Sonntag 08.12.19, 07:12 Uhr

Rechte Bürgerwehren im Ruhrgebiet 1


In der in einigen Tagen erscheinenden Ausgabe der Zeitschrift Amos schreibt Heiko Koch: »Prolog: Seit Anfang dieses Jahrtausends ist es zu beobachten. Die verschiedenen Fraktionen der politischen Rechten in Deutschland transformieren ihre Inhalte, modernisieren ihre Ausdrucksformen und passen sich dem Zeitgeist an. Das heißt nicht, dass der menschenfeindliche Gehalt ihrer Ideen und Ziele verschwindet – er tarnt sich nur besser und sucht sich Mittel und Wege, seine toxischen Botschaften effektiver zu platzieren. Es gilt. die ehedem geschwächte menschenrechtliche Resilienz in dieser westlichen Demokratie zu täuschen, ihre Wahrnehmung zu unterlaufen, ihre Protagonist*innen zu verwirren und ihre Abwehrmechanismen auszuhebeln. Und es gilt, die Akzeptanz und Attraktivität rechter, menschenfeindlicher Lösungsvorschläge zu steigern. Dabei reagieren die Rechten auf die sich verändernden gesellschaftlichen Verhältnissen und Herausforderungen und bieten gekonnt Re-Nationalisierung, Re-Souveränisierung und völkische Vergemeinschaftung als Lösung für eben diese an. Und nicht ohne Erfolg, wie es die letzten Landtagswahlen in Thüringen mit 23,4 Prozent der abgegebenen Stimmen für die AfD beweisen.

Hier einige Beispiele, der sich verändernden Performances und des Modernisierungsschubs bei den Rechten:
– Kurz nach der Jahrtausendwende begannen Neo-Nazis, ihren Kleidungsstil und öffentliches Auftreten durch die Adaption linker Dresscodes, Stiles und Designs zu modernisieren. Sie wurden von Nazis zu „Autonomen Nationalisten“.
– Die sich intellektuell gebenden „Neuen Rechte“ gewann immer mehr Anhänger*innen und jugendliche Anteile nannten sich ab dem Jahr 2012 nach französischen Vorbild „Identitäre Bewegung“. Sie kopierten Stile und Aktionsformen französischer und italienischer Faschisten, übten sich in populistischen Inszenierungen und fanden medial viel Beachtung.
– Zunächst in Sachsen, dann aber auch in anderen Bundesländern, traten ab 2014 rechtsorientierte Bürger*innen unter dem Label „Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ – kurz PeGiDa – auf und bildeten eine extrem rechte Straßenbewegung. Sie zeigten auf den Straßen und Plätzen, wie stark Teile der bürgerlichen Mitte nach Rechts gerutscht sind und wie groß ihr Hass auf alles ist, was ihrer Meinung nach nicht „deutsch“ ist. Sie gelten den Medien gemeinhin als „Wutbürger“ und labeln sich selber als „besorgte Bürger“.
– Den noch gewalttätigeren Anteil der rechten Straßenbewegung bildeten die im gleichen Jahr entstehenden „Hooligans gegen Salafisten“ – kurz HoGeSa. Die rechten Hooligans ließen und lassen keinen Zweifel aufkommen, wie sie gedenken, ihre Machtansprüche auf „Volk und Heimat“ umzusetzen.
– Und als eine Art geistiger Brückenschlag aus dem genannten deutsch-nationalen Bürgertum und völkischen Schlägerbanden konstituierte sich ab dem Jahr 2013 die äußerst rechte Partei „Alternative für Deutschland“ (AfD). Dieses toxische Amalgam sitzt mittlerweile in jedem Landtag und im Bundestag. Und das nicht ein-, sondern zweistellig.

Dass seit der Jahrtausendwende 78 Menschen aus rassistischen und faschistischen Motiven in Deutschland ermordet wurden. Dass der NSU (flankiert durch die diversen bundesdeutschen Geheimdienste) in diesen Jahren ungehindert seine Mord- und Sprengstoffanschläge durchführte. Und Polizeibehörden gegen die NSU-Opfer und nicht gegen das NSU-Netzwerk ermittelten. Dass in Sozialen Medien radikalisierte Männer sich veranlasst sehen, in „Eigenregie“ Terroranschläge zu verüben, wie der rechtsradikale Schüler David Sonboly, der in München 2016 neun Menschen im Olympia-Einkaufszentrum ermordete. Oder Stephan Balliet, der am 9. Oktober diesen Jahres die Synagoge in Halle angriff und zwei Menschen erschoss. Das sei hier nur nebenbei erwähnt.

„Ihr aber lernet, wie man sieht, statt stiert
Und handelt, statt zu reden noch und noch.
So was hätt‘ einmal fast die Welt regiert!
Die Völker wurden seiner Herr, jedoch
Dass keiner uns zu früh da triumphiert –
Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch.“

(Bertholt Brecht, Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui)

Rechte Bürgerwehren

Zum aktuellen Vorgehen der Rechten gehört nicht nur die Adaption linker Aktionsformen, das Experimentieren mit neu-rechten Kommunikationsstrategien, sondern auch das Aufgreifen alter Methoden der symbolischen wie faktischen Raumaneignung durch physische, gewaltbestimmte Präsenz. Ihr steigendes Selbstbewusstsein und ihren Machtanspruch setzen die Rechten mit einen Rückgriff auf ein altes Vigilantismus-Konzept, den Bürgerwehren, um. So haben sich in den letzten Jahren diverse rechte Kleinstparteien, aber auch Hooligans und Teile der „Wutbürger“ daran gemacht, lokale Bürgerwehren zu gründen. Diese rechten Gruppierungen verorten einen Anstieg an Kriminalität, Gewalt und Unsicherheit in Deutschland. Schuld daran seien die Migrant*innen und diejenigen, die diese in das Land geholt hätten. Sie sprechen von einer „kulturellen Überfremdung“ und einem „Bevölkerungsaustausch“, sehen sich apokalyptischen Zuständen gegenüber, prophezeien einem anstehenden Bürgerkrieg und bereiten sich auf diesen vor. Um ihren „völkischen“ Machtanspruch auf dieses Land symbolisch wie real umzusetzen, inszenieren sie die Bürgerwehren. Dabei verkaufen sie sich der Bevölkerung als Garant, der „Recht und Ordnung“ auf „deutschen“ Straßen herstellt. Laut Zeitungsberichten soll es hunderte solcher Bürgerwehren in Deutschland geben. Aus einigen, wie z.B. die „Bürgerwehr Freital“ sind dabei rechtsterroristische Gruppen geworden.

Auch in NRW sind in den letzten Jahren solche Bürgerwehren entstanden. So in Köln, Düsseldorf, Mönchengladbach, Essen und zuletzt in Herne. Auf die Situation in Essen und Herne soll hier etwas mehr eingegangen werden.

Die „Steeler Jungs“ aus Essen

Seit dem Herbst 2017 marschiert an jedem Donnerstag eine Bürgerwehr durch Essen-Steele. Ausgehend vom Grend Platz patrouillieren bis zu 100 Männer im Alter von 20 bis 50 durch die Straßen des Stadtteils. Sie selber nennen sich „First Class Crew – Steeler Jungs“. Bei ihren Rundgängen lassen sie sich von Kameraden von auswärts unterstützen. Sei es aus den Essener Stadtteilen Huttrop und Altenessen, oder aus Düsseldorf und Herne. Als Ort der Sozialen Vergemeinschaftung dient ihnen die „Sportsbar 300“. Diese Bar liegt unweit des Grend Platz und wird von einem führenden Mitglied der Rockergruppe Bandidos betrieben.
Die als „Spaziergänge“ klassifizierten Umzüge ähneln einem Aufzug gewaltbereiter Hooligans auf den Weg ins Stadion. Zumeist in schwarz gekleidet und mit einheitlich bedruckten T-Shirts der „Steeler Jungs“ bilden die Teilnehmer eine bedrohlich wirkende Phalanx oft wütend dreinblickender Männer. (Frauen sind hier eine verschwindende, aber sehr aggressiv auftretende Minderheit.) Auf den Straßen, Plätzen und in der Einkaufszone verdeutlichen sie so den Passant*innen und Anwohner*innen, dass sie es sind, die die Macht über diesen Raum für sich beanspruchen. Und dass sie willens und bereit sind, dies mit Gewalt durchzusetzen. Mit dieser gewaltbestimmten Performance und einschlägigen T-Shirts rechter Modemarken und völkischen Signes bedienen sie eindeutige kulturelle Codes, die das Verwenden von Transparenten und Sprechchören obsolet machen. So finden die Umzüge auch schweigend und ohne Banner statt. Allein die massive Präsenz gewaltbereiter Männerkörper mit ihren rechten Codes macht klar, wer die Macht, diesen Raum und für welche Ziele er ihn beansprucht. Die so ausgetragene symbolische Repräsentanz der Bürgerwehren dient einer völkischen Exklusion.
Und die Strategie geht auf. Die „Steeler Jungs“ ernten für ihre Raumnahme Zuspruch aus nicht geringen Teilen der Bevölkerung und lange gab es keinen Protest gegen die Bürgerwehr. Die demokratische Resilienz versagte. Das gewohnte Wahrnehmungsradar für rechte Aktivitäten wurde unterlaufen, die eindeutige Uneindeutigkeit täuschte und verwirrte die demokratischen Protagonist*innen und unterlief deren Abwehrmechanismen.

Es gilt die Straßenverkehrsordnung

Lange Zeit brauchte es, bis sich in Steele ein antifaschistisches Bündnis, bestehend aus Kirchen und bürgerlichen Kreisen, gegen die Bürgerwehr bildete. Seitdem protestiert dieses monatlich einmal gegen die Aufmärsche. Am Rande des rechten Aufmarsches sang das Bündnis Kirchenlieder – worauf die „Steeler Jungs“ mit Halleluja antworteten. Das Bündnis kritisierte die schwarze Bekleidung – worauf die „Steeler Jungs“ mit Luftballons kamen. Das Bündnis zeigte den „Steeler Jungs“ aus lauter Verachtung die „kalte Schulter“, usw. usf.. Ähnlich wie bei dem seit August 2019 bestehenden Herner Bündnis gegen die dortige Bürgerwehr scheint man sich dazu entschlossen zu haben, die Aufmärsche nicht verhindern zu wollen, sondern lediglich dem antifaschistischen Protest einen Rahmen geben zu wollen. Ganz den Vorgaben der Polizei, die einen geregelten Verkehrsablauf zu sichern hat, wird abseits der Naziroute demonstriert. Hier die einen, dort die anderen. Alles andere würde Chaos schaffen und nicht der Verkehrsordnung und den von oben verordneten demokratischen Spielregeln entsprechen. Geht es nach dem Herner Bündnis, soll markiert, problematisiert und skandalisiert werden. Dass ein solcher Appellcharakter an die Behörden aber schon seit langem ins Leere läuft, kann man in Essen-Steele sehen und ist allen bewusst. Aber es gilt halt, „Zeichen zu setzen“. Dies führte auf Seiten des Essener Bündnis dazu, zu einer großen Demonstration im September aufzurufen. Es kamen aus Essen und den umliegenden Städten 2.500 Menschen zu einer Demonstration gegen die Bürgerwehr. Wie gehabt wurde die Straßenverkehrsordnung eingehalten. Geändert hat sich somit in Essen Nichts. Alles blieb wie gehabt. Aber das stimmt nicht. In Essen versuchen weitere rechtsgerichtete Gruppen, den „Steeler Jungs“ gleichzuziehen und beginnen ebenfalls, Bürgerwehren zu installieren.

Für Regelverletzung via der Straßenverkehrsordnung

Alte Rezepte aus dem letzten Jahrtausend erscheinen nicht mehr geeignet, die Demokratie vor ihren Feinden zu schützen. Es gilt sich neue und andere Strategien im Umgang mit der Rechten zu überlegen. Dies bedarf genauer Beobachtungen und Analysen der Strategien und Taktiken der Rechten. Und gezielter Regelverletzungen der von oben verlautbarten Straßenverkehrsordnung.«


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