Montag 30.03.20, 13:41 Uhr

Vorschläge zu einer kritischen Online-Lektüre während der allgemeinen Kontaktsperre in der „Corona-Krise“ 2


Wilfried Korngiebel hat für die Initiative attac/occupy einige Lektüre-Tipps zur aktuellen Krise zusammengestellt, die sicherlich auch für weitere Leser*innen interessant sind: »In den linken und alternativen Bewegungen wird immer noch zu wenig über die ökonomischen und politischen Dimensionen der „Corona-Krise“ diskutiert und beratschlagt. Auch im Bochumer Raum hat es bislang nur recht wenige Ausnahmen gegeben. So sind auf www.bo-alternativ.de etwa von Wolfgang Czapracki-Mohnhaupt (gegen städtische „Notstands-Gremien“) oder von Norbert Hermann (gegen die Abwälzung der sozialen Folgen „nach unten“) dankenswerterweise Interventionen in die lokale Öffentlichkeit gestartet worden. Die Wirtschaftskrise begann schon vor der „Corona-Krise“ und wird nun durch letztere noch verstärkt. Führende hegemoniale Wirtschaftswissenschaftler haben sich inzwischen zu Wort gemeldet. So forderte Hans-Werner Sinn im „Handelsblatt“ vor einigen Tagen eine „Corona-Ökonomie“:
https://www.handelsblatt.com/meinung/gastbeitraege/gastkommentar-wie-eine-corona-oekonomie-aussehen-muss/25642468.html?ticket=ST-313696-THGtNsYmXYgIdmzbPTty-ap4

Und Daniel Stelter warnt im „Manager-Magazin“ bereits vor der schwersten Krise seit vielen Jahrzehnten, in der sich die „Systemfrage“ stellen könnte:
https://www.manager-magazin.de/politik/weltwirtschaft/coronavirus-die-krise-ist-erst-in-phase-2-auf-finanzkrise-folgt-deflation-a-1305433.html

Doch um nun die Perspektive zu wechseln, ein paar Hinweise auf Websites abseits der Mainstream-Medien, die zu lesen sich durchaus lohnt – falls Ihr sie nicht eh schon kennt.

Bei Labournet Germany gibt es zwei umfangreiche, äußerst brauchbare, international ausgerichtete Materialsammlungen zu Corona, Krise und Notstand:
https://www.labournet.de/internationales/das-monster-vor-der-tuer-der-corona-kapitalismus/
https://www.labournet.de/internationales/folge-2-das-monster-vor-der-tuer-der-corona-kapitalismus/

In den USA werden im weiten Umfeld der Industrial Workers of the World die aktuellen Ereignisse diskutiert; der Schwerpunkt liegt auf dem zumeist fehlenden Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz, sowie auf den durch die Pandemie erschwerten Bedingungen der Selbstorganisation (in englischer Sprache):
https://www.labornotes.org/coronavirusnews

Auf den mehr wissenschaftlichen Ebenen von Sozialpsychologie, Psychoanalyse und Politikwissenschaft sowie Sozialphilosophie werden die aktuelle Gesundheitspolitik und die jüngsten staatlichen Eingriffe in das öffentliche Leben im „European Journal of Psychoanalysis“ diskutíert. Der italienische Philosoph Georgio Agamben hat in der neuen Bedrohung durch das Corona-Virus eine willkommene Gelegenheit der herrschenden Eliten gesehen, den „Ausnahmestaat“ auszurufen oder de facto zu praktizieren, um Freiheitsrechte massiv einschränken zu können. Seine Einschätzung, das Corona-Virus sei kaum gefährlicher als ein Grippevirus und die Pandemie eine mediale Erfindung („The Invention of an Epidemic“), hat völlig zu Recht heftige Gegenreden hervorgerufen. Seine KritikerInnen, bekannten AutorInnen aus verschiedenen Ländern, verdeutlichen, dass er mit dieser Argumentation die Materialität des Virus und dessen Gefahrenpotenzial vollkommen verkenne. Zugleich aber wird Agambens Warnruf vor der plötzlichen Gefahr des autoritären „Ausnahmestaats“ ernst genommen und ebenfalls diskutiert. Die Texte finden sich unter dem Titel „Coronavirus and Philosophers“ (in englischer Sprache):
http://www.journal-psychoanalysis.eu/coronavirus-and-philosophers/

In der Zeitschrift LuXemburg geht die durch Agambens umstrittene Thesen angestoßene Debatte weiter. Nach Panagiotis Sotiris haben sich inzwischen auch Alex Demirovic, Sabine Nuss, Mike Davis, Sandro Mezzadra, Ingar Solty u. a. beteiligt. Die Beiträge drehen sich um die Schwerpunkte Sicherheitsstaat, Biopolitik und Disziplinarmacht, die neoliberal kaputt gekürzte medizinische Versorgung, Kämpfe für Gesundheitsschutz in der Produktion, gesellschaftlich notwendige Arbeit und die Schockstarre der sozialen Bewegungen angesichts der Krise:
https://www.zeitschrift-luxemburg.de/online-dossier-zur-corona-krise/

Die Gesundheitsbedrohungen und die sozialen Folgen der „Corona-Krise“ treffen nicht alle Menschen in gleichem Maße. Sie gefährden die finanzpolitisch herabgestuften Länder, die sozial benachteiligten Menschen, die in Lagern internierten Geflüchteten und den „globalen Süden“ am stärksten. Deshalb als vorerst letzter Hinweis ein Blick nach Griechenland. Denn die Rede von Yanis Varoufakis im griechischen Parlament zu Wirtschaftskrise, Corona, Armut und notwendigen Sofortmaßnahmen lohnt sich ebenfalls; sie wird inzwischen in der Hellas-Solidaritätsbewegung diskutiert. Gut 22 Minuten lang, griechisch, aber fortlaufend englisch untertitelt. Information vom 17.03.2020, Corona, Troika und Kapitalismus:
https://griechenlandsoli.com/page/1/

Auf dieser Seite finden sich auch regelmäßig kritische Berichte zur Gefährdungssituation in den Flüchtlingslagern Griechenlands und zum Frontex-Regime der EU.«


2 Gedanken zu “Vorschläge zu einer kritischen Online-Lektüre während der allgemeinen Kontaktsperre in der „Corona-Krise“

  • Norbert Hermann

    DANKE!
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    Dank an Wilfried Korngiebel und die Initiative attac/occupy dass sie versuchen eine Debatte anzustossen. Es schein so als seien in Bochum in vorauseilendem Gehorsam schon alle tot bevor das Virus kommt. Siehe dazu auch meinen Leserbrief unter folgendem (leider von der ersten Seite verschwundenen) Beitrag: https://www.bo-alternativ.de/2020/03/27/housing-action-day-wandert-ins-web/.
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    Die ökonomische Dimension ist klar: In die seit 2008 schwelende und wieder akut werdende „Finanz“-Krise haut Corona natürlich richtig rein. Die direkten Kosten (100e Milliarden) und die entgangenen Gewinne müssen natürlich hinterher rausgeholt werden. Das geht nur mit massiver Austeritätspolitik (Sparen und Verarmen) und vermehrter Ausbeutung. Mit dem Risiko, dass es selbst in D’schland zu Armutsriots kommt und zu einem Aufstand der Mittelschichten:
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    https://www.spiegel.de/politik/deutschland/corona-krise-droht-eine-revolution-der-mittelschicht-a-b900b343-fa69-4fb6-98e2-bb0fe4e3615c
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    Angesichts der Entpolitisierung der Linken in den vergangen 30 Jahren dürfte das nach rechts losgehen. Bleibt also wenig und nur bittersüsse Freude, dass es vielleicht dem Kapitalismus entgültig an den Kragen geht?
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    Aber der Staat rüstet auf. Schon jetzt sind viele Massnahmen nicht durch den in Art. 11 GG verpflichtend vorgesehenen Gesetzesvorbehalt gedeckt. Das Infektionsschutzgesetz gibt das nicht her, es wird gerade nachgeschärft. Fraglich ob das ausreicht:
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    Informationsstelle Militarisierung e.V.. Verfassungsbruch in Vorbereitung;
    https://www.nachdenkseiten.de/?p=59721#h17; dort auch direkt unten:
    Kretschmann befürwortet gemeinsame Übung der Polizei mit der Bundeswehr
    Ein weiterer Tabubruch: Bundesverfassungsgericht lässt den bewaffneten Einsatz der Bundeswehr im Inneren zu.
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    WAZ 20-03-29: In der Not wird das Land NRW autoritärer
    https://www.waz.de/politik/landespolitik/coronavirus-in-der-not-wird-das-land-nrw-autoritaerer-id228801605.html (Bezahlschranke, Text und auch Fragen/Mitteilungen gerne über BO-Prekaer@posteo.de.)

    Selbst der eher „rechts“ einzuordnende ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, warnt vor einem „faschistoid-hysterischen Hygienestaat“:

    https://amp.welt.de/politik/deutschland/plus206862007/Coronakrise-Medizin-darf-nicht-gefaehrlicher-sein-als-die-Krankheit.html (€)
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    Seit Jahren ist bekannt, dass immer wieder mit neuen derartigen Viren zu rechnen ist. Szenarien wurden dargestellt, Pläne entwickelt. Geschehen ist nichts. Im Gegenteil, das Gesundheitssystem wird weiter kaputtgespart. „Pflegenotstand“ gibt es schon seit den 1960er Jahren (Wikipedia). Hier zwei Beiträge sogar mit einem gewissen Bochum-Bezug:
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    Zeitung gegen den Krieg (Sander, Pflüger, Wolf et al.) Nr. 46 (aktuell):
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    „Bei der Rüstung sind sie fix, für die Gesundheit tun sie nix
    https://www.labournet.de/?p=168005
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    Angst vor dem Virus, Vertrauen auf den Staat?
    Von Renate Dillmann, in Bochum an der Ev. Hochschule tätig:
    https://www.heise.de/tp/features/Angst-vor-dem-Virus-Vertrauen-auf-den-Staat-4688810.html
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    Aus Angst vor dem möglichen Tod kommt sogar in der Linken das Völkische durch. Wir kennen nur noch das „WIR“, keine Klassen, kein oben oder unten. Dabei wird immer gestorben, im Jahr in D’schland bald eine Million mal. Nicht jedeR Tote ist eineR zu viel, statistisch gesehen bin ich auch bald dran und bitte auch drum.
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    https://de.statista.com/statistik/daten/studie/161831/umfrage/gegenueberstellung-von-geburten-und-todesfaellen-in-deutschland/
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    Herz-Kreislauf-Erkrankungen (Herzinfarkt, Schlaganfall) mit fast der Hälfte aller Opfer. Krebsleiden (Lungenkrebs, Darmkrebs, Prostatakrebs, Brustkrebs) Lebererkrankungen, insbesondere die alkoholische Leberzirrhose. Mehr als 9.000 Suizide mit steigender Tendenz, 120.000 Versuche (echte, keine „Hilferufe“), viele junge Leute. Verkehrstote haben zum Glück abgenommen, je weniger SUV um so schneller tot. Zigtausende die im Medizinbetrieb unnötigerweise versterben durch Kunstfehler, falsche Medikation, Hygienefehler (MRSA). 50 Tote durch Arbeitsunfälle. Gar 25.000 (Höchstzahl 2012/13 ) durch die „normale“ Grippe. Ob Corona im Vergleich sehr ins Gewicht fallen wird wissen wir nicht. Für „flattenthecurve“ gibt es Argumente, noch mehr für den Schutz von gefährdeten Menschen (grausam welchen Gefahren die Menschen an den Supermarktkassen und im ausgedünnten ÖPNV ausgesetzt waren und immer noch sind). Und für massives Testen und Isolierung aller Infizierten. Die Strategie der allmählichen „Herdenimmunisierung“ durch rigorose Freiheitseinschränkungen bis zum Verbot, alleine auf einer Parkbank zu sitzen und zu lesen (Berlin, Sachsen, Bayern) scheint zum Scheitern verurteilt, erlaubt aber die Austestung von Notstandsmassnahmen. Darum.

  • Wolfgang vom Ubu

    noch ein Buch zum Thema :
    Davis, Mike
    Vogelgrippe
    Zur gesellschaftlichen Produktion von Epidemien
    Aus dem Englischen von Ingrid Scherf
    ISBN 978-3-935936-42-2 | erschienen 10/2005 | 168 Seiten | Paperback | vergriffen | 14,00 €
    Zum Buch
    Aus aktuellem Anlass haben wir das Buch – in einer nichtseitenidentischen Version – als PDF zum freien Download online gestellt.
    wird auf dieser Seite gesagt http://www.assoziation-a.de/buch/Vogelgrippe
    ich hab die pdf dort schon aufgerufen und reingelesen.

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