Mittwoch 18.03.20, 19:45 Uhr
Der Bochumer Mieterverein fordert:

Stopp aller Zwangsmaßnahmen gegen Mieter*innen 1


Der Bochumer Mieterverein schreibt: »Angesichts der Corona-Krise hat der Mieterverein den sofortigen Stopp aller Zwangsmaßnahmen gegen Mieter gefordert. Es müssten alle Räumungsprozesse bis auf weiteres ausgesetzt, bereits ergangene Räumungsurteile dürften nicht vollstreckt werden. „Politik und Verwaltung fordern die Menschen immer dringender auf, zu Hause zu bleiben“, sagt Geschäftsführer Michael Wenzel. „Das setzt aber voraus, dass sie noch ein Zuhause haben.“ Im vergangenen Jahr habe es in Bochum 251 Zwangsräumungen gegeben. Damit sei der traurige Rekord von 2018 (233) noch einmal übertroffen worden. Wenzel: „Das heißt, dass im letzten Jahr an jedem Werktag ein Bochumer Mieterhaushalt seine Wohnung verloren hat.“

Die Forderung, auf Zwangsmaßnahmen zu verzichten, richtet der Mieterverein aber nicht nur an die Justiz, sondern auch an die Wohnungswirtschaft. „Viele Arbeitnehmer werden in nächster Zeit von Kurzarbeit oder gar Arbeitsplatzverlust betroffen sein, Freiberufler und Kleinunternehmer von Einnahmeausfällen. Dadurch werden mehr Menschen Schwierigkeiten haben, ihre Miete oder eine Nebenkostennachzahlung zu bezahlen“, erläutert Wenzel. Der Mieterverein appelliert deshalb an Vermieter und Wohnungswirtschaft, keine Mahnungen zu verschicken und keine Klagen einzureichen. Wenn kleinere Gesellschaften oder Privatvermieter durch Zahlungsausfälle in Schwierigkeiten gerieten, sei dies genau das, wofür die Bundesregierung so umfängliche Hilfen versprochen habe. Als abschreckendes Beispiel nennt Wenzel die am Mittwoch Morgen erst in letzter Minute verhinderte Zwangsräumung einer unter häuslicher Quarantäne stehende Mieterin in Berlin-Neukölln. Näheres.

Auch die Energieversorger fordert der Mieterverein zur Zurückhaltung auf. Wenzel: „Es darf in den nächsten Wochen keine Strom-, Gas- oder Wassersperren geben, egal, wie viel Schulden ein Kunde hat. Wer seine Wohnung nicht verlassen soll oder darf, ist auf Haushaltsenergien noch mehr angewiesen als sonst. Ein paar Wochen oder Monate Zurückhaltung sollten möglich sein.“

Ein besonderes Augenmerk muss laut Michael Wenzel den Wohnungslosen gelten. Denn wer keine Wohnung habe, könne auch nicht zu Hause bleiben. Deshalb müsse die Praxis, Übernachtungsstellen für Obdachlose tagsüber zu schließen, in diesen Tagen ausgesetzt werden. „Die Stadt muss jetzt eine unterbrechungsfreie Unterbringung sicherstellen.“

Mietern, die in finanziellen Schwierigkeiten seien, rät der Mieterverein außerdem zu prüfen, ob ein Wohngeldanspruch besteht. „Das Wohngeld ist zum 1. Januar nach vier Jahren Pause wieder erhöht worden; da sind jetzt etliche Haushalte anspruchsberechtigt, die zuletzt kein Wohngeld erhalten haben.“ Wenn auch das nicht helfe, empfiehlt der Mieterverein, den Vermieter frühzeitig anzusprechen und über Stundungen zu verhandeln. Den Kopf in den Sand zu stecken, sei die schlechteste Lösung.

Außerdem könne man sich selbstverständlich beim Mieterverein Rat und Hilfe holen. Die Geschäftsstellen an der Brückstraße 58 in Bochum, an der Nikolaistraße 2 in Wattenscheid und an der Bahnhofstraße 37 in Hattingen seien wegen der Virusgefahr zwar derzeit geschlossen, der Beratungsbetrieb laufe aber telefonisch im vollen Umfang weiter. Näheres unter www.mieterverein-bochum.de/corona.


Ein Gedanke zu “Stopp aller Zwangsmaßnahmen gegen Mieter*innen

  • Norbert Hermann

    „freiwillige“ Wohnungsräumungen
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    Die Zahl der erzwungen Wohnungsgeräumten, die sich nicht von Polizei und Gerichtsvollzieher raustragen lassen sondern „freiwillig“ gehen beträgt ein Mehrfaches der genannten Zahl. Viele finden keine Wohnung, kommen bei Freund*innen oder Verwandten unter oder üben sich in „Couchhopping“.
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    Eine wesentliche Ursache besteht darin, dass die Stadt Bochum in den Rechtskreisen Hartz IV und Grundsicherung Jahr für Jahr zwei Millionen Euro bei den Betroffenen einspart. Das müssen sie aus dem ohnehin zu geringen Regelbedarf oder aus dem Zuverdienst-Freibetrag zahlen. Das ist fast so viel wie die Stadt Bochum sich von VBW-Mieter*innen über zu hohe Mieten holt. Manche werden wohl gleich doppelt geschröpft.
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    Bochum gewährt zwar (wie alle Kommunen) über die sog. „Mietobergrenze“ (MOG) (http://www.jobcenter-bochum.de/fileadmin/filebase/bochum/Downloadcenter/Jobcenter/Informationen_zu_Ihrem_Umzugswunsch.pdf)
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    bei bereits bestehendem Wohnverhältnis einen Wirtschaftlichkeits- oder Kulanzaufschlag i.H.v. 12%, mindestens aber 60 Euro. Wird aber diese Grenze auch überschritten, so zahlt die Stadt nur den Betrag der MOG. „Irgendwo muss ja Schluss sein“ heisst es. Ein Unding! Zu den Preisen lässt sich auch kaum eine neue Wohnung finden.
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    Auch die Ermittlung der sog. „Angemessenheit“ muss überdacht werden. Die Orientierung an einer finanziellen Marke ist lebensfremd. Wer lange Jahre gut und günstig wohnt und gar in die Wohnung investiert hat wird normalerweise nicht umziehen nur weil beispielsweise das Kind auszieht.
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    Es ist eh erstaunlich dass die städtische Stelle zur Vermeidung von Wohnungslosigkeit hier nicht frühzeitig einschreitet und Zwangsräumungen verhindert. Selbst unter Kostenaspekten wäre das günstiger. Zwangsräumungen vorläufig auszusetzen und nach dem „Sieg“ über Corona wieder aufzunehmen ist mehr als zynisch.

    Die Forderung nach „ein paar Wochen oder Monate Zurückhaltung“ bei Strom-, Gas- oder Wassersperren ist doch wohl nicht ernst gemeint? Strom-, Gas- oder Wassersperren machen Wohnen unmöglich. Und „Wohnen ist ein Menschenrecht“, oder nicht?

    Leider finden diese Themen keine Berücksichtigung bei den aktuellen politischen Aktivitäten zur Wohnungsproblematik.

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