Montag 14.09.20, 14:10 Uhr

Wolfgang Dominik zum Gedenktag an die Opfer des Faschismus am 13. 9. 2020


Die Bundesregierung hat mit offensichtlich anderen Ländern aus dem Bereich des Friedensnobelpreisträgers Europa beschlossen:
Wir setzen weiter auf die unmenschliche Politik der Abschreckung und Abschottung und auf das Verdursten und Ertrinken von Menschen, die durch unsere Wirtschaftspolitik und durch unsere Waffenexporte zu Flüchtlingen wurden.

Moria ist abgebrannt. Und ein Kanzlerkandidat posaunt: Wir nehmen Flüchtlinge bei uns auf, auch in NRW 1000, wenn (!!!) es eine europäische Regelung gibt. Und weil es die nicht gibt, bleibt alles beim Alten. Und dann erklärt der Innenminister am Freitagmittag: Wir lassen bis zu 150 Minderjährige von über 4000 Minderjährigen aus Moria  großzügig wie wir Deutschen nun mal sind, nach Deutschland kommen. Bis zu 150!! Das können auch 2 oder 3 sein. Inzwischen hört man 100. Wir müssen ja das Rechtssystem schützen. Und erst mal müsse sowieso beraten werden.

Bis Mittwochmittag hatte ich 2 Redeentwürfe fertig. Ich habe die sehr guten Reden der letzten Jahre auf unserer Homepage noch mal nachgelesen. Ich suchte nach neuen Schwerpunkten und glaubte, sie gefunden zu haben. Donnerstagmorgen änderten sich für mich die Voraussetzungen. Moria stand in Flammen. Ich bin zum letzten Mal vor ca. 15 Jahren  in Moria gewesen. Moria war eigentlich nur ein Dorf, aber noch sehr griechisch und schön.

Ich muss ein paar Worte zu Moria sagen. Vielleicht dürfen 100 Kinder nach Deutschland. So viele hatten wir  allein im Flüchtlingslager an der Alten Wittenerstraße in Bochum-Laer vor 4 Jahren.

Ich muss bei Abschottung an die Familie Pander aus Bochum denken:

Bei meinen und Michaels Stadtrundgängen kommen wir an einem Stolperstein für ein Mitglied der Familie Pander vorbei.

Vor einem Jahr lief der Film über die Flucht deutscher Jüdinnen und Juden nach Havanna. Alle mit Visa für Kuba. Die St. Louis, damals eins der ersten Kreuzfahrtschiffe, wurde von jüdischen Organisationen 1939 gecharchert.  Die St. Louis hatte ca. 900 jüdische Menschen an Bord. Menschen, die für Hapag-Lloyd ein gutes Geschäft bedeuteten, weil die überteuerte Passage in Dollars bezahlt werden musste. In Kuba angekommen  hatte kurz vorher die Regierung Kubas gewechselt, und die neue Regierung widerrief alle Visa für die  Passagiere der St. Louis. Kapitän Schröder, zwar NSDAP-Mitglied, aber ein echter Kapitän,  fühlte sich verantwortlich für seine Gäste an Bord. Er hatte den z.T. überzeugten Faschisten innerhalb der Mannschaft des Schiffes befohlen, die jüdischen Passagiere unter allen Umständen als Gäste wie normale Kreuzfahrtpassagiere zu behandeln. Schröder steuerte die USA an, weil Kuba nicht mit sich verhandeln ließ. Die USA sind wenige Seemeilen entfernt. Aber in den USA entschieden höchste Regierungsstellen sinngemäß: Wir haben genug Juden und Arbeitslose in den USA, die St. Louis hat aus unseren Gewässern zu verschwinden. Abschottung  ließ keine Flüchtlinge zu. Der Kapitän wusste, was seinen Flüchtlingen blühte, wenn er sie nach Deutschland zurückbringen würde. An Bord war auch die Familie Pander aus Bochum  – mehr dazu auf meinem Stadtrundgang am 25.10. und Michaels am 9.11. Durch viel Glück und höchstes persönliches Engagement gelang dem Kapitän eine andere Lösung. Er dampfte nach Europa zurück und erreichte eine Aufteilung seiner Passagiere auf 4 Länder Westeuropas. Ein Teil der Flüchtlinge wurde dennoch aus Holland, Belgien und Frankreich bald nach der Besetzung durch die deutschen Faschisten in die KZs transportiert, unter ihnen die Panders aus Bochum. Im Nachspann des Films „Zuflucht Havanna“ hieß es, dass jede Form von Abschottung tötet und nie wieder sein dürfe.

Heute gibt es mit Unterstützung der Regierung, die die Mehrheit der Wähler*innen gewählt haben, jede Menge von Abschottungen. Z.T. sehen wir es in den wenigen kritischeren Dokus im Fernsehen, wie es in libyschen Flüchtlings-Kz`s aussieht, in Moria auf Lesbos zugangen ist oder wie Flüchtlingsboote abgedrängt oder gar versenkt werden. Aus den Wüsten fehlen die Bilder. Die Zahl der Verdursteten dürfte die Zahl der Ertrunkenen übersteigen.

Das kapitalistische Wirtschaftssystem ist unmenschlich. Die Überlebenden der KZs wollten die Ursachen des Faschismus beseitigen. Wir werden den Schwur von Buchenwald zum Schluss der Veranstaltung von Vesna  hören.

Während wir hier zusammenstehen, verhungern in jeder Minute 4 Kinder oder sie sterben an einfach zu behandelnden Krankheiten. Wenn ihre Eltern mit ihnen aus dem Hunger fliehen, kommen  sie nicht weit. Jean Ziegler, der bekannte Schweizer Soziologe und UN-Beauftragte für Nahrungsmittel, schreibt, dass jedes Kind seinen Mörder kennen könnte, weil jedermann und jede Frau weiß, wer in den TOP-Etagen von kapitalistischer Profitwirtschaft und in den von ihnen abhängigen  Regierungen sitzt und über Tod oder Leben entscheidet. Der blanke Zynismus ist es, wenn Sprecher*innen aus der Regierung mitteilen, dass man ja nicht „alle“ Flüchtlinge, die wegen der wirtschaftlichen Misere in ihren Ländern fliehen, aufnehmen kann. Die Sprecher*innen vergessen, dass ein Großteil der wirtschaftlichen Misere erst durch Handelsverträge mit Deutschland oder Europa verursacht worden ist. Dass wir ihre Küsten leer gefischt haben, dass wir sie durch ungleiche Handelsverträge zum Verhungern gezwungen haben. „Wirtschaftliche Misere“ muss mit „Hungertod“ übersetzt werden. Eine Flucht nach Deutschland als Rettung vor dem Hungertod gibt es nicht.

Wir treiben einen exzessiven Waffenexport und zetteln Bürgerkriege in verschiedenen Ländern an oder unterstützen Halsabschneiderdiktaturen. Auch Kriegsflüchtlinge gelten nicht als politische Flüchtlinge.

Sollen sie verhungern und in den verwüsteten Ländern und in den Wüsten auf der Flucht  verdursten. Schaffen sie es bis zur Küste, sollen sie im Mittelmeer ertrinken.

Der relative Wohlstand für einige Menschen in wenigen kapitalistischen Ländern ist gegründet auf der totalen Armut der Hälfte der Menschheit, denen wir die Lebens-Mittel im weiten Sinn des Wortes, Mittel zum Leben, seit Jahrhunderten rauben, ihre natürlichen Ressourcen entweder für uns ausbeuten oder ganz zerstören, Menschen und Natur und Pflanzen und Tiere und das Klima.

Jedes hungernde du dürstende Kind auf den Straßen von Lesbos oder in den Lagern von Kos, Samos, Chios oder in libyschen KZ-ähnlichen Lagern weiß, wer sein Elend verursacht hat. Jean Ziegler hat das gerade in einem neuen Büchlein noch einmal so formuliert.

Er bezeichnet den sog. Westen, die Wertegemeinschaft, als total gewissenlos, skrupellos. Diese Wertegemeinschaft mordet seit Jahrhunderten. Ihr einziger Wert heißt Profitmaximierung. Die Wertegemeinschaft nennt das Menschenrechte und ihre Kriege heißen humanitäre Operationen.

Corona hat es geschafft, fast alle anderen Themen zu verdrängen. Es wird kaum mehr davon geredet, dass gerade mit „Dein Jahr für Deutschland“ praktisch eine neue Bundeswehreingreiftruppe für innerdeutsche Einsätze geschaffen wird. Ausgerechnet am Antikriegstag 1. September konnten sich die ersten melden. Bebachter*innen auch der VVN-BdA vermuten, dass hier ein neues reaktionäres oder faschistoides Ausbildungsmodell geschaffen wird. Der Name dieser Truppe soll sogar Heimatschutz heißen. So nennen sich faschistische Netzwerke schon lange. Offiziell verkünden  Politiker*innen, dass „man“ hier ja dem anwachsenden gewalttätigen Rassismus durch die immer ach so demokratische Bundeswehr begegnen will. Verdrängt war, dass sogar der Kriegsministerin die faschistischen Aktivitäten zum Beispiel bei der KSK  (Kommando Spezialkräfte) endlich  nach 20 Jahren zu weit gingen und eine ganze Kompanie  aufgelöst werden sollte – allerdings dadurch, dass die schwerst belasteten Soldaten nicht etwa entlassen, sondern in andere Truppenteile verlegt werden sollten.  Da werden sie neue Netzwerke der Faschisten bilden. „Kameradschaft, Ehre, Treue, Pflicht und Vaterland“ hatte die Kriegsministerin ausgerechnet im Bendler-Block beim letzten Gelöbnis der Bundeswehr als die Charakteristika des Soldatentums verkündet hat. Die rechten Kameradschaften und Heimatschutztruppen werden mit diesen Tugenden keinerlei Schwierigkeiten haben. Und diese Heimatschutztruppen sollen im Kriegsfall oder vielleicht schon vorher, Unruhen in der Bevölkerung unterdrücken, systemrelevante Wirtschaftsunternehmen und die Infrastruktureinrichtungen „schützen“.

Corona hat es geschafft,  auszublenden, dass die Kriegsministerin für 8 bis 10 Milliarden Euro unserer Steuergelder Atombombenflugzeuge einkauft, damit deutsche Pilot*innen nach us-amerikanischen Einsatzcodes, die auch die Pilot*innen nicht kennen, Atombomben aus Büchel in „Feindesland“ transportieren lässt und dass faktisch 70 Milliarden Euro an Steuergeldern demnächst in die offenen Rachen der deutschen und auch us-amerikanischen Mordwaffenproduzenten verschwinden. Der Helm eines Bomberpiloten oder -pilotin, kostet uns 800.000 Euro von Steuern. Für Entlüftungssysteme und Seife, um Coronagefahren in Schulen und Kindergärten etwas zu dämpfen, ist dann kein Geld mehr da. Für Moria vielleicht ein paar lächerliche Millionen, die wohl auch noch in Form deutscher Waffen für griechische Polizist*innen und Soldat*innen geschickt werden.

Es ist zu vermuten, dass heute die meisten Wähler*innen wieder die Parteien wählen, die noch mehr Rüstung, noch mehr Sozialabbau, noch mehr Raub von Lebensmitteln in unseren Quasi-Kolonien versprechen, noch mehr Waffenexporte. Und Abschottung und Abschreckung von denen, denen wir zuerst die Lebensgrundlagen rauben.

Und ständig neue Sicherheitsgesetze, neue Datenvorratspeicherung, noch mehr Überwachung und Vorbeugehaft versprechen, Bundeswehreinsatz nach innen und sicherheitshalber Gewöhnung der Bürger*innen durch sog. Warntage, also Sirenengeheul, an Kriege?

In Berlin kann ein Regierungsmitglied sagen, dass die Migration die Mutter aller Probleme ist. Oder wenn der gerade erwähnte Minister schon 2011 ungestraft sagen durfte, dass er sich bis zur letzten Patrone gegen Zuwanderung ins deutsche Sozialsystem wehren werde.

Wann werden die Worte zu Taten?

Faschist*innen und mit ihnen irgendwie befreundete  Gruppen  versuchen, vor laufenden Kameras den Reichstag zu stürmen. Hier sehen wir aber zumindest, dass es nicht ein „psychisch gestörter Einzeltäter“ mehr ist, wie sonst meist beschwichtigend nach dem Anschlag auf die Synagoge in Halle oder nach dem Mord an Ernst Lübcke heißt. Oder 3 Einzeltäter*innen nach den NSU-Morden.

Es gilt heute leider nicht mehr, den Anfängen zu wehren, sondern eher eine rollende Lawine aufzuhalten.

Wann wird aus einer konservativen eine konservativ-reaktionären Politik und wann eine faschistoide Politik oder mehr?

Die hier liegenden Ermordeten sind für den Wunsch nach einer Welt ohne Faschismus und Krieg und Verfolgung und Flucht gehenkt worden. Als politische Menschen kannten sie auch die Ursachen von Faschismus und Krieg und Verfolgung und Flucht.

Die Richter und Henker aller Ermordeten wurden in der BRD nie ernsthaft zur Rechenschaft gezogen.

Merkmale wie Sozialdarwinismus, Rassismus, Antisemitismus, völkisches Denken, Chauvinismus,  Militarismus waren ja 1945 nicht weg.

Die Ermordeten wurden lange Zeit totgeschwiegen oder die Morde auch an anderen Widerstandskämpfer*innen wurden durch Richter und Staatsanwälte der BRD in der Bundesrepublik gerechtfertigt – nach dem Motto des Ex-Marinerichters Hans Filbinger, der es nach rasanter Karriere bis zum Ministerpräsidenten in Baden-Württemberg brachte. Filbinger hatte gesagt: „Was damals Recht war, kann heute kein Unrecht sein.“ Er hatte es nur auf 4 nachgewiesene Todesurteile im Faschismus gebracht. Sein Nachfolger Günther Oetinger als Ministerpräsident machte ihn in seiner Ansprache zum Begräbnis Filbingers sogar zum Widerstandskämpfer. Hinterlassen hat Filbinger uns auf jeden Fall das neofaschistische Studienzentrum Weikersheim.

Und Filbinger war nicht allein: Die Restaurationsphase in der BRD beruhte auf den  ökonomischen Voraussetzungen, die den Faschismus ermöglicht hatten. Die personelle Restauration betraf alle staatlichen und privaten Bereiche: Ökonomie, Militär, Gerichts- und Schul- und Medienapparate, Geheimdienste und Polizei, Kirchen.

Vielen für den Massenmord Mitverantwortlichen gelang es, sich faktisch als Widerstandskämpfer nach 1945 darzustellen. Persilscheine machten  massenhaft die Runde. Die Soldaten der faschistischen Wehrmacht behaupteten, dass sie nie an Verbrechen teilgenommen hätten. Sie wären sauber geblieben. Auf Adolf Hitler vereidigt zu werden, gehörte wohl zu dieser Sauberkeit.

Sie wurden bald als Bundeswehr wieder gebraucht.

Einige Industrielle ahnten schon in der Weimarer Republik, dass irgendwann „Faschismusbedarf“, so Wolfgang Fritz Haug, kommen könnte und spendeten prophylaktisch auch für die NSDAP. Im Zuge einer riesigen kapitalistischen Krise schnellten die Wähler*innenzahlen der NSDAP mit Hilfe der Spenden des Großkapitals nach oben. Das Kapital fühlte sich mit einer faschistischen bürgerlichen Herrschaft sicherer und brachte die NSDAP an die Regierung. Die versprach durch Beseitigung der bürgerlichen Demokratie und Liquidation der Arbeiterorganisationen und -parteien nicht nur die kapitalistische Produktionsweise zu stabilisieren, sondern auch den Krieg vorzubereiten.

Wer kann ausschließen, dass wir – vielleicht auch als Corona-Folgelasten – eine vergleichbare Situation nicht wiederbekommen? In Thüringen wurde schon mal geprobt, wie die AFD an der Regierung beteiligt werden kann.

Das ging noch mal schief. Wie lange noch?

An den Gräbern der Ermordeten hier können wir nur den Schwur von Buchenwald wiederholen: Faschismus und Krieg darf nicht wieder sein. Ihre Ursachen müssen beseitigt werden. Vesna wird gleich den Schwur von Buchenwald ganz rezitieren.

Es liegen hier:

Johann Schmitfranz, 1898 bis 6.11.1944

Josef Langner, 1900 bis 13.12.1943

Wilhelm Thiesbürger,1915 bis 15.1.1945

Moritz Pöppe,  1887 bis 6.11.1944

Friedrich Hömberg, 1912 bis 4.10.1943

Wilhelm Schpenk, 1919 bis 2.5.1944

Bernhard Nast, 1900 bis 22.12.1944

Erich Schröder, 1897 bis   8.2.1937

Ich bitte um eine Gedenkminute.

Ich danke für eure Aufmerksamkeit!