Freitag 08.11.19, 18:03 Uhr

Gedenken an den Holocaust in Wattenscheid


Bei der heutigen Gedenkveranstaltung des Kuratoriums „Stelen der Erinnerung“ zum Gedenken an die Reichspogromnnacht machte Andreas Halwer (Foto) vom Bochumer Stadtarchiv noch einmal deutlich, in welchem Umfang auch Kinder Opfer des Holocaust geworden sind. Sein Redebeitrag im Wortlaut: »Ich begrüße Sie hier am Standort des Gedenkens für die jüdischen Opfer der NS-Zeit in Wattenscheid, dem Ort, der den Opfern einen Namen gibt. Der Ausschuss für Kultur und Wissenschaft hatte sich im Jahr 2003 für die Stolpersteine als dezentrale Gedenkorte für das ausgelöschte jüdische Leben entschieden. Seit 2004 sind in Bochum und Wattenscheid fast 250 Stolpersteine und eine Stolperschwelle verlegt worden. In diesem Jahr kommen am kommenden Montag weitere 16 Stolpersteine hinzu, davon vier an zwei Stellen in Wattenscheid. Die Stolpersteine liegen an dem Ort, an dem die NS-Opfer zuletzt freiwillig gelebt haben. Sie werden aber nicht nur für Jüdische Opfer, sondern für alle Opfer der NS-Diktatur verlegt.

Im Sommer 2007 stellte Hannes Bienert den Bürgerantrag, auf dem Nivelles Platz eine Gedenktafel für die Wattenscheider Opfer der Shoa zu errichten. Die Einweihung der Stelen mit ihren 87 Namen erfolgte am 9. November 2009. Dieses Mahnmal ergänzt andere bereits in Wattenscheid vorhandene Erinnerungsorte an die Shoa. 1972 wurde auf dem jüdischen Friedhof an der Bochumer Straße durch die Stadt Wattenscheid ein Gedenkstein zur Erinnerung an die Verfolgung und Vernichtung der Juden in Wattenscheid errichtet. 1990 wurde in der Nähe der ehemaligen Synagoge eine Gedenktafel durch die Bezirksvertretung Wattenscheid zur Erinnerung an die Reichspogromnacht an einem Neubau auf dem ehemaligen Naß-Gelände angebracht. An beiden Gedenkorten werden keine Namen genannt.

Die 87 Namen auf den Stelen stehen für alle Wattenscheider Bürger jüdischen Glaubens, die in Wattenscheid geboren sind oder aber von 1933 bis 1945 in Wattenscheid gelebt haben. Die Liste wurde durch das Stadtarchiv erstellt, das auch das Projekt Stolpersteine inhaltlich betreut.

Viele dieser Namen sind auch auf Stolpersteinen eingraviert. Auf den Stelen hier am Nivelles-Platz finden Sie die Namen von vielen Kindern. Oft sind sie zusammen mit ihren Eltern aufgeschrieben.

Das jüngste Kind ist Amalie Weinthal. Sie wurde 1937 im ostfriesischen Jheringsfehn geboren. Mit ihren Eltern und ihrer Großmutter kam sie 1939 nach Wattenscheid. Die Großmutter, die ebenfalls Amalie hieß, starb im März 1941 in Wattenscheid im Alter von 74 Jahren. Die Eltern, Helene und Moritz, wurden zusammen mit der kleinen Amalie im April 1942 von hier in das Ghetto ZamoÅ›ć in der Nähe von Lublin deportiert. Helene und Amalie wurden sofort nach der Ankunft in ZamoÅ›ć umgebracht, Moritz wurde kurz vor Weihnachten im benachbarten Konzentrationslager Majdanek umgebracht.

Nach ZamoÅ›ć wurden mit diesem Transport drei weitere Wattenscheider Kinder deportiert: Heinz Groß, Jahrgang 1931, Inge Groß, Jahrgang 1929, und Benno Schnitzer, Jahrgang 1925.

Hans Fryda, Jahrgang 1927, wurde 1944 in Auschwitz umgebracht. Betty Hartmann, geboren 1927, wurde 1942 ebenfalls in Auschwitz umgebracht. Gerd Kaufmann, 1928 geboren, wurde 1944 im elsässischen Natzweiler umgebracht. Rudi Liebreich, Jahrgang 1926, wurde 1943 in Auschwitz umgebracht. Werner Schürmann, Jahrgang 1925, wurde 1942 in Auschwitz umgebracht. Rosa Ruth Wassermann, geboren 1930, und ihre Schwester Frieda, geboren 1928, wurden zusammen mit ihren Eltern 1938 nach Bentschen, polnisch Zbaszyn, abgeschoben und später an einem unbekannten Ort umgebracht.

All diese Kinder könnten nach biologischen Maßstäben heute noch leben.

Einige Kinder konnten über sogenannte „Kindertransporte“ entkommen. So Moritz und Edmund Schnitzer, die älteren Brüder von Benno, der zusammen mit seinen Eltern zu den Mordopfern gehört. So wurde die Familie zerrissen, ein Teil konnte sein Leben leben, ein Teil wurde umgebracht. Für die Familie Schnitzer liegen nicht weit von hier Stolpersteine auf dem Alten Markt.

Außer Benno Schnitzer bekamen weitere Kinder „Ihren“ Stolperstein an ihrem letzten freiwilligen Wohnort. Für die Familien Groß, Schnitzer, Fryda, Kaufmann und Liebreich liegen über das Stadtgebiet verteilt Stolpersteine. Für die Familie Wassermann sollen im nächsten Jahr Stolpersteine verlegt werden.

In diesem Jahr, am kommenden Montag, dem 11. November, werden auch wieder mehrere weitere Stolpersteine verlegt. So auch für die Familie Basch in der Hochstraße 24.

Martin Basch und seine Frau Rosa flüchteten schon 1933 nach Amsterdam. Bereits dort wurde ihre Tochter Sylvie Juliette geboren. Nach der Eroberung der Niederlande durch deutsche Truppen geriet die kleine Familie wieder in Gefahr. Sie wurden in das Sammellager Westerbork gezwungen. Von dort aus wurden sie 1943 nach Sobibor bzw. Auschwitz deportiert. Noch im selben Jahr wurde die ganze Familie umgebracht.

Am 20. November werden die Stolpersteinpaten dieses Jahres ihre Rechercheergebnisse im Rahmen einer Veranstaltung im Stadtarchiv an der Wittener Straße 47 vorstellen. Zu dieser öffentlichen Veranstaltung sind Sie alle eingeladen. Und im Internet können Sie jederzeit die Ergebnisse der letzten Jahre auf der Seite www.bochum.de/stolpersteine nachlesen.

Und wenn Sie, liebe Anwesenden, es möchten, können Sie selbst Pate werden. Leider gibt es noch genügend NS-Opfer ohne einen Stolperstein.

Die Stolpersteine werden jedoch nicht nur für jüdische Opfer, sondern für alle Opfer der NS-Diktatur verlegt. Ein Stolperstein wird in diesem Jahr in Westenfeld für Martha Winko verlegt. Er wird vor dem Haus Wibbeltstraße 18 an sie erinnern. Martha Winko wurde 1943 verhaftet und wegen „VORBEREITUNG ZUM HOCHVERRAT“ 1944 in das Konzentrationslager Ravensbrück eingewiesen. Dort wurde sie im Januar 1945 umgebracht.

Das Grauen, das die Opfer der NS-Diktatur erleiden mussten, ist unvorstellbar. Unvorstellbar auch, dass Menschen ihren Mitmenschen dieses Leid zugefügt haben. Und genauso unvorstellbar ist es, dass auch heute noch immer wieder rechtsextreme Parolen verbreitet werden.

Ich danke für die Aufmerksamkeit. «