Sonntag 24.05.20, 11:07 Uhr

Situation von Frauen auf der Flucht


Die Seebrücke hatte gestern bundesweit zu dezentralen Aktionen aufgerufen, um auf das Schicksal geflüchteter Menschen aufmerksam zu machen und auf die Evakuierung der Lager an den EU-Außengrenzen zu drängen. Das Team des offenen antifaschistischen Café Bochum hat dies bei der Aktion in Bochum zum Anlass genommen, auf die Situation geflüchteter Frauen hinzuweisen: »Knapp die Hälfte aller geflüchteten Menschen weltweit sind Frauen und Mädchen. Sie fliehen auch, weil sie unterschiedlichste Formen von geschlechtsspezifischer Gewalt erlebt haben oder davon bedroht sind:

  • „Ehrenmord“ / Femizid,

  • Zwangsabtreibung, Zwangssterilisierung oder andersartige Eingriffe in ihre reproduktive Selbstbestimmung

  • Zwangsheirat

  • (Genital-)Verstümmelungen,

  • Witwenverbrennungen,

  • Vergewaltigungen

  • häusliche Gewalt

Als geschlechtsspezifische Verfolgung gilt auch, wenn Frauen grundlegende Rechte verweigert werden, etwa das Recht darauf, den eigenen Lebensunterhalt zu verdienen, das Recht auf Religionsausübung und das Recht auf Zugang zu Bildungseinrichtungen.
Gewalt und insbesondere auch sexualisierte Gewalt gegen Frauen wird in Kriegs- und Krisengebieten gezielt als Waffe eingesetzt wird. Ein UN-General schätzte 2008 die Lage so ein: „In modernen Konflikten ist es gefährlicher eine Frau zu sein, als ein Soldat.“ Der grausame Mord an gebärenden Frauen und Wöchnerinnen durch eine Taliban-Miliz in einer von Ärzte ohne Grenzen unterstützten Geburtsklinik in Kabul / Afghanistan am 12.Mai 2020 bestätig leider erneut diese Einschätzung.

Angst ist ihr ständiger Begleiter
Ein großer Teil der geflüchteten Frauen verlässt ihre Heimat allein oder mit ihren Kindern.
Auf der Flucht ist Angst ihr ständiger Begleiter – Angst vor Gewalt und sexuellen Übergriffen bis zur Vergewaltigung, Versklavung, Hunger und Krankheit, dem Verlust von Angehörigen und einer ungewissen Zukunft.

Nur ein Bruchteil der Frauen erreicht einen sicheren Zufluchtsort.
„Viele Mädchen und Frauen auf der Flucht werden entführt, sind Willkür und Gewalt schutzlos ausgeliefert. Das zeigen zum Beispiel die katastrophalen Zustände in den Internierungslagern in Libyen, wo Frauen missbraucht und zu Sklavenarbeit gezwungen werden. Gerade in Anbetracht der jährlich steigenden Flüchtlingszahlen muss die internationale Gemeinschaft dringend handeln“, betont Peter Ruhenstroth-Bauer, Geschäftsführer der UNO-Flüchtlingshilfe.
Etwa jedes 4. auf der Flucht geborene Kind ist aus einer Vergewaltigung entstanden.
Das Leben in den Flüchtlingslagern und Notunterkünften ist besonders für kranke oder alleinstehende Frauen mit Kindern schwierig. Es kann passieren, dass sie nicht zu den Verteilerstellen kommen können, wo sie Wasser, Lebensmittel oder Hilfsgüter für den alltäglichen Gebrauch erhalten oder Schwierigkeiten haben, weil ihre Familien ohne männliches Familienoberhaupt nicht als Haushalt zählen. Zudem bietet ein Flüchtlingslager häufig keinen Schutz vor sexualisierter Gewalt.

Anerkennung geschlechtsspezifischer Verfolgung
Obwohl seit 2002 das UNHCR Formen sexualisierter Gewalt ebenso wie Diskriminierung aufgrund des Geschlechts oder der sexuellen Orientierung als geschlechtsspezifische Verfolgung anerkennt (ebenso wie das deutsche Asylrecht seit 2005), wird dies als Fluchtgrund oft nicht anerkannt.
Es fehlt an Sensibilität und Verständnis von Seiten der Behörde, die Betroffenen sind häufig nicht über ihre Rechte informiert und sprechen aus Angst und Scham nicht über ihre Erlebnisse.

2015 und 2016 wurden auch alleinstehende Frauen oft mit mehreren Männern in einem Raum untergebracht, auch wenn sich diese Situation mittlerweile verbessert hat, ist die Situation insbesondere in den Erstaufnahmeeinrichtungen für vulnerable Geflüchtete sehr schlecht, da das Fehlen von separaten und abschliessbaren Schlafplätzen von traumatisierten Frauen als emotionale Fortsetzung der Fluchtgeschichte und Retraumatisierung wahrgenommen wird.

Vermehrte Gewalt gegen Frauen durch die Corona-Krise
Die erlebte Gewalt traumarisiert die Frauen ein Leben lang, Depressionen und posttraumatische Belastungsstörungen sind häufig. Die aktuelle Corona-Situation in den Sammelunterkünften mit Sammel-Quarantäne und Kettenquarantäne (Verlängerung der Quarantäne Maßnahmen für die gesamte Unterkunft bei Auftreten eines neuen Corona-Falls) verschlechtert die Lage der Frauen weiterhin. Jessica Mosbahi, Referentin für Politik und Menschenrechte bei der NGO medica mondiale befürchtet: „Das Ausbrechen von Corona in den überfüllten Unterkünften war nur eine Frage der Zeit. Alle, die noch nicht erkrankt sind, müssen nun schnellstmöglich dezentral untergebracht werden. Wo Hunderte auf engstem Raum zusammenleben, ist nicht nur die Gefahr der Verbreitung des Virus extrem hoch, sondern es steigt auch der Stress für die Bewohnerinnen und Bewohner. Stress, der sich meist in Form von Gewalt gegenüber Frauen und Kindern entlädt.“ Das Thema Gewaltschutz in Flüchtlingsunterkünften und insbesondere Schutz vor geschlechts-bezogener Gewalt wird bis heute unzureichend angegangen und das obwohl die Istanbul-Konvention den Schutz geflüchteter Frauen ausdrücklich fordert.

Quellen:
UNO-Flüchtlingshilfe
UNHCR
medica mondiale
UN Women
Dossier „Frauen und Flucht“ Heinrich Böll Stiftung «