Montag 16.01.17, 20:49 Uhr
Abschiebungen nach Afghanistan und in die Balkan-Kälte:

Die Grünen müssen ran! 3


von Norbert Hermann
In der vergangenen Woche appellierte der „Initiativkreis Flüchtlingsarbeit Bochum“ an die Spitze der Stadtverwaltung und an die politischen Parteien, von Menschenleben gefährdenden Abschiebungen Abstand zu nehmen. Jetzt sieht es so aus, als wollten sich die Angesprochenen in gewohnter Manier unter Hinweis auf gesetzliche und politische Vorgaben aus der Verantwortung stehlen. Dabei ist die Stadtverwaltung wie auch die sie mittragende Grüne Fraktion/Partei in großer Zahl im Initiativkreis vertreten. Sie appellieren damit sozusagen an sich selbst und sollten sich auch bemühen, das umzusetzen.

Verwaltungshandeln bedarf natürlich immer einer gesetzlichen Grundlage (sic!). Das verpflichtet aber die Behörde wie jedeN einzelnen Mitarbeiter*in gerade, immer im Einzelfall auch das Vorliegen der rechtlichen wie tatsächlichen Voraussetzungen zu prüfen. Sich einfach wie taub und blind hinter einem vermeintlichen Ukas aus Berlin oder Düsseldorf zu verstecken, geht nicht.

Natürlich ist es nicht Aufgabe der örtlichen Ausländerbehörde, die Entscheidung des Bundesamtes zu überprüfen (es sei denn es liegen offensichtliche Mängel vor). Ihre Aufgabe ist es, die Rechtsfolgen aus dem Asylverfahren umzusetzen. Bei einem negativen Ausgang sind allerdings ggf. inlandsbezogene und andere Abschiebungshindernisse zu ermitteln. Darüber hinaus trägt die örtlichen Ausländerbehörde die Verantwortung für das „Wie“ und das „Wann“ einer Abschiebung.

Für Afghanistan ist ja heftigst umstritten, ob Abschiebungen dorthin rechtmäßig sein können. Das gilt nicht nur für die allgemeine Sicherheitslage, auch einzelne Menschen und ihre noch dort lebenden Familien sind konkret bedroht, weil die Personalien Geflüchteter oftmals bekannt sind und nicht nur die Taliban, sondern auch der IS in allen Landesteilen operieren. Um nicht unumstößliche Tatsachen zu schaffen, sind die Abschiebungen auszusetzen bis zu einer vorläufigen Klärung.

Für Rom und Romni vom Balkan wird immer wieder auf dort stattfindende Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu ihrer sozialen Gruppe berichtet. Darum geht es bei „Winterabschiebestopp“ jedoch nicht, sondern darum, dass es für sie in der kalten Jahreszeit viel schwieriger ist, ihr Überleben zu sichern und zu stabilisieren. Hier kann durchaus eine „erhebliche konkrete Gefahr für Leib und Leben“ (§ 60 VII 1 AufenthG) angenommen werden. Eine „Aufnahme in Sicherheit und Würde“ ist dann nicht zu erwarten.

Das muss die Ausländerbehörde im Rahmen ihres pflichtgemäßen Ermessens berücksichtigen und Abschiebungen mindestens bis Ostern aussetzen. Sie hat nämlich die Möglichkeit, eine asylverfahrensunabhängige humanitäre Aufenthaltserlaubnis zu erteilen und eine Abschiebung vorübergehend auszusetzen (Duldung), beispielsweise wenn dringende humanitäre oder persönliche Gründe vorliegen (§ 60a II 3 AufenthG). Diese Duldung liegt voll und allein im Ermessen der zuständigen Ausländerbehörde.

Zwar kann sich die Behörde dabei den Vorwurf des „Überermessens“ einhandeln. Aber das sollte sie riskieren. Politik und Zivilgesellschaft sollten ihr dabei den Rücken stärken.


3 Gedanken zu “Die Grünen müssen ran!

  • Dabby

    Naja, wer im Jahr 2017 noch Hoffnungen in die Grünen setzt, glaubt wahrscheinlich auch an den Weihnachtsmann und die unbefleckte Empfängnis.

    Ich fürchte, wenn solche Appelle überhaupt eine Reaktion hervorrufen, dann wohl diese:

    „Super, es gibt ja doch noch Leute aus der Bewegung, die sich einbilden, dass wir ihre Bündnispartner sein könnten. Dann können wir ja ruhig so weiter machen wie bisher, und sie weiter für dumm verkaufen. Sie merken es ja eh nicht.“

  • Regina

    Hilfloser Appellismus

    Seit einem viertel Jahrhundert, seit der Grundgesetzänderung auf Asyl am 26. Mai 1993, ist klar, dass in Deutschland fast niemanden Asyl gewehrt werden soll. Dafür wurden damals Gesetze und Verordnungen erlassen, abschreckende Lager und Gesetze eingerichtet, die Grenzkontrollen massiv verstärkt und Abschiebegefängnisse eingeführt.
    Seit dieser Zeit hat sich an der Asylpolitik in diesem Land fast Nichts zum Positiven geändert. Im Gegenteil. Das Abschiebesystem hat man perfektioniert. Sicherheit und Soziales der Flüchtlingsunterbringungen hat man in die Hände privater gewinnorientierter Firmen wie Security Kötter, European Homecare, etc. gelegt. Im großen Maßstab hat man die Außengrenzen der BRD von der Oder an das Mittelmeer verlegt, die Abschottungspolitik setzt eine europäische Organisation namens Frontex durch, usw. usf.
    Und mitten drin die Partei „Die Grünen“, die diese Rechtsentwicklung in diesem Land mitgetragen hat. Die Auslandseinsätze der Bundeswehr und den Kriegseinsatz im Kosovo vor 20 Jahren ermöglichten, die Verarmungspolitik via der Agenda 2010 turboisierten, usw.

    Die Grünen sind eine Partei, die so gut wie jedes ihrer Prinzipien mit denen sie vor 37 Jahren gründete verriet. Sie ist eine neoliberale Partei, die vor allem mittelständische BesserverdienerInnen vertritt. Klassisches Bildungsbürgertum, das nicht abrutschen möchte, und mal mehr mal weniger nach unten tritt, um die soziale Stellung zu erhalten.

    Sie sollten mal ihren Kompass neu justieren Herr Herrmann. Die Anfang 80er sind vorbei.
    Die Grünen von heute sind die FDP der 80er. Und damals hätten sie wohl weder an die FDP Appelle gerichtet, noch sie in ihren Initiativen aufgenommen, oder?

    Damals wie heute gilt – selber machen und außerparlamentarische Opposition.

  • Livingston

    Moin allerseits,

    mir leuchtet nicht ein, an welcher Stelle ein Hinweis zu finden ist, dass Norbert in den Grünen „Bündnispartner“ sucht. Offensichtlich geht es doch darum, den Bochumer Ableger dieser Partei jetzt in die Pflicht zu nehmen, den Versprechen Taten folgen zu lassen – und zwar jetzt, wo es um Leben und Tod geht, und natürlich abgesehen davon, dass man Spezialdemokraten jeglicher Couleur auch mal dran erinnern darf.
    Insbesondere hat Norbert es nicht nötig, sich mit den Worten von Regina sagen zu lassen: „Sie sollten mal ihren Kompass neu justieren Herr Herrmann. [Zeichensetzung so im Original]“ Das ist eine Herabwürdigung seines Engagements und seines praktischen Handelns. Wer jemals mitbekommen hat, wie er sich mit viel Herzblut, zielgerichtet und auch mit aufweisbaren Erfolgen für die Menschen einsetzt, und dann versucht, ihm solchen Stuss unterzuschieben, sollte vor Scham im Boden versinken.
    „Appelismus“ passt als Kritik überhaupt nicht, denn die von Pierre Bourdieu so bezeichnete nölige, schicksalsergebene Haltung ist eben nicht identisch mit dem akuten Aufruf an die Grünen, sich ihrer eigenen Worte, Versprechen und Beschlüsse zu erinnern.
    Aus der dogmatischen Haltung heraus, die Grünen zu bashen, und in Folge die direkte Ansprache an sie als so etwas wie Anbiederung zu interpretieren, ist in diesem Zusammenhang einfach nur mies – zumindest solange, wie keine relevante Kraft bereit ist, Stadtrat und zuständige Verwaltungseinheiten zu übernehmen, um dem praktizierten unmenschlichen Treiben ein Ende zu setzen.

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