Montag 11.11.19, 21:48 Uhr

Stolpersteine für die Familie Kurzberg und die Erinnerung an jüdischen Widerstand


Die Verlegung von vier Stolpersteinen für die Familie Kurzberg in der Stolzestraße wurde heute von einer großen öffentlichen Anteilnahme begleitet. Nachkommen von Norbert Kurzberg, Mitglieder der Familie Harel-Freund waren aus Israel angereist. Zur Delegation gehörte auch eine Enkelin (Foto), die eine Rede hielt. Der Chor des Neuen Gymnasiums Bochum trug ein hebräisches Lied vor, das in in den letzten Wochen einstudiert worden war. Martin Kliehm (Foto) las Passagen aus seiner Dokumentation über die Geschichte der Familie Kurzberg und die damaligen Ereignisse in Bochum vor. Viele Anwesende hörten zum ersten Mal, welchen massiven Widerstand jüdische Selbstschutzgruppen gegenüber faschistischen Übergriffen anfangs geleistet haben. Ein Auszug aus der Dokumentation:
»Dies waren nicht etwa die Tagträume eines kleinen Jungen, „mein Papa verhaut Nazis“ – tatsächlich ist es sehr wahrscheinlich, dass Siegmund Kurzberg Mitglied im Reichsbund jüdischer Frontsoldaten (RjF) war, dem etwa die Hälfte aller jüdischer Veteranen angehörte. Leitspruch des RjF war der Schlachtruf der Makkabäer: „Seid stark und tapfer!“ – die Memoiren von Norbert Kurzberg tragen in Erinnerung an seinen Vater ebenfalls den Titel „Sei stark!“, was sicher kein Zufall ist.
Der Reichsbund unterhielt ab Sommer 1923, dem ersten Höhepunkt antisemitischer Ausschreitungen, lokale Selbstschutzgruppen, die „Abwehr“ (AW). Ihre Aufgabe bestand darin, Synagogen, jüdische Grundstücke, Gebäude, Bürgerinnen und Bürger zu schützen. Bei Versammlungen war sie als Saalschutz tätig.
Die Polizei beobachtete die Selbstschutzgruppen argwöhnig, weswegen die AW geheim operierte. Sie kooperierte mit dem sozialdemokratischen Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold und der Eisernen Front, war in konspirativen Kleingruppen organisiert und besaß illegal Waffen. Im Ruhrgebiet zerstörten sie besonders vor Wahlen judenfeindliche Plakate und schickten „die kräftigsten ihrer Leute“ zu antisemitische Veranstaltungen der Nazis, die sie gezielt mit Zwischenrufen störten, was nicht selten in einer „wüsten Keilerei“ endete.
Im Oktober 1925 gründete die RjF-Ortsgruppe Bochum den Jüdischen Turn- und Sportverein (Jtus) Hakoah Bochum. Dort freundeten sich die Kurzbergs mit der Familie Spottheim an, deren Sohn Erfolge in der Leichtathletik verzeichnete. Neben körperlicher Ertüchtigung war das Ziel des Sportvereins, Nachwuchs für den RjF zu rekrutieren und die Selbstverteidigung mit Boxen und Jiu-Jitsu zu stärken. Ab 1927 unterstützte die AW der Jüdische Abwehrdienst (JAD) im RjF.
Insofern ist davon auszugehen, dass Siegmund Kurzberg mit seinen Kameraden tatsächlich Nazis verprügelte, und davon gab es in Bochum genügend: Es gab bereits seit 1924 eine SA-Gruppe, die sich in der Gaststätte Kampmann an der Ecke Wasserstraße/ Drusenbergstraße traf, unweit des Friedhofs Wasserstraße. 1926 gab es sechzig SA-Männer in Bochum, zwei Jahre später bereits 120. Vierzig Prozent von ihnen waren arbeitslos: Illegalität, Waffenbesitz und Mobbing prägten ihr Auftreten. Fast täglich lieferten sie sich blutige Auseinandersetzungen mit kommunistischen und sozialdemokratischen Gruppen sowie der Polizei.«