Sonntag 24.05.20, 10:26 Uhr

Coronakrise heißt Studienkrise


Der SDS Bochum und das Protestplenum Bochum hatten gestern zu einer Demonstration aufgerufen unter dem Titel „Coronakrise heißt Studienkrise: studentische Missstände auf die Straße bringen – jetzt erst recht!“ Die Botschaft vieler Reden: Die Missstände im Studium sind schon während des normalen Studiums unübersehbar. Die Coronakrise verschärft die Problematik aber noch: 70% aller Studierenden müssen bereits unter normalen Bedingungen einer Nebentätigkeit nachgehen, um sich zu finanzieren. Jetzt stehen sie häufig mittellos da.

Zentrale Forderung für das Studium war, dass die Regelstudienzeit um die Anzahl an angefangenen Online-Semestern verlängert wird.

Maja vom SDS Bochum erläuterte auf der Auftaktkundgebung vor dem Rathaus, warum Studierende jetzt auf die Straße gehen: »Und nun zu dem Grund, aus dem wir eigentlich hier sind: die prekäre Lage der Studierenden.
Ich erzähle euch nichts Neues, wenn ich sage, dass die finanzielle Unterstützung des Staats zu wünschen übrig lässt. Die Bafögreformen der letzten Zeit können daran nichts ändern, weil sie das Problem schlicht nicht bei der Wurzel packen. Wir haben ein paar Zahlen vorbereitet. Es ist so, dass lediglich 20% der Studierenden überhaupt Bafög erhalten. Demgegenüber stehen dann aber 68% die sich mit einem Nebenjob über Wasser halten müssen. Und das während wir gleichzeitig in Vollzeit studieren sollen. Die Hilfen bestehen zwar auf dem Papier, erreichen in der Realität aber viel zu selten die, die darauf angewiesen sind. Warum ist das so?
Einige Studierende verzichten auf Bafög, weil sie Angst vor der Verschuldung haben. Direkt nach dem Studium mit 10.000€ Schulden dazustehen ist einschränkend und abbezahlt werden die auch nicht mal eben so. Andere sind dem bürokratischen Aufwand, den ein Bafögantrag mit sich bringt, schlicht nicht gewachsen. [An dieser Stelle sei angemerkt, dass nicht alle Studierenden aus Akademikerhaushalten kommen und nicht alle, die Bafög beziehen studieren. Menschen in Ausbildungen können theoretisch auch bafög beziehen, tun das aber nochmal seltener als Studierende. Die vermeintliche Hilfe „Bafög“ erhält an dieser Stelle einfach bestehende soziale Schranken aufrecht.] Vielleicht haben sie keinen Kontakt zu ihren Eltern und ihnen fehlen die nötigen Unterlagen , um die Förderung zu erhalten.
Viele weitere Studierende haben ihren Anspruch verloren, weil sie die erforderlichen Leistungen im Studium nicht erbringen können. Viele bekommen kein Bafög mehr, weil sie die Förderungshöchstdauer überschritten haben.

Das alles trifft schon zu während der normalen Situation ohne eine Pandemie.

Die Zahl derjenigen, die nicht die geforderten Leistungen erbringen wird, wird durch die Coronakrise steigen und nicht sinken. Nicht jeder Studi hat Zugang zu einem funktionierenden Laptop in einer ruhigen Lernatmosphäre. Nicht jeder Studi kann die außerordentliche psychische Belastung durch die Coronakrise und das Kontaktverbot einfach wegstecken und so weitermachen wie sonst. Nicht jeder Studi hat Zeit, sich auf die Klausuren vorzubereiten, weil er*sie während der Pandemie vermehrt für die Familie da sein muss oder Angehörige pflegt.
Das heißt, dass manche von uns dieses Semester nicht wie geplant diese Klausur oder diese Hausarbeit schreiben können. Dass die Modulabschlüsse warten müssen und Seminare geschoben werden müssen. Und das ist okay! Es sollte völlig normal sein, dass Menschen an ihre Lebenssituation angepasst studieren und arbeiten können. Das geht aber nicht, wenn Studierende sich Gedanken darüber machen müssen, ob sie sich und ihr Studium in und nach der Krise noch finanzieren können. Und es geht auch nicht, wenn Studierende zwar BAfög bekommen, aber nicht wissen, ob ihnen ein Semester zusätzlicher Förderung bewilligt wird, um die restlichen Leistungen zu erbringen.
Diese Probleme sind nicht gelöst. Weder der Bund, noch die Länder, noch die Universitäten haben hier in den letzten Monaten Abhilfe geschaffen.
Das sogenannte Hilfspaket, das von Anja Karliczek, Bundesministerin für Bildung und Forschung, plakativ unter dem Titel „Keine Nachteile beim Bafög wegen Corona“ präsentiert wird, ist keine Hilfe, sondern eine Irreführung. Selbstverständlich entstehen Nachteile! Bafög soll nämlich nur in „unvermeidbaren pandemiebedingten Ausfällen“ und um eine „angemessene Zeit“ verlängert werden. Eine solche Verlängerung wird von Fall zu Fall entschieden. Das Ministerium weist ausdrücklich darauf hin, dass Studierende dazu verpflichtet sind, an den angebotenen Online-Veranstaltungen teilzunehmen. Man wird also im Endeffekt konkret nachweisen müssen, dass einzelne Vorlesungen coronabedingt ausgefallen sind, um weiter Bafög zu bekommen und sein Studium finanzieren zu können. Das ist keine schnelle und unbürokratische Hilfe. Und das sorgt auch nicht für Planungssicherheit, Frau Karliczek!
Nun werden viele von euch mitbekommen haben, dass die meisten Universitäten in NRW – auch die RUB – eine Verlängerung der individuellen Regelstudienzeit um ein Semester versprochen haben. Das ist leider überhaupt keine Hilfe. Die Verlängerung dieser individuellen Regelstudienzeit führt einzig und allein dazu, dass man dem*der zukünftigen Arbeitgeber*in erzählen kann, dass man sein Studium in Regelstudienzeit abgeschlossen hat.

Auswirkungen auf BAföG-Zahlungen hat diese Anhebung wahrscheinlich nicht, das sagt auch die Ruhr-Uni. Universitäten können nämlich gar nicht entscheiden, dass die für Bafög relevante Regelstudienzeit von heute auf morgen raufgesetzt werden soll.
So kann ich aber mein Studium nicht planen und davon kann ich meine Miete auch nicht bezahlen.
All das zeigt, dass die staatliche Studienfinanzierung in der Pandemie noch stärker als zuvor völlig unzureichend ist. Dabei wäre es gar kein Problem, mehr Menschen das Studium zu finanzieren. Das Bafög-Budget des Bundes betrug 2019 etwa eine Milliarde Euro. Davon wurden gerade mal 100 Millionen Euro verbraucht. Das heißt, das im letzten Jahr 920 Millionen Euro nicht ausgegeben wurden.
Daher fordern wir, dass die Anforderungen an Bafög-Förderung gelockert werden. Bafög muss unbürokratisch und elternunabhängig sein. Bafög darf nicht dazu führen, dass man am Ende des Studiums Schulden in Höhe von 10.000€ hat. Wie das gehen kann, macht uns zum Beispiel Dänemark vor: Es braucht nur einen Onlineantrag und zwei Wochen später hat man umgerechnet 820€ auf dem Konto. Elternunabhängig versteht sich. Genauso muss hier auch jede*r Zugang zu staatlicher Studienförderung haben. Jetzt und sonst auch. Bildung für alle heißt Bildung für alle und nicht nur für die, die es sich von Haus aus leisten können. «