Mittwoch 08.07.20, 12:47 Uhr
Bo-alternativ wurde von einem Pressegespräch der Stadt ausgeschlossen

Erster Rauswurf nach 21 Jahren 10


Die Stadt Bochum hat heute die Presse für ein „Sommergespräch mit der Stadtspitze“ eingeladen. Diese Einladung wird nicht nur an mehr als 150 Journalist*innen und Redaktionen verschickt, sondern auch auf der Webseite der Stadt veröffentlicht. Angekündigt wurde: „Im Gespräch mit Stadtbaurat Dr. Markus Bradtke geht es um Bürgerbeteiligung und Bürgerdialog in Corona-Zeiten. Viele Veranstaltungen mussten Corona bedingt abgesagt werden, kreative neue Lösungen waren und sind gefragt.“ Die Vertreter*innen der Redaktion von bo-alternativ.de durften heute zum ersten Mal in der 21-jährigen Geschichte dieses Webportals nicht an einem Pressegespräch der Stadt teilnehmen. Der Grund: Die beiden Vertreter*innen von bo-alternativ.de sind im Netzwerk für bürgernahe Stadtentwicklung aktiv. Sie üben häufig heftige Kritik an der mangelnde Bereitschaft der Stadt zur Bürgerbeteiligung und sind somit für bo-alternativ.de hoch qualifiziert, über die Darstellung der Stadt zu dem Thema zu berichten. Pressegespräche der Stadt sind in aller Regel Werbemaßnahmen und für bo-alternativ.de uninteressant. Wenn aber z. B. Konzepte zur Verkehrspolitik oder zur Innenstadtgestaltung vorgestellt werden, bittet die Redaktion von bo-alternativ.de Expert*innen auf dem jeweiligen Gebiet, an den Pressegesprächen teilzunehmen und darüber zu berichten. Einer der ersten Experten von bo-alternativ.de bei einem Pressetermin war vor vielen Jahren der verstorbene ehemalige Vorsitzende der VVN – BdA Klaus Kunold. Für die freien Mitarbeiter*innen war immer klar, dass sie nur Fragen stellen und keine Diskussion führen sollen.

Einlader*innen zu Pressegesprächen, die unerwünschte Teilnehmer*innen ausschließen wollen, verlangen in ihrer Einladung, dass Pressevertreter*innen sich für die Teilnahme akkreditieren. Das hat die Stadt bisher in aller Regel nicht gemacht. Wenn bei einem Pressegespräch jemand für die Mitarbeiter*innen des Presseamtes unbekannt ist, wird gefragt, wer das ist und wenn jemand antwortet, als freie Journalistin an dem Thema zu arbeiten oder Volontär bei der WAZ zu sein, wird das akzeptiert und kein Presseausweis verlangt.

Der heutige Rauswurf der beiden Vertreter*innen von bo-alternativ ist bedenklich, weil die örtliche Medien WAZ, Radio Bochum und Stadtspiegel vollständig oder größtenteils der Funke-Medien-Gruppe gehören. Die Stadt sollte so souverän sein, auch eine unabhängige nicht kommerziell orientierte Berichterstattung zuzulassen. Für das Netzwerk für bürgernahe Stadtentwicklung ist es ein großes Kompliment, dass die Stadt ihre Anwesenheit fürchtet.


10 Gedanken zu “Erster Rauswurf nach 21 Jahren

  • Kurt Schmidt

    Kurze Frage: Warum akkreditiert ihr euch nicht einfach wie alle anderen auch?

  • Thomas Sprenger

    Wir weisen diesen Vorwurf vehement zurück. Wir verweigern keinen Journalist/inn/en den Zugang zu Pressegesprächen. Im Gegenteil. Allerdings sind Pressegespräche ausschließlich Medienvertreter/inne/n vorbehalten. Leider konnten sich die oben genannten Personen nicht als Journalist/in legitimieren und wurden nur deshalb nicht zugelassen. Es wäre schön, wenn bo-alternativ dies geschrieben hätte – denn das war als einziger Grund für die Nicht-Teilnahme genannt worden. Dazu stehen wir als Pressestelle. Gerne setzt sich die Stadt in ihren vielfältigen Formaten zur Bürgerinformation und Bürgerbeteiligung mit der Sicht von Einzelpersonen, Expert/innen, Initiativen, Vereinen und Verbänden auseinander – in der Stadtentwicklung z.B. jüngst zum Husemannplatz und Bahnhofsquartier Wattenscheid oder aktuell zum Radschnellweg Ruhr (RS 1). Für diesen kritisch-konstruktiven Diskurs mit Bürger/innen gibt es öffentliche Formate. Thomas Sprenger, Stadtsprecher

  • Journalistin

    @Kurt Schmidt: „Wie alle anderen auch“ ist schonmal falsch. Bei Presseterminen der Stadt Bochum gibt es keine Akkreditierung.

    @Thomas Sprenger: Wenn Sie nun festlegen wollen, dass Medien in Bochum Seitens der Stadt erwünscht sind, und bürgerschaftliche Basis-Medien wie bo-alternativ.de nicht dazu zählen, dann können Sie das möglicherweise durchsetzen, so lange die vom Rausschmiss Betroffenen nicht dagegen vorgehen. Wehe aber, ich werde noch einmal ein Bericht von einer städtischen Pressekonferenz auf dem Blog des Vorsitzenden der SPD Bochum-Ehrenfeld Jens Matheuszik lesen. Der SPD-Kader berichtet auf seinem Blog nämlich regelmäßig von den städtischen Presseterminen. Ich nehme an, das wird nun auch nicht mehr vorkommen?

    Falls Sie nämlich hier mit zweierlei Maß messen, also Basismedien weiterhin dulden, so lange es sich bei den Autoren um SPD-Parteigänger handelt, aber kritischere Bürgerjournalisten vor die Tür setzen, wäre das nicht nur unsouverän und peinlich für die Stadt Bochum, sondern ein echtes Problem in Sachen Pressefreiheit.

    • Jens Matheuszik

      Liebe Journalistin!

      Ab wann dürfte das Pottblog denn nicht mehr berichten? Du erwähnst – und das ist ja auch Fakt – vom Vorsitz des Ortsvereins. Seitdem ich dazu gewählt wurde? Oder vielleicht noch eher? Mit Parteibeitritt? Ich will ja nur wissen, was Sie da so zu denken.

      Ebenfalls Fakt ist es, dass das Pottblog seit vielen Jahren auch über die Geschehnisse in Bochum und darüber hinaus berichtet. Schon zu einem Zeitpunkt, wo ich noch nicht einmal Mitglied der SPD Bochum war (vielleicht ist das dann der o.g. Zeitpunkt, ab dem das Pottblog Ihrer Meinung nach nicht mehr berichten dürfte?).

      • Journalistin

        Lieber Jens Matheuszik,

        Sie haben mich – vielleicht absichtlich? – missverstanden. Natürlich bin ich der Meinung, dass der Stadtsprecher weder bo-alternativ noch das Pottblog von seinen Pressekonferenzen ausschließen sollte. Die Meinung in diesen politischen Blogs müssen wir schon aushalten. Auch Mitglieder der Regierungspartei sollen frei berichten dürfen. Genauso aber auch diejenigen, die die Dinge kritischer sehen.

        Sollte nämlich der Stadtsprecher mit zweierlei Maß messen, also die mutmaßlich kritisch berichtenden Blogger/innen vor die Tür setzen, aber das Blog eines Funktionärs der größten kommunalen Regierungspartei weiterhin zu städtischen Pressekonferenzen zulassen, dann wäre das ein echter Skandal!

        Mich würde auch mal interessieren, ob das Pottblog Herrn Sprenger jemals einen Presseausweis vorlegen musste, um nicht des Raumes verwiesen zu werden. Wenn das nicht der Fall ist, dann steht für mich fest, dass die städtische Pressestelle in Bezug auf lokale Blogs ganz klar mit zweierlei Maß misst – und dass es wohl wirklich darum ging, kritische Berichterstattung zu verhindern.

        Und das ist dann ein dermaßen unsouveränes Verhalten und peinliches Verhalten dieses Stadtsprechers, das einer Aufarbeitung in der Stadtverwaltung bedarf.

  • Norbert Hermann

    @ Hr. Sprenger: Eine „Legitimation“ gibt es nicht. Ich bin seit mehr als 50 Jahren journalistisch tätig, einschließlich einer Zeit als „fester Freier“ bei einer Tageszeitung. Immer ohne jegliches Papier.

  • Martin Budich Autor des Beitrags

    Zu Fritz Schmidt:
    Vor sehr vielen Jahren musste etwas darüber diskutiert werden, ob bo-alternativ.de in die Presseverteiler von verschiedenen Institutionen aufgenommen wird. Das ist inzwischen geregelt und wir werden von nahezu allen Einrichtungen mit Pressemitteilungen zugeschüttet und zu Presseterminen eingeladen. Einige wenige Institutionen z. B. die Trienale fordert Akkreditierungen zu Pressegesprächen an. Anmeldungen wurden immer positiv beantwortet. Bei der Stadt Bochum gibt es keine Akkreditierung.

    Zu Thomas Sprenger:
    Das Presseamt der Stadt geht bei Anfragen sehr korrekt mit bo-alternativ.de um. Auch Pressemitteilungen mit Sperrfrist wurden vertrauensvoll zugeschickt. Auf Pressegesprächen wurde häufig nicht nach der Identität der Anwesenden gefragt. Meistens freuen sich schließlich Institutionen, dass sich jemand für ihre Botschaften interessiert. Die Information, dass jemand für bo-alternativ.de an einem Gespräch teilnimmt, hatte bisher nie zur Folge, dass Presseausweise verlangt wurden. Und hier muss sich Thomas Sprenger jetzt Gedanken machen, welche Interpretation seines gestrigen Verhaltens nahe liegt, wenn super kompetente Mitarbeiter*innen von bo-alternativ.de erstmals nicht an einem Pressegespräch teilnehmen dürfen. Es war natürlich zu erwarten, dass sie eine sehr kritische Sicht auf die Darstellung von Markus Bradtke haben.
    Bo-alternativ.de ist ein völlig nicht-kommerzielles Projekt. Wir haben noch nie ein Honorar gezahlt. Wir haben auf viele Hunderte von Angeboten nicht reagiert, die nach unserem Preis für ihre Werbung gefragt haben.
    Bo-alternativ.de kann sich also keine professionellen Journalist*innen für die Berichterstattung leisten. Wir haben aber den Vorteil, dass wir Aktive in unterschiedlichen Themenbereichen motivieren können, für uns zu berichten. Sie sind in aller Regel beim jeweiligen Thema viel kompetenter als die Mitarbeiter*innen der Massenmedien. Die meisten von ihnen können auch hoch kompetent schreiben. Wenn wir manchmal Beiträge überarbeiten, waren sie mit dem Ergebnis bisher immer sehr zufrieden.

    WAZ, Radio Bochum und Stadtspiegel gehören alle vollständig oder mehrheitlich der Funke Medien Gruppe. Die rot-grüne Mehrheit in Bochum sollte die Souveränität haben, alternative oppositionelle Medien zu unterstützen und nicht auszugrenzen.

    Als die „Tageszeitung“ TAZ noch ein Alternativmedienprojekt war und auch andere nicht an Profit orientierte Medien entstanden, wurden die nicht-professionellen Schreiber*innen als Barfußreporter*innen belächelt oder auch anerkannt. Unsere Barfußreporter*innen haben in den letzten 20 Jahren an vielen Pressegesprächen teilgenommen. Bei der Stadt Bochum, wo das WIR noch zählt, sind sie gestern erstmals vor die Tür gesetzt worden.

    Als Ort des Pressegesprächs war ursprünglich der Husemannplatz geplant. Wegen des regnerischen Wetters war der Termin kurzfristig in das Rathaus verlegt worden. Auf dem Husemannplatz hätte das Presseamt die Polizei zur Hilfe holen müssen, um eine kritische Berichterstattung zu verhindern.

  • Brigitte Ponath

    Ich habe diese Nachricht heute erst gelesen und bin verblüft.Wieso hat die Stadt Bochum sowas nötig? Könnt ihr sie mal um eine Erklärung hierzu bitten?

  • Martin Budich Autor des Beitrags

    Zu Brigitte Ponath:
    Wir müssen nicht nachfragen. Thomas Sprenger ist Chef der Presseabteilung der Stadt und hat in einem Leserbrief seine Position erklärt. So wie die Dinge in Bochum laufen, wird es noch zehn Jahre dauern, bis die Zuständigen in der Stadt begreifen, dass die Generation, die jetzt erstmals wählen darf, kaum noch die klassischen Medien nutzt. 2030 wird der OB dann evtl. an die Öffentlichkeit gehen und erklären, wie wichtig Youtuber*innen und Internetaktivist*innen sind und dass die Stadt sie bei ihrer Arbeit gerne mit Informationen und Gesprächsangeboten unterstützt.
    Als die beiden Vertreter*innen vom Netzwerk für bürgernahe Stadtentwicklung von der Pressekonferenz ausgeschlossen wurden, hat Thomas Sprenger das damit begründen lassen, dass die beiden keinen Presseausweis hätten und ausrichten lassen, dass ich selbstverständlich an dem Gespräch teilnehmen dürfte. Er konnte nicht wissen, dass ich, obwohl ich seit 50 Jahren journalistisch tätig bin, immer darauf verzichtet habe, mir dieses Privileg zu verschaffen. Für die journalistische Arbeit war das nie ein Problem. Bei einigen Polizeiübergriffen wäre evtl. der Presseausweis hilfreich gewesen.

  • Norbert Hermann

    Ein Presseausweis ist kein amtliches Dokument. Eine solche Erfordernis wäre ein schwerer Eingriff in die Pressefreiheit, wie es auch das Verhalten der Stadt bereits darstellt. – Ein Presseausweis ist eine rein privatrechtliche Bescheinigung mehr oder weniger seriöser privater Vereinigungen. Einige von ihnen verfügen über eine Vereinbarung mit den Innenministerien, die ihnen besondere Unterstützung verspricht, z.B. bei Demos. Ich würde auch rechtlich gegen die Stadt vorgehen, sonst reisst das ein.

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