Samstag 14.12.19, 17:34 Uhr

Solidarität mit den Protesten in Chile 1


 

Die Solidaritätskundgebung mit der Protestbewegung in Chile am Samstagsmittag vor dem Bochumer Hauptbahnhof verlief typisch chilenisch: Nur eine kurze Begrüßung, keine langen Reden, dafür aber viele Widerstands- und Solidaritätslieder. Worum es politisch ging, wussten schließlich alle Teilnehmenden. An die Passant*innen wurde eine kleinen Dokumentation verteilt:

»Am 18. Oktober dieses Jahres wehrten sich die Studenten gegen die Fahrpreiserhöhung, indem sie die Sperren der Metro in Santiago umgingen.
Der Anstieg um 30 CLP (0,03 EUR) löste die Explosion aus, bei der soziale Forderungen aus verschiedenen Sektoren in einem einzigen Schrei zusammenkamen:
Würde
Während dieser zwei Monate dauernden Proteste im ganzen Land hat die Regierung mit mehr Polizei und Militär reagiert.
Chile in Zahlen
Chile ist ein südamerikanisches Land, das im Süden der Welt liegt. Die Amtssprache ist Spanisch und das Land hat laut der letzten Volkszählung derzeit etwa 17,5 Millionen Einwohner.
Nach 17 Jahren Militärdiktatur von Pinochet kehrte Chile 1990 zur Demokratie zurück. In dieser Diktatur wurde die aktuelle Verfassung eingeführt, die strukturell ein Modell unterstützt, in dem die Grundrechte insbesondere dem Privatsektort zugeschrieben werden.
Chile ist durch eine makroökonomische Entwicklung gekennzeichnet, die die schwierige wirtschaftliche Situation, in der ein großer Teil der Chilenen lebt, nicht erkennen lässt.
Löhne:
50% der chilenischen Arbeitnehmer verdienen weniger als 380.000 CLP pro Monat (450 €). Nur 15,3% verdienen mehr als 850.000 CLPs netto pro Monat (1.000 €).
Armut:
Etwa 10% der Chilenen leben unter der Armutsgrenze oder unter der extremen Armutsgrenze. (Monatliches Einkommen pro Person <190 €)
Verschuldung:
66% der Haushalte sind verschuldet. Im Jahr 2018 waren 4,48 Millionen Schuldner im Rückstand. Die Lebenshaltungskosten sind so hoch, dass die Chilenen von Krediten leben müssen.
Renten:
Die unter der Diktatur gegründeten AFPs sind private Finanzinstitute, die für die Verwaltung einzelner Rentensparfonds zuständig sind. 80% der Menschen in Chile erhalten Renten, die unter dem Mindestlohn liegen. Ungleichheit:
Chile ist eines der ungleichsten Länder der Welt in Bezug auf Wohlstand. Gini-Koeffizient 0,46. 89 % der Bevölkerung muss mit nur 7% des Reichtums auskommen.
Gesundheit:
80% der Chilenen gehören dem öffentlichen Gesundheitssystem von FONASA an. In diesem System fehlt es an klinischer Ausrüstung sowie Fachärzten und die Wartelisten für Behandlungen sind sehr lang. Im vergangenen Jahr starben 9724 Menschen, die darauf warteten, behandelt zu werden.
Bildung:
Die private Bildung wurde gefördert und gestärkt, zum Nachteil der öffentlichen Bildung, die völlig vernachlässigt wird.
Wasserrechte:
Chile ist das einzige Land der Welt, in dem das Wasser privatisiert wurde (1981). Derzeit gibt es in verschiedenen Regionen des Landes Dürreprobleme. Der fehlenden Wasserversorgung für die Bevölkerung stehen große Teile der Monokultur gegenüber.

Forderungen:

    • KEINEN weiteren Missbrauch oder polizeiliche Repressionen
    • Mindestlohnerhöhung
    • Würdige und Nicht-AFP-Renten (Privatrenten)
    • Qualität und Garantie des Gesundheitswesens und der öffentlichen Bildung
    • Verstaatlichung des Wassers
    • Eine demokratisch gewählte paritätische d.h. mit proportionalem Anteil von Frauen und Volksgruppen verfassunggebende Versammlung soll eine neue Verfassung verabschieden.

Aktuelle Situation
82% der Bevölkerung gibt an, den Präsidenten beträgt abzulehnen. 80% lehnt sein Kabinett ab. Generell herrscht Misstrauen gegenüber den politischen Parteien. Der Preis für öffentliche Verkehrsmittel in Santiago wurde festgesetzt und ein Gutschein (115€) wird an 25% der am stärksten belasteten Familien ausgegeben. Das heißt, keine der Forderungen wurde von der Regierung erfüllt. Die politischen Parteien, die ein Friedensabkommen und eine neue Verfassung unterzeichnet haben, befinden sich nun an einem Punkt, an dem es keine garantierten indigenen Quoten und keine Geschlechtergleichstellung gibt. Der Präsident seinerseits hat ein Paket von Gesetzentwürfen verschickt, die u. a. den Sozialprotest kriminalisieren und Menschenrechtsverletzungen gegen die Demonstranten ungestraft lässt, da diese nicht vor Gericht gestellt würden. Die aktuelle Situation ist ernst und verschlimmert sich ohne strukturelle Veränderungen. Verletzte Demonstranten werden von selbstfinanzierten Gesundheitshelfern auf der Straße behandelt. Mehr als dreihundertfünfzig Menschen wurden verstümmelt. Diese Woche gaben die Carabineros (chilenische Polizei) chemischen Flüssigkeiten in den Wasserwerfern zu, die Hautverbrennungen verursachen. Sowohl Amnesty International als auch Human Rights Watch haben kategorische Berichte über polizeiliche Gewalt vorgelegt. Sie beklagen, dass schwere Menschenrechtsverletzungen begangen wurden, einschließlich exzessiver Gewaltanwendung auf den Straßen und Misshandlungen in der Haft. Sie fordern auch dringend eine Polizeireform.

Am 6. Dezember stellt das Nationale Menschenrechtsinstitut NHDR die folgenden Zahlen zur Verfügung:
Polizeibericht
Verhaftete Personen 8812
Beschwerden über sexuelle Gewalt 192
Folter 405
Übermäßige Gewaltanwendung in der Haft 787
Krankenhausbericht
Verletzte Menschen 3449
Augenverletzungen 352
Schusswunden 1983
Tote Menschen 23
Quelle: Nationales Menschenrechtsinstitut

Für weitere Informationen siehe: INDH, Human rights watch, Amnesty International Chile.

Solidaridad Internacional
Wir bitten Sie erneut, sich über die Situation in Chile zu informieren und uns dabei zu unterstützen, die systematische Verletzung der Menschenrechte anzuprangern. In unserem Land werden Männer, Frauen, Kinder, ältere Menschen und Jugendliche verletzt. In einer Demokratie kann das Recht auf Demonstration für menschenwürdige Lebensbedingungen nicht bedeuten, dass man die Augen verliert oder stirbt. Auf unserer Facebook-Seite „Cabildo region DEL RUHR“ finden Sie weitere Informationen über Chile und unsere Aktivitäten zur Unterstützung unserer Landsleute. Vielen, vielen Dank!!«