Ein Jahr nach der Einführung des gesetzlichen Mindestlohns zieht die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) für die Stadt Bochum eine positive Bilanz. „Zum ersten Mal haben alle Beschäftigten einen festen Lohnsockel unter den Füßen – von der Küchenhilfe bis zur Verkäuferin im Backshop: Wer arbeitet, muss dafür mindestens 8,50 Euro pro Stunde bekommen“, sagt Yvonne Sachtje. Für die Geschäftsführerin der NGG Ruhrgebiet ist der gesetzliche Mindestlohn der „Einstieg in den Lohn-Aufstieg für Menschen, die zuvor mit Niedrigstlöhnen abgespeist wurden“. Vom „Schreckgespenst Mindestlohn“, vor dem die Arbeitgeber auch in Bochum noch vor einem Jahr gewarnt hätten, sei nichts übrig geblieben: Der Mindestlohn sei weder „Konjunktur-Bremser“ noch „gefährlicher Job-Killer“. Die NGG legte dazu jetzt eine aktuelle „Mindestlohn-Analyse“ vor, die das renommierte Pestel-Institut (Hannover) im Auftrag der Gewerkschaft gemacht hat.
Die Wissenschaftler werteten dabei auch die Beschäftigungssituation in der Stadt aus: „Anstatt Servicekräfte oder Küchenpersonal zu entlassen, haben Bochumer Hotels, Pensionen, Restaurants und Gaststätten neue Kräfte eingestellt. Insgesamt arbeiteten dort im Juni vergangenen Jahres immerhin knapp 3.000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte – und damit 1,5 Prozent mehr als noch im Vergleichsmonat des Vorjahres, als es den gesetzlichen Mindestlohn noch nicht gab“, sagt Sachtje.
Nach Angaben der NGG Ruhrgebiet hat der Mindestlohn dazu geführt, dass etliche Arbeitgeber aus Mini-Jobs reguläre Stellen gemacht haben. Das gelte nicht nur für die Gastro-Branche. „Viele Mini-Jobs waren besonders schlecht bezahlt. Durch den Mindestlohn sind die Mini-Jobber dann über die 450-Euro-Grenze gerutscht. Und das sind jetzt sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze. Diese Menschen haben damit etwas Besseres als den Mini-Job. Das ist ein Riesenerfolg“, sagt Yvonne Sachtje.
Dabei hat zudem der Staat vom Mindestlohn profitiert. Er musste weniger Menschen unterstützen und sparte bei den Hartz-IV-Ausgaben. Denn die Zahl der Aufstocker ist zurückgegangen: „Im Juni vergangenen Jahres gab es in Bochum 87 Aufstocker weniger – ein Rückgang um 1,3 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat. Diese Menschen können nun von ihrer Arbeit leben. Sie sind nicht länger auf die ‚Stütze vom Staat‘ angewiesen“, so Sachtje.
Diese Zahlen liefern für die Geschäftsführerin der NGG Ruhrgebiet eine „klare Botschaft“: „Der gesetzliche Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde hat den Beschäftigten gut getan. Und er hat der Wirtschaft nicht geschadet.“ Im Gegenteil: Das Lohn-Plus habe Bochum eine höhere Kaufkraft beschert, von der insbesondere auch die heimische Wirtschaft profitiert habe. „Denn Beschäftigte, die den gesetzlichen Mindestlohn bekommen, haben das zusätzlich verdiente Geld nahezu eins zu eins in den Konsum gegeben“, betont Sachtje.
Um diesen Menschen die Chance zu geben, auch Geld für größere Anschaffungen auf die hohe Kante zu legen, müsse der Mindestlohn allerdings steigen: „Unser Ziel ist es, ihn möglichst rasch in einem ersten Schritt auf 10 Euro pro Stunde anzuheben“, macht die Gewerkschafterin deutlich. Die NGG habe einen ganz wesentlichen Beitrag dazu geleistet, dass der gesetzliche Mindestlohn in Deutschland vor einem Jahr überhaupt eingeführt worden sei. Jetzt werde man ebenso hartnäckig daran arbeiten, ihn schrittweise „zu liften“.
Für die NGG Ruhrgebiet ist eine Erhöhung des Mindestlohns nur konsequent. Das zeige auch eine Renten-Berechnung des Bundesarbeitsministeriums: Um eine Rente von mindestens 769 Euro pro Monat – also gerade einmal die Grundsicherung im Alter – zu bekommen, müsste ein Beschäftigter mindestens 11,50 Euro pro Stunde verdienen. Und das 45 Jahre lang bei einer Vollzeitstelle. „Ein Leben lang arbeiten und dann doch nur ‚Alters-Hartz-IV‘ bekommen – das kann und das darf es nicht sein. Der gesetzliche Mindestlohn steckt noch in den Kinderschuhen. Aber wir werden ihn groß bekommen“, ist sich NGG-Geschäftsführerin Sachtje sicher.
Montag 25.01.16, 11:25 Uhr
Ein Jahr Mindestlohn - NGG zieht Bilanz