Freitag 16.10.20, 10:40 Uhr
Rede auf der ver.di-Warnstreik-Kundgebung am 14.10. 20 in Bochum

Birgit Sperner, stellv. ver.di Landesbezirksleiterin: Aus Held*innen wurden lästige Kostenfaktoren


Hallo Bochum!

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

schade, dass ihr nicht hier oben steht und Euch sehen könnt, das ist ein beeindruckendes Bild.
Ihr seid mit Abstand die Besten!
Ihr seid mit Abstand die Besten! Und das seid Ihr nicht nur, weil ihr Euch hier und heute an Coranaregeln haltet. Gesundheit hat für uns heute und immer oberste Priorität. Aber wir lassen uns von diesem Coronavirus nicht unser Streikrecht nehmen. Wir sind trotzdem stark!
Ihr seid mit Abstand die Besten, weil ihr mit Entschlossenheit hinter der Tarifforderung von ver.di steht und heute Zeichen setzt, dass mit den Beschäftigten im öffentlichen Dienst zu rechnen ist!

Birgit Sperner, stellv. ver.di Landesbezirksleiterin
Birgit Sperner

Die Streikbeteiligung ist hoch.
Ich freue mich, heute hier in Bochum rund 1.500 Streikende begrüßen zu dürfen! Und viele sind noch vor Ort. Vielen Dank, dass Ihr da seid! Vielen Dank für die Unterstützung!

Und wir sind nicht allein!

Allein in Nordrhein-Westfalen haben in den letzten Wochen mehr als 50.000 Kolleginnen und Kollegen aus allen Bereichen, Einrichtungen und Betrieben der Kommunen und des Bundes mit Abstand und mit Masken sehr verantwortungsvoll gestreikt. Diese Woche kommen wieder viele Tausend dazu.

Wer hätte das noch vor einigen Wochen für möglich gehalten?

Die Arbeitgeber sicher nicht.

Es ist ja nun so, dass dieses Coronavirus seit März große Teile des gesellschaftlichen Lebens auch für uns als Gewerkschaften bestimmt. Jeden Tag gibt es neue Erkenntnisse über Krankheitsverläufe, Symptome und Auswirkungen von Covid 19. Ein Krankheitsbild das durch die Pandemie verursacht wird und in den letzten Wochen verstärkt aufgetreten ist, ist vollkommener Gedächtnisschwund. Befallen sind die öffentlichen Arbeitgeber in dieser Tarifrunde. Massiv! Offensichtlich gibt es einen Blackout, die Festplatte ist gelöscht.

Der Grund, warum dieses Land bisher ganz gut durch die Krise gekommen ist, ist die hohe Qualität der öffentlichen Daseinsvorsorge – wir haben einen starken öffentlichen Dienst. Und das obwohl über Jahre hinweg der Rotstift angesetzt worden ist, Stellen unbesetzt sind und Personalmangel herrscht. Ihr habt das mit Eurem Engagement Eurer Leistung in den schweren Zeiten der Krise kompensiert.

Ich sehe die großen Mengen an zusätzlichem Müll, die zu beseitigen sind oder die angestrengte Situation in den Kitas, wo oft die Hygienemaßnahmen kaum einzuhalten sind. Oder alle die im Homeoffice vom Küchentisch aus zum Beispiel Kurzarbeitsanträge bearbeiten und Unterstützung leisten. Ich denke an die Menschen, die in den Gesundheitsämtern, in den Seniorenheimen, Bürgerservice, in den Krankenhäusern oder in der Pflege, in den Rettungsdiensten, bei den Feuerwehren oder in Behinderteneinrichtungen täglich ihre Gesundheit riskieren, um den Laden am Laufen zu halten.

Und dass das trotz Mittelkürzungen und Stellenstreichungen so gut funktioniert, ist das Ergebnis Eurer Leistung. Die Kolleginnen und Kollegen in der gesamten Breite des öffentlichen Dienstes sind in Verantwortung gegangen, um den Laden am Laufen zu halten. Ihr seid tatsächlich Heldinnen und Helden! Ihr seid systemrelevant. Ihr seid unverzichtbar!

Und das macht uns selbstbewusst in dieser Tarifrunde.

Von vielen Politikerinnen und Politikern hat es Applaus gegeben und viele warme Worte. Schon da haben wir gesagt: Klatschen reicht nicht – wir wollen nicht nur Dank und gute Worte, wir wollen Taten folgen sehen.

Und jetzt gibt es – zumindest bei denen, die auf Arbeitgeberseite die Tarifverhandlungen führen – Gedächtnisschwund. Allen voran die kommunalen Arbeitgeber wollen nichts mehr wissen von dem, was im Frühjahr an Respekt und Anerkennung gegolten hat. Die vollmundigen Bekenntnisse so mancher Politiker*innen für eine bessere Bezahlung in der Zeit der Tarifrunde haben sich als reine Lippenbekenntnisse entpuppt. Heute seid Ihr – die Heldinnen und Helden jener Tage nur noch lästige Kostenfaktoren.

Applaus war gestern – jetzt gibt es einen Tritt vor’s Schienbein. Das lassen wir nicht mit uns machen.

Es gibt viel öffentliche Aufmerksamkeit und an vielen Stellen wird diskutiert: Ist das der richtige Zeitpunkt für eine Tarifrunde im öffentlichen Dienst? Nein Kolleginnen und Kollegen, das ist er nicht. Wir unterliegen zahlreichen Einschränkungen. Es ist noch nicht einmal möglich, die große Tarifkommission in einen Raum zu holen und zu diskutieren und trotzdem ist der Zeitpunkt notwendig.

Wir alle haben großen Respekt davor, in Zeiten von Corona in den Arbeitskampf zu ziehen und Streikaktionen durchzuführen, aber das Verhalten der Arbeitgeber lässt uns keine andere Wahl.

Auch für uns war klar, dass sich durch Corona die Rahmenbedingungen für eine Tarifbewegung radikal verändert haben. Deshalb hat ver.di schon im Juni ein gutes Angebot gemacht. Mit einer Einmalzahlung und einer kurzen Laufzeit wollten wir eine schnelle Einigung am Verhandlungstisch erzielen. Dazu war die Bundestarifkommission zur Überbrückung dieser Zeit der Ungewissheit bereit.

Doch unsere weit ausgestreckte Hand ist hart ausgeschlagen worden. Die Arbeitgeber waren noch nicht einmal bereit über die Höhe einer Einmalzahlung zu sprechen, sondern haben das Angebot direkt abgelehnt. Sie wollten die Tarifrunde jetzt! Sie haben geglaubt, dass ihnen die Pandemie in die Karten spielt.

Sie haben geglaubt, dass die Beschäftigten es nicht wagen, in den Arbeitskampf zu ziehen. Sie haben geglaubt, dass ihr Euch klein macht und sich das öffentliche Klima gegen Euch wendet.

Zwei Verhandlungsrunden sind mittlerweile verstrichen ohne ein verhandlungsfähiges Angebot. Im Gegenteil, anstatt ein verhandlungsfähiges Angebot zu unterbreiten, wird Stimmung gemacht gegen ver.di und die Beschäftigten im öffentlichen Dienst. Ja, der VKA-Hauptgeschäftsführer Benrath bezeichnete unsere Streiks im ÖPNV sogar als Anschlag auf die Allgemeinheit, volkswirtschaftlicher Schaden nicht ausgeschlossen.

Unsere Geduld wird gerade außerordentlich strapaziert, man kann es auch so beschreiben, wie Frank Werneke nach der ersten Verhandlungsrunde: „mit der VKA ist es sehr schwierig und der Bund ist auch keine Hilfe!“

Da ist nichts mehr von Lob und Anerkennung – sie haben es darauf angelegt. Sie haben geglaubt, dass wir genug öffentlichen Druck bekommen, damit Euch der Mut fehlt, auf die Straße zu gehen.

Doch damit haben sie sich geschnitten. Die Streikbeteiligung ist super und die Akzeptanz in der Öffentlichkeit ist hoch. Die Arbeitgeber tragen die Verantwortung, dass es jetzt notwendig geworden ist, in den Arbeitskampf zu ziehen. Wir haben einen anderen Weg vorgeschlagen, sie haben es nicht gewollt und jetzt gibt es die Quittung.

Obwohl sie angekündigt haben,Tempo machen wollten, haben es die Arbeitgeber auch in der zweiten Verhandlungsrunde nicht geschafft, ein Angebot vorzulegen, das auch nur annähernd den Namen Angebot verdient. Keine Wertschätzung, kein Ausgleich für die unzumutbaren Belastungen in den letzten Monaten für die Beschäftigten.

Was sie sich jedoch vorstellen können, sind eine gaaanz lange Laufzeit von 36-40 Monaten, keine Erhöhung in 2020, keine sichtbare Erhöhung in 2021 und dann schauen wir mal weiter. Das gilt auch für die Ausbildungsvergütungen, weil die Azubis im ÖD eh schon überdurchschnittlich verdienen.

Eine Angleichung der Arbeitszeit im Osten können sie sich 2025 vorstellen. Das ist ein Schlag ins Gesicht der Kolleginnen und Kollegen im Osten und das ist uns auch hier im Westen nicht egal.

Darüber hinaus haben uns die Arbeitgeber noch ein zusätzliches Ei ins Nest gelegt– den altbewährten Grundsatz „des Arbeitsvorgangs“ zur Bewertung der Eingruppierung wollen sie abschaffen. Damit wollen sie die Axt anlegen an das Herzstück der Eingruppierung. Statt der Anerkennung von Leistung ist das der Versuch den Beschäftigten noch zusätzlich in die Tasche zu greifen.

Und das ist mehr als unanständig!

Außerdem wollen sie an die Sparkassenzulage, das ist das 2. Mal, dass sie versuchen, bestehende Regelungen zu verschlechtern.

Nicht mit uns, Kolleginnen und Kollegen!

Und wie rechtfertigen die Arbeitgeber ihre Haltung, Kolleginnen und Kollegen? Sie sagen „Ja“ es wird schon viel geleistet im Öffentlichen Dienst aber dafür gäbe es ja sichere Arbeitsplätze.

Mal abgesehen davon, dass mehr als jede zweite Einstellung im öffentlichen Dienst befristet ist – stimmt es denn, dass der Verzicht auf Kündigungen ein Ausdruck von Respekt und Wertschätzung ist?

Ich meine Nein, liebe Kolleginnen und Kollegen!

Und deshalb sind unsere Forderungen mehr als berechtigt und gerade vor dem Hintergrund von Corona bescheiden:

Heute setzen wir hier in Bochum ein Zeichen und fordern die Arbeitgeber auf, noch vor der nächsten Verhandlungsrunde am 22. Oktober in Potsdam ein verhandlungsfähiges Angebot vorzulegen.

  1. Wir fordern die Erhöhung der Tabellenentgelte um 4,8 Prozent, mindestens 150 Euro. Damit wollen wir Anschluss halten an die allgemeine Lohnentwicklung. Das ist mehr als gerecht!
  2. Wir fordern die Erhöhung der Ausbildungs- und Praktikantenentgelte um 100 Euro und die Übernahme der Fahrtkosten mit ÖPNV. Und wir fordern die Übernahme für die Auszubildenden, damit die Ausbildung im öffentlichen Dienst attraktiv ist und der Nachwuchs, der dringend benötigt wird, gehalten werden kann.
  3. Wir fordern die besonderen Anliegen aus der Kranken- und Altenpflege sowie dem Rettungsdienst am Gesundheitstisch zu lösen.
  4. Aufgrund der Belastung der Beschäftigten wollen wir darüber verhandeln zusätzliche freie Tage nehmen zu können.
  5. Letztendlich fordern wir die Zeit- und inhaltsgleiche Übertragung des Ergebnisses auf die Beamtinnen und Beamten!

Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ihr macht richtig gute Arbeit in Euren Berufen, und das bei ständiger Zunahme an Aufgaben, Arbeitsverdichtung und Personalmangel. Ihr haltet den Laden am Laufen, Ihr seid systemrelevant und Ihr habt mehr verdient! Klatschen allein reicht nicht.

Wir erwarten ein anständiges Angebot! Jetzt seid Ihr dran!