Dienstag 05.05.20, 12:00 Uhr

Stadt sollte Chance für mehr und sicheres Radfahren nutzen


Das Radwende Bündnis erklärt: «Während die Coronakrise andere Städten zu kreativen Lösungen anregt, den zunehmenden Radverkehr sicherer und attraktiver auch für bisher weniger raderfahrene Bürger*innen zu machen, sieht  Bochums Oberbürgermeister Thomas Eiskirch dazu keine Notwendigkeit. Für das Bündnis Radwende Bochum ist das ein weiterer Markstein eines wenig fortschrittlichen Verhältnisses zu einer notwendigen Verkehrswende. Den Argumenten der Stadt zur Ablehnung temporärer Radspuren begegnen die Aktivist*innen mit Befremden.  Sie  halten an der Forderung fest und hoffen auf eine Neubewertung durch die Stadt. Der WAZ teilte Stadtsprecher Peter van Dyk in der vergangenen Woche die Ablehnung der Stadt mit, dass Bochum im Gegensatz zu vielen anderen Großstädten (wie z.B. Berlin, Darmstadt, Hamburg, Stuttgart) keine Maßnahmen für eine temporäre Verkehrsinfrastruktur für Radfahrer*innen ergreifen werde. Die genannten Gründe sind für die Radwende nicht nachvollziehbar. So hatte van Dyk erklärt, dass es in Bochum nur wenige Straßen mit je zwei Spuren in einer Richtung gäbe, auf denen Radspuren eingerichtet werden könnten. „Dementsprechend würden nur wenige Radfahrende davon profitieren“, sagte er. „Die Stadt scheint die Stadt nicht zu kennen“, erklärt Christoph Bast von der Radwende. Denn in Bochum gibt es nur sehr wenige vierspurige Straßen, die beiderseits mit Radwegen ausgestattet sind. Allein im Innenstadtbereich haben weder der Ring, noch Alleestraße, Hattinger Straße, Königsallee oder die Castroper Straße einen Radweg.

Alle diese Straßen sind Hauptverkehrsachsen in Bochum, die auch alltagstauglich für den Radverkehr nutzbar sein müssen – gerade wenn es um eine klimafreundliche Verkehrswende geht. „Warum wohl sieht man auf dem Ring kaum Radfahrer“, fragt Bast. „Weil es lebensgefährlich ist. Das soll es nach Ansicht der städtischen Verantwortlichen wohl auch noch einige Jahre bleiben.“

Laut Stadtsprecher van Dyk befände sich außerdem das Verkehrsaufkommen wegen Corona auf einem historischen Tiefstand, so dass sich der Verkehr auf der Straße selbst sortieren könne; Radfahrer und Autos auf der Straße kämen sich nicht mehr so schnell in die Quere. „Wir erleben das auf den Hauptstraßen etwas anders. Viele Radfahrer*innen trauen sich verständlichermaßen nicht auf diese Tempo 50 Straßen mit zwei Fahrspuren. Wer sicht traut, wird häufig abgedrängt oder mit minimalem Abstand überholt, obwohl nun 1,50 Meter als verpflichtender Abstand in der neuen Straßenverkehrsordnung geregelt ist“, berichtet Bast. „Die Stadt könnte mit dedizierten breiten Radspuren auch vermehrt noch unsichere Radfahrer*innen in und durch die Stadt locken.“ Diese Chance ließe sie verstreichen. „Auch die weniger erfahrenen Verkehrsteilnehmer*innen wie Kinder und Senior*innen haben ein Recht auf Radfahren in der Stadt. Sie könnten so geschützt erlernen, wie die Stadt auch mit dem Rad erfahrbar ist.“

Nicht zuletzt habe eine Phase der Lockerung begonnen, begründete Stadtsprecher van Dyk in der WAZ die Absage an die Radspuren: Würden sie jetzt extra eingerichtet, müsste man sie eventuell schon in Kürze wieder zurückbauen. Das Radwende-Bündnis zeigt sich überrascht: „Wer Medien und Äußerungen aus dem Gesundheitsministerium verfolgt, wird hingegen erkennen, dass die Coronakrise uns noch langfristig beschäftigen wird, dass Infektionsschutz und Abstand zur neuen Normalität werden könnten. Jeder Lockerung können steigende Infektionszahlen folgen.“ Dabei sind der Aufwand und damit die Kosten für Einrichtung und Abbau im Gegensatz zum ressourcenintensiven Radwegeausbau gering. „Immerhin wird jede Straßenbaustelle so gesichert. Und andere Städte zeigen, dass Planung und Durchführung innerhalb von wenigen Tagen gelingen. Unsere Stadt braucht mehrere Wochen für die Ablehnung.“

Die Stadt wies in der WAZ durch ihren Sprecher darauf hin, dass unabhängig von Corona sowieso bereits immer mehr Radwege angelegt würden. „Wir sind uns sicher einig, dass Bochum im Vergleich zu anderen Großstädten einen enormen Rückstand in der Radinfrastruktur aufzuholen hat“, stellt Bast für die Radwende fest. Dass neue Radwege angelegt werden, sei unabhängig von der Coronapandemie eine Selbstverständlichkeit. Schließlich seien die Städte in der Pflicht, mit einer urbanen Emissionswende auch die Klimakrise zu begrenzen – und den größten Emissionsanteil haben nun mal auch in Bochum Gebäudeheizung und Verkehr. „Für Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft fußgänger- und fahrradfreundlicher Städte in Nordrhein-Westfalen (AGFS) wie Bochum geziemt es sich aber besonders, sich stärker zu engagieren“, so Bast. „Seit mehr als 20 Jahren warten wir in Bochum auf ein Radverkehrskonzept. Hier hat sich bisher nichts getan. Im Gegenteil: die Stadt bestätigt den Status Quo auch noch für die nächsten Jahrzehnte, statt die kostengünstige Gelegenheit für eine Attraktivitätserhöhung zu nutzen. So wird das nichts mit der Erhöhung des Radverkehrsanteils von sieben auf 25 Prozent.“

Die Radspuren könnten auch die Verbreitung des neuen Coronavirus durch und unter Jüngeren reduzieren. Bei der Diskussion um die Wiederöffnung von Schulen hatte NRW-Bildungsministerin Gebauer empfohlen, dass Schülerinnen und Schüler jetzt eher zu Fuß oder mit Fahrrad als wie bisher mit Busen zur Schule kommen sollten, da sie in Bussen den nötigen Infektionsabstand nicht wahren könne. „Wo sollen die Schüler*innen denn sicher radfahren, wenn nicht auf breiten Radspuren“, fragt Bast. „Wäre doch blöd, wenn wir Lockerungen zurücknehmen müssen, weil die Verbreitung wieder steigt.“

Pop-Up Radwege einrichten ist einfach

Die Einrichtung von  so genannten Pop-Up-Radwegen wäre dabei mit sehr wenig Aufwand und bei geringen Kosten innerhalb von zehn Tagen möglich. Dies berichteten in der letzten Woche in einer Online-Infoveranstaltung des Deutschen Instituts für Urbanistik (difu) zwei Vertreter aus der Berliner Senatsverwaltung und dem Straßen- und Grünflächenamt des Berliner Bezirks Friedrichhain-Kreuzberg. Sie machten deutlich, wie schnell und einfach eine sichere Radinfrastruktur installiert werden kann. Der Bezirk hat dazu ein Handbuch erstellt: https://www.mobycon.nl/wp-content/uploads/2020/04/6796_Kreuzberg_Handbuch-V3.pdf. Die Radwende hatte die Stadt zur Teilnahme an der Online-Diskussion eingeladen.

Peter Broytman, der Fahrradkoordinator der Berliner Senatserwaltung, hatte erklärt, dass „Einfach machen“ die Devise bei Pop-Up-Radwegen sei. Er führte aus, dass in Berlin dort, wo es ohnehin schon Planungen für Radstreifen gab, diese jetzt als Pop-Up-Radwege gebaut wurden. „Wenn wir also den Versprechungen aus Politik und Verwaltung hier in Bochum glauben schenken, sollte es nicht schwierig sein, auf den Radialen in Bochum genauso vorzugehen. Für die Königsalle beispielsweise gibt es ja bereits fertige Pläne“, sagt Bast, der Ende April die Radwende-Online-Diskussion mit den Vertreter*innen der Bochumer Ratsfraktion geleitet hatte.

Im Difu-Dialog erläuterte der Leiter des Straßen und Grünflächenamts im Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg, Felix Weissbrech, den Vorteil der Pop-Up-Radwege für den weiteren Ausbau der Fahrradinfrastruktur: Da sie als Baustelle definiert seien, benötigen sie keine allzu umfangreiche Planung, gleichzeitig seien sie aber ein sehr guter Praxistest für die spätere Verstetigung, denn momentan könne noch nachgesteuert und Schwachstellen ausgebessert werden, bei einer fertigen und baulich abgeschlossenen Umsetzung, sei dies immer mit erhelbliche Mehraufwand und Kosten verbunden.

„Es gibt nicht viele Ausreden, Pop-Up-Radwege nicht umzusetzen“, ist Bast überzeugt. „Nicht zuletzt wurde auch der Imagegewinn erwähnt, denn das Berliner Projekt bekommt internationale Annerkennung. Bochum könnte in einer Reihe mit Berlin und Bogota stehen.“ Klar ist für ihn, dass der politische Wille für solche Projekte da sein müsse. „Die Initiative für die Pop-Up-Radwege in Berlin kam aber aus der Verwaltung.“«