Freitag 20.03.20, 20:43 Uhr
Netzwerk für bürgernahe Stadtentwicklung:

Bezirk Süd-West: Politik im Nerv getroffen  1


Für das Netzwerk für bürgernahe Stadtentwicklung erklärt Wolfgang Czapracki-Mohnhaupt zu der Sitzung der Bezirksvertretung Süd-West am 18.03.2020, in der es nach Medienberichterstattung zum Ende des öffentlichen Teils zu einem Eklat kam, als die Bezirksvertreter*innen mehrere Bürgerinitiativen angriffen: »Zur Sitzung der Bezirksvertretung: Zum Ende des öffentlichen Teils der Sitzung am 18.03.2020 kam es dann doch noch zu einem lebhaften Austausch zwischen dem Bezirksbürgermeister und der in Corona-Zeiten auf 6 Mitglieder geschrumpften Bezirksvertretung Süd-West. Auslöser war die von Bürgerinitiativen – u.a. auch dem Netzwerk – im Vorfeld geäußerte Kritik an der Abarbeitung der geplanten Tagesordnung durch ein „Notstands-Gremium“.

Schade nur, dass die Initiativen zu diesem Zeitpunkt nicht mehr anwesend waren. Dabei hatte der Vertreter des Netzwerks wegen des mehrfach vom Bezirksbürgermeister im Sitzungsverlauf angedeuteten Diskussionsbedarfs bis nach dem Tagesordnungspunkt „Edeka Weitmar“ vergeblich auf Stellungnahmen aus der Politik gewartet. Beim Verlassen der Sitzung ist er dann vom Bezirksbürgermeister noch freundlich verabschiedet worden. Erst als keine Gegenrede mehr zu erwarten war, haben Bezirksbürgermeister und Mitglieder der Bezirksvertretung dann die Gelegenheit genutzt „Klartext zu sprechen“ und hierbei u.a. erwogen, gegen diese „Spinner“ strafrechtliche Schritte einzuleiten.

Dass die Politik hierfür in der Justiz Zustimmung erhalten wird, muss nicht nur angesichts der auch in Corona-Zeiten weiterhin grundrechtlich geschützen Meinungsfreiheit stark angezweifelt werden. Ob hingegen der Versuch des Bezirksbürgermeisters, die Kritik aus der Bürgerschaft als Vorstufe zu Gift in seinem Garten und Bedrohung seiner Kinder zu brandmarken, noch zulässig ist, mag hier dahin gestellt bleiben.

Die Justiz geht mit der derzeitigen Notlage grundsätzlich anders um.

Nach einem aktuellen Erlass vom 17.03.2020 sind zwar „Ðœaßnahmen erforderlich, wie sie bisher nie getroffen wurden“…. „Ziel aller Maßnahmen ist aber die Aufrechterhaltung rechtsstaatlicher Verfahrensgrundsätze bei gleichzeitiger Minimierung der Ansteckungsgefahr“. Deshalb „sollen Sitzungen nur durchgeführt werden, wenn sie keinen Aufschub dulden“.

Der Erlass ist im Übrigen auf der Website des Justizministeriums frei einsehbar.

Auf der für die Bürgerschaft frei zugänglichen Website der Bochumer Verwaltung findet sich bis heute kein Hinweis auf die Bildung von „Notstands-Gremien“. Erst recht lässt sich dort nicht feststellen, wie es zu den Notstands-Regelungen gekommen ist und welches Ziel verfolgt wird. Nur aufgrund der im Vorfeld erfolgten Kritik aus der Bürgerschaft ist bekannt geworden, wie Sitzungen in Corona-Zeiten ablaufen sollen. Ohne diese Kritik wäre die Öffentlichkeit wohl ein weiteres Mal erst durch die Berichterstattung von der Sitzung über diese für ganz Bochum bedeutsame Sonderregelung informiert worden. Dabei wollen und müssen die Menschen gerade heute frühzeitig und kontinuierlich über alle Maßnahmen informiert werden, die in rechtsstaatliche Grundsätze eingreifen.

Der Bezirksbürgermeister hat auf die Kritik nachträglich erklärt, Ziel von Politik und Verwaltung ist, „in diesen Zeiten die Handlungsfähigkeit des Staates aufrecht zu halten und das in großer Gemeinsamkeit fraktionsübergreifend.“

Selbstverständlich muss die Handlungsfähigkeit des Staates gerade auch in Notlagen aufrechterhalten werden.
Die Handlungsfähigkeit wird aber sicherlich auch dann nicht gefährdet, wenn in den Sitzungen nur die Tagesordnungspunkte abgearbeitet werden, die – entsprechend der Regelung für die Justiz – keinen Aufschub dulden.

Warum aber die Auslegung von Änderungen der bereits seit Jahren laufenden Planungen zu Edeka-Weitmar und zur Neubebauung Lewackerstraße gerade jetzt keinen Aufschub mehr dulden sollen, ist aus sich heraus nicht erkennbar – und auch in der Sitzung nicht erkennbar geworden. Erkennbar geworden ist aber, dass die Verwaltung die Verfahren unbedingt vorantreiben wollte. Deshalb erfolgten auch jeweils vorsorglich Beschlüsse für zukünftige Änderungen, die der Vertreter der Freien Bürger treffend als „Freifahrscheine“ für die Verwaltung einordnete.

Und die Bebauung an der Schloßstraße? Hier wurde die Bürgerversammlung als gesetzlich vorgesehene frühzeitige Öffentlichkeitsbeteiligung noch für April beschlossen. Dabei ist nicht zu erwarten, dass dann schon wieder derartige Veranstaltungen durchführbar sein werden. Unaufschiebbar erscheint dieses Verfahren höchstens aus Sicht des Investors, für den dessen Tochter die Sitzung im Zuschauerbereich verfolgte. Das vorgelegte städtebauliche Konzept haben der Investor und ein von diesem beauftragtes Architektenbüro gemeinsam mit der Verwaltung in mehreren Werkstatterminen entwickelt. Danach ist es nochmals geändert worden. Kann es dann verwundern, wenn gefragt wird, wie hier noch Bürgerbeteiligung möglich sein soll? Soll sich die Weitmarer Bürgerschaft mit der gesetzlich vorgesehenen Beteiligung an einem nahezu abgeschlossenen Konzept zufrieden geben?

Das Vorgehen von Politik und Verwaltung bei anderen großen Bauvorhaben in Bochum, Bürgerbeteiligung als wichtigen Bestandteil vorzusehen, hat das Netzwerk als guten Schritt in die richtige Richtung begrüßt. Davon scheint die Bezirksvertretung Süd-West meilenweit entfernt – statt Dialog übt man sich hier in Beschimpfung derer, von denen man gewählt werden will.

Wenn kritische Bürgerschaft also nach Verlassen der Sitzung, in Abwesenheit diffamiert wird, ist dies undemokratisch und feige. Offensichtlich ist die Politik in Süd-West im Nerv getroffen. Dies ist ein deutlicher Beleg dafür, dass die Kritik berechtigt ist. Und es zeigt auch, was verantwortungsvolle Politik in Krisenzeiten auf keinen Fall tun sollte.«


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