Montag 10.06.19, 14:41 Uhr

Mit Symbolpolitik gegen den Klimawandel


Für das Netzwerk für bürgernahe Stadtentwicklung erklärt Wolfgang Czapracki-Mohnhaupt zu dem in Bochum ausgerufenen Klimanotstand: »Mit den Stimmen der SPD hat der Rat zu Beginn seiner Sitzung am 06.06.2019 den Klimanotstand für Bochum ausgerufen. Dabei hatte die Bochumer SPD vor der Europa-Wahl eine solche Resolution noch abgelehnt und dem grünen Koalitionspartner bei diesem Thema Populismus vorgeworfen.Wie ernst es der rot/grünen Koalition mit der in der Resolution angekündigten „Berücksichtigung der Auswirkungen auf das Klima bei jeglichen davon betroffenen Entscheidungen“ und der „Priorität der Entscheidungen, welche den Klimawandel oder dessen Folgen abschwächen“ wirklich ist, zeigte sich dann im weiteren Verlauf der Ratssitzung, als Rot/Grün sein „Leitbild Mobilität“ knapp zwei Wochen nach der Bürgerkonferenz 2019 zum Thema „Mobilität von morgen“ durchsetzte.

Die auf der Bürgerkonferenz aufgestellten Forderungen erfüllt das rot/grüne Leitbild nicht. Wenn auch eine abschließende Auswertung der Konferenz noch aussteht, war bereits als zentrale Forderung erkennbar, dass in Bochum zunächst einmal die Voraussetzungen für einen Umstieg vom Auto auf klimafreundliche Verkehrsmittel wie Bus und Bahn sowie Rad geschaffen werden müssten. Hierfür sind aber u.a. ein lückenloses Alltags-Radwege-Netz sowie die Beschleunigung des ÖPNV durch Taktverdichtung und Abstimmung im Netz unverzichtbar.

Mit dem rot/grünen „Leitbild Mobilität“ wird Bochum dies nicht schaffen.

Die dort angestrebten Ziele bleiben nämlich noch hinter den bereits 2016 in die Bewerbung für die Aufnahme in die „Arbeitsgemeinschaft fußgänger- und fahrradfreundlicher Städte und Gemeinden“ (AGFS) aufgenommenen Ziele – u.a. Reduzierung des Anteils am motorisierten Individualverkehr auf 35 % bei Anhebung des Radverkehrs-Anteils von derzeit 5 % auf 20 % – zurück.

Da darf sich die rot/grüne Koalition nicht wundern, wenn ihr vorgeworfen wird, in Bochum mit Symbolpolitik gegen den Klimawandel vorgehen zu wollen.

Will sie diesen Vorwurf entkräften, muss sie nicht nur bei allen zukünftigen Entscheidungen die Frage nach den Auswirkungen der konkreten Maßnahmen vorschalten und – wie die Grünen angekündigt haben – konkrete Maßnahmen zur Klimaverbesserung einleiten. Sie muss auch bereits getroffene Entscheidungen erneut auf ihre Klimaauswirkungen überprüfen.

Dann gehört aber nicht nur das „Leitbild Mobilität“ unter Berücksichtigung der Auswertung der Bürgerkonferenz 2019 auf den Prüfstand.

Auf den Prüfstand gehören dann u.a. auch Vorgaben, die 2018 durch das Wohnbauflächenprogramm für Bauvorhaben geschaffen worden sind. Dieses Programm enthält nämlich nicht nur solche Flächen, die aufgrund bisheriger Nutzung bereits überwiegend versiegelt sind. Vielmehr weist es in den Bezirken auch Freiflächen aus, die trotz ihrer ökologischen und klimatischen Wertigkeit für die Stadt neu versiegelt werden sollen. Dabei lag Bochum nach einer VdS-Studie 2018 bei den versiegelten Flächen unter den Großstädten bundesweit an 9. Stelle und im Ruhrgebiet hinter Oberhausen und Gelsenkirchen sogar auf dem 3. Platz. Und dies, obwohl nach dem rot/grünen Koalitionsvertrag von 2014 nicht nur weitere Versiegelungen gestoppt, sondern sogar versiegelte Flächen entsiegelt werden sollten.

Um dem ausgerufenen Klimanotstand nachzukommen, muss jede Freifläche vor Aufnahme der Planungen für den Vorentwurf eines Bebauungsplans deshalb nochmals auf ihre Klimabedeutung überprüft werden.

Weil die Bürgerkonferenz nun aber gezeigt hat, dass die Bochumer Bevölkerung nicht nur zur Mobilitätswende bereit ist, sondern auch lokalen Sachverstand besitzt, sollten Politik und Verwaltung die Bereitschaft und die Kenntnisse der Bürger*innen vor Ort auch für die weitere Planung nutzen.

Das Netzwerk fordert den Rat deshalb auf, der Verwaltung aufzugeben, jeder Erstellung eines Vorentwurf zu einem Bebauungsplan eine Untersuchung der Klimaauswirkungen vorzuschalten, die Ergebnisse der Untersuchung zu veröffentlichen und diese dann in dem betroffenen Stadtteil mit den Bürger*innen vor Ort zu erörtern.«