht ohne ärztliches Rezept erhältlich sein soll. Die Regierung hat ehemals wohl befürchtet, dass wir die Pille danach wohl schlucken würden wie Smarties.

Wir fordern, dass Schwangerschaftsabbrüche in Polen und Deutschland allen zugänglich gemacht werden, die das Wünschen. Schwangerschaftsabbrüche dürfen auch nicht rin den ersten drei Monaten möglich sein – dass das geht, zeigen unsere unmittelbaren Nachbarn wie die Niederlande und Großbritannien.
Abtreibungen kann man nicht verhindern. Man kann den Frauen nur Würde und gesundheitliche Unversehrtheit geben bzw nehmen.