Montag 20.04.20, 18:28 Uhr

Tödlicher Rassismus 2


Die Gruppe Antifa 4630 berichtet über eine Aktion und die Hintergründe: »Rassistische und rechtsextreme Gewalt zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Seit 1990 zählt die Amadeu Antonio Stiftung 208 Todesopfer rechtsextremer Gewalt. Durch die Corona Krise ist eine überfällige Diskussion, die über rechtsextreme Gewalt, wieder in den Hintergrund geraten. Mit unserer Aktion wollen wir auf die tödlichen Folgen von Rassismus aufmerksam machen. Am Montag, den 20.04.2020, haben wir auf dem Bochumer Rathausplatz ein Grab errichtet, dieses soll als Mahnmal an die Opfer rechtsextremer Gewalt erinnern. Bereits in der Nacht auf Montag sind in Bochum und Witten zahlreiche Gräber als Mahnmal entstanden.

Rechtsextreme Gewalt ist trauriger Alltag in Deutschland, im ersten Halbjahr 2019 wurden über 609 Angriffe auf Geflüchtete, ihre Unterkünfte und auf solidarische Menschen gezählt, mehr als drei pro Tag. Während die Bundesrepublik selbst von nur 94 Todesopfern seit 1990 spricht, werden von Journalist*innen und Initiativen über 200 Opfer gezählt. Bereits Anfang der 1990er Jahre erlebte rassistische Gewalt in Deutschland einen Aufschwung, bei einem Brandanschlag auf zwei Häuser in Mölln 1992 starben drei Menschen, 1993 gab es bei einem Brandanschlag auf die Famillie Genc in Solingen fünf Todesopfer. Am 18. Januar 1996 wurde ein Anschlag auf eine Geflüchtetenunterkunft in Lübeck verübt, bei dem zehn Menschen ums Leben kamen. Auch in Bochum gibt es tödliche rechte Gewalt: Josef Anton Gera wurde am 14. Oktober 1997 erschlagen und erlag drei Tage später seinen Verletzungen. Am 7. Januar 2005 wurde der Geflüchtete Oury Jalloh Opfer eines rassistischen Mordes. Im März selben Jahres erstoch ein Dortmunder Neonazi den Punker Thomas Schulz. Bei einem rassistisch motivierten Anschlag in München wurden am 22. Juli 2016 neun Menschen getötet.

Der rechte Terror bleibt auch in jüngster Zeit ein Thema. Am 09. Oktober 2019 versuchte ein rechtsextremer Täter eine Synagoge in Halle anzugreifen, was ihm nicht gelang. Daraufhin erschoss er eine unbeteiligte Passantin und kurze Zeit später einen Menschen in einem Dönerimbiss. Die rasende Entwicklung erreichte am 19. Februar 2020 ihren vorläufigen Höhepunkt. In Hanau wurden neun Menschen in zwei Shishabars erschossen. Vor knapp zwei Wochen, am 07. April 2020 wurde ein 15-jähriger Junge Opfer rassistischer Gewalt, in dem er von einem Täter angegriffen und niedergestochen wurde. Er kam im Jahr 2015 mit seiner Familie nach Deutschland. Die Familie überlebte den vom Islamischen Staat verübten Genozid an Jezid*innen im Irak.

Wie unbehelligt rechter Terror in Deutschland seinen Schrecken verbreitet, zeigt das Beispiel des NSU. Zwischen 2000 und 2007 töteten die Terrorist*innen zehn Menschen, begangen drei Sprengstoffanschläge und 43 versuchte Morde sowie 15 Raubüberfälle. Dass im Kampf gegen rechtsextreme Gefahr auf den Staat kein Verlass ist, wurde bei den Ermittlungen zum NSU Komplex deutlich, immer wieder wurden seitens des Verfassungsschutzes Akten vernichtet oder wichtiges Beweismaterial und Informationen unterschlagen. Der NSU Komplex zeigt eindeutig: Der Staat ist auf dem rechten Auge blind.

Wir rufen dazu auf, weitere Gräber im öffentlichen Raum zu errichten. Erinnern heißt kämpfen! In Gedenken an die Opfer rassistischer Gewalt in Bochum und Überall!«

 


2 Gedanken zu “Tödlicher Rassismus

  • Nick

    Zwei Fehlannahmen:
    1) Zitat: „Der NSU Komplex zeigt eindeutig: Der Staat ist auf dem rechten Auge blind.“

    Nein, der Staat war und ist nicht blind. Weit über 30 Spitzel, Agenten, Beamte jeder Coleur und jeden bundesdeutschen Geheimdienstes waren um das Netzwerk des NSU platziert und zum Teil in Beschaffung von Ressourcen wie Papiere, Waffen und Deckung ihrer Identität involviert und nach der Selbstenttarnung des NSU wurden diverse Akten zu diesen Vorgängen bei den Behörden vernichtet.
    Gut ein Dutzend Kriminalämter unterschiedlicher Bundesländer verfolgten die Spuren nach Rechts nicht, gründeten eine BAO Bosborus und ermittelten gegen die Opfer.
    Im Münchner NSU-Verfahren wurde bei dem Versuch der Aufdeckung des NSU-Netzwerks durch die Vertreter*innen der Nebenklage von staatlicher Seite massiv gemauert, so dass diese Verhalten der Justiz und Bundesanwaltschaft einen weiteren Angriff gegen die Opfer der faschistischen Gewalt darstellte.
    Nein, blind war und ist dieser Staat und seine Institutionen auf dem rechten Auge nicht.

    Statt hier eine aber eine Analyse zu lesen, wird einen eine Metapher aus dem Kontext des hilflosen Antifaschismus geboten. Das „Märchen“ vom „blinden Staat“ wird einem kredenzt. Dies Märchen aus dem Hause der Sozialdemokratie, die für diese Form des „Antifaschismus“ „nach links blinken und nach rechts abbiegen“ steht.
    Man sieht (vielleicht), will oder kann es aber nicht aussprechen, geschweige Konsequenzen ziehen.
    Tretet doch bei den Jusos ein.

    2) Zitat: „Mit unserer Aktion wollen wir auf die tödlichen Folgen von Rassismus aufmerksam machen.“
    Viele Morde sind aus Homophobie, aus Sozialdarvinismus (Klassismus), aus Anti-Semitismus, aus Hass auf Linke, etc.p.p. erfolgt. Z.B. Josef Gera (Bochum) – Homophobie. Thomas Schulz (Dortmund) – Hass auf Punks, usw.
    All diese Motive auf Rassismus zu subsumieren. Da fehlt es echt an Analysekapazität. Und an Faschismustheorien.
    Wie gesagt, steigt bei der SPD/Jusos ein.

  • Peter

    Ich schließe mich durchaus dem vorherigen Kommentar an. _ Der NSU-Komplex / „NationalSozialistischeUntergrund“-Prozess zeigt auf wie stark die „Neue“ Rechte und Nazis durch V-Leute und damit Erfühlungsgehilfen des Verfassungschutzes und der Polizeibehörden beeinflusst und gelenkt werden. Ob NSU oder NPD, Identitäre oder JN, alles durchsetzt mit V-Männern*. Teilweise besorgten die V-Leute der NSU das notwendige „Equipment“ für ihre Aktivitäten. Da sind aktive Helfer- und Unterstützer für die menschenverachtenden kriminellen Taten des NSU tätig gewesen. Meine Meinung ist, der NSU ist e i n Teil der P o l i t i k ultrakonservativer Kräfte innerhalb der Politischen Führungsebene und der Staatsschutzbehörden. Einer der Repräsentanten dieser ultrakonservativen Politik ist der Präsident des Verfassungsschutzes (VS), ist meine Meinung. Der NSU hat die Funktion Menschen und Bevölkerungsgruppen zu drohen, ein Angstszenario rechter Gewalt zu etablieren. Das es irgendwann nach zahlreichen Jahren mal auffallen müsste, das ein rechtsradikales Trio durch die Lande zieht und bevorzugt Menschen mit migrantischen Wurzeln ermordet, war den V-Leuten und auch den Hintermännern* klar. Die Botschaft ist, schaut her, wir können auch eine Mörderbande für unsere Zwecke herumlaufen lassen. Das ist schon pathologisch, haben die Rechten aber immer schon gerne gemacht, Mörderbanden finanziert und unterhalten. Das ist ein Teil ihrer instrumentalisierten Gewalt die Angst und Schrecken erzeugen soll. Das juristische NSU-Verfahren hat verdeutlicht, auf der Leitungsebene von VS und Bundes- und Landespolizeibehörden hat es anscheinend Mitwisser gegeben die versuchten das Verhalten des NSU mithilfe von V-Leuten und operativen Mitteln zu lenken. Möglicherweise existiert innerhalb des Systems eine Art Loggenwesen, Führungsgruppen aus Politik, Wirtschaft, Behörden und Ämtern die sich gerne und mit langjähriger Kontinuität treffen, und die ihre ultrarechte Politik im Wirken des Staates innerhalb der Gesellschaft sehen möchten. Politisch betrachtet sind diese Gruppen eine Rechte Allianz die im Hintergrund wirkt.
    Teile dieser Allianz sind auch in einer noch jungen Rechten Partei zusammengekommen die vollständig legal, und mit Geldern aus den Wahlkämpfen in Millionenhöhe ausgestattet, agieren kann, die AfD. Nicht wenige Polizisten sind z.B. unter den Parteimitgliedern der AfD zu finden, was n i c h t bedeutet das alle Polizisten Nazis oder Rechtsradikale sind (!). Im Grunde ist in der Bundesrepublik mittlerweile wieder ein vielschichtiger rechter Filz entstanden der auch Kontrolle hat, Macht ausübt und militante, bewaffnete und verdeckt agierende Hilfstruppen unterhält.

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