von Wolfgang Czapracki-Mohnhaupt
Vor 30 Jahren in Bochum wurde nicht nur der Bahnhof Langendreer eröffnet, Frank-Patrick Steckel die Leitung des Schauspielhauses Bochum übertragen und erstmals Bochum Total veranstaltet, vor 30 Jahren erfolgte auch der vollständige Abriss des Heusner-Viertels und der damalige Polizeipräsident nahm das Instrumentarium der Einkesselung in seine Strategie im Umgang mit Demonstrationen auf.
Aufgrund eines bestandskräftigen Bebauungsplans für den Bau der „Westtangente“ – einer innerstädtischen Schnellstraße – schwebte über dem Heusner-Viertel seit 1976 die Abrissbirne: Das Viertel stand dem Bau der Straße im Wege. Deshalb zogen einige BewohnerInnen weg, immer mehr Wohnungen standen leer.
Anfang der 80er Jahre fehlte in Bochum bezahlbarer Wohnraum für Studierende. Diese fanden im Heusner-Viertel mit seinen ca.150 Wohnungen über das AkaFö preiswerten Wohnraum, in den sie aber wegen dessen schlechten Zustands zunächst noch selbst investieren mussten. Weil Gelder für die Umsetzung des Bebauungsplans fehlten, gingen die Vertragsparteien von einer Nutzungsdauer von mehr als 5 Jahren aus. Andere, nicht vermietbare Wohnungen im Viertel wurden besetzt.
Als die Umsetzung des Bebauungsplans dann doch früher als erwartet angekündigt und Ende 1983 Mietverträge gekündigt wurden, versuchten die BewohnerInnen, leer gezogene Wohnungen sofort zu besetzen. Sie wollten ihr Viertel erhalten. Die Stadt Bochum hingegen versuchte, jedes frei gezogene Haus ohne vorherige Ankündigung sofort abzureißen.
Dokumente:
Zur Chronik des Viertels von den 30er Jahren bis August 1985:
„Jutta Wallerich, Portrait eines Stadtteils“,
zur weiteren Entwicklung bis zum Abriss
„Filmkollektiv Videotie, Tanz auf dem Vulkan“
Fotos von 1984 – 1990
Wolfgang Dengel, Heusnerviertel
Nachdem bereits im Dezember 1984 die Heusnerstr. 9 – wie später vom Landgericht Bochum festgestellt – rechtswidrig abgerissen worden war, fielen 1986 die übrigen Häuser nach und nach der Abrissbirne zum Opfer.
Der für Aschermittwoch 1986 geplante Abriss mehrerer Häuser musste zwar abgesagt werden, weil der Termin bereits zuvor bekannt geworden war.
Am 12.03.1986 besetzten dann aber früh morgens mehrere Hundertschaften der Polizei das Viertel. Die Pestalozzi-Schule und die Häuser Pestalozzistr. 32 und Bahnstr. 6 und 8 wurden abgerissen.
Am 23.05.1986 nutzte der Oberstadtdirektor die ihm gelegentlich eines Polizeieinsatzes im Viertel gebotene Ortsbesichtigung, um der Stadt Bochum als Eigentümerin der Bahnstr. 4 – nur eine Woche vor dem vom Amtsgericht Bochum für einen Besitzschutzanspruch eines Bewohners angesetzten Gerichtstermin – aus angeblichen seuchenpolizeilichen Gründen den Abriss des Hauses aufzugeben. Die Stadt kam der Aufforderung sofort nach und verhinderte in Erfüllung einer – wie später vom Verwaltungsgericht Gelsenkirchen festgestellt – rechtswidrigen Verfügung des Oberstadtdirektors, dass die BewohnerInnen zuvor ihr Hab und Gut selbst in Sicherheit bringen konnten.
Nachdem in weiteren Verfahren schließlich die Räumungsverpflichtung von MieterInnen und BesetzerInnen festgestellt worden war, besetzten am 20.11.1986 mehrere Hundertschaften der Polizei das Viertel, um den Abriss der verbliebenen Häuser zu sichern. Am Ende des nächsten Tages waren auch die letzten 11 Häuser zwischen Heusner -, Pestalozzi-, Bahn- und Kohlenstr. dem Erdboden gleichgemacht.
Bei der sich am 22.11.1986 anschließenden Demonstration setzte die Polizei auf das auch in Bochum bereits bei Demonstrationen eingesetzte Instrumentarium der Einkesselung, obwohl das Verwaltungsgericht Hamburg dieses im Oktober für den „Hamburger Kessel“ als rechtswidrig eingeordnet hatte.
Bereits über das gesamte Jahr 1986 war es in Bochum bei Demonstrationen gegen den Abriss des Heusner-Viertels zu Einkesselungen gekommen. In Bochum war dieses Mittel zum „Wander-Kessel“ weiterentwickelt worden. So wurde der aufgrund der Räumungen und Abrisse im März spontan in der Innenstadt durchgeführte Demonstrationszug eingekesselt und dann über die Alleestr. bis zur Kohlenstr. verbracht.
Und 2016 – 30 Jahre später?
Die heutige Polizeipräsidentin hat nach Jahren Bochumer Abstinenz am 01. Mai 2016 den Kessel wieder gegen DemonstrantInnen eingesetzt. Mehr als 200 Personen, die gegen einen NPD-Aufmarsch protestieren wollten, wurden stundenlang im Kessel festgehalten.
Und die Stadtverwaltung denkt bei Aufstellung eines „Handlungskonzepts Wohnen“ darüber nach, ob zur Steigerung des allgemeinen Wohnwerts in Bochum auch älterer Wohnbestand abgerissen werden soll. Seit Jahren fehlt preiswerter Wohnraum. Ob und wie der von der Verwaltung selbst mit ca. 7.500 Wohnungen benannte Leerstand aktiviert werden soll, ist offen. Eine Zweckentfremdungssatzung als mögliches Mittel zur Verbesserung der Situation ist bisher nicht erlassen worden.
Und jetzt?
Gibt es jetzt eine Sammelklage oder nicht?
Und was machen die Helden, die die Leute in den absehbaren Polizeikessel geführt haben?
Ihre nächsten “Coup” vorbereiten?
Abgesehen davon, dass es in Deutschland keine Sammelklage gibt und in diesem Fall eine Verwaltungsklage nötig ist: viele der damaligen Betroffenen engagieren sich noch heute in Bochum politisch und sind auch im Fall 1.Mai dabei, die Nacharbeit zu unterstützen, eine mögliche Klage vorzubereiten,etc. Nur dass sich ein*r davon als Held*in betrachtet, habe ich nie erlebt. Augen auf, beim Eierkauf ;-)
Liebe Katja, Danke für Deinen Hinweis.
Du wirst Recht haben.
Patriarchale Strukturen gibt es sicherlich nicht da wo Du Dich aufhälst.