von Norbert Hermann, Bochum Prekär
Toni Hillebrand von der “Sozialberatung Ruhr” ist bekannt dafür, dass er ungerne einen Fettnapf auslässt. Er steht auch dazu. Von Astrid Platzmann-Scholten von den Grünen, Vorsitzende des Sozialausschusses, sind gelegentlich heftige impulsive Reaktionen erlebt worden. Wenn das zusammenkommt, wie am Dienstag im Sozialausschuss, ist das Ergebnis absehbar. Dabei ging es um das leidige Thema “Hartz IV-Beratung”, eine seit Jahren vernachlässigte Aufgabe in Bochum.
Die Sozialgesetzgebung (SGB I, §§ 13 – 17) schreibt eindeutig vor, dass die Behörden ausreichend Hilfe, Information, Beratung zur Verfügung stellen müssen, damit “jeder Berechtigte die ihm zustehenden Sozialleistungen in zeitgemäßer Weise, umfassend und zügig erhält”. Das tun die ARGEn/Jobcenter aber nicht, nirgendwo. Aus diesem Grund und aus Wut und Empörung über die menschenverachtenden Hartz-Gesetze hat sich schon Ende 2004 in Bochum die “Unabhängige Sozialberatung” im Sozialen Zentrum gegründet. Die ist mittlerweile umgezogen ins “Haus der Begegnung” in der Alsenstr. 19, ein Kollege ist seit Längerem schon immer wieder befristet in der “Beratungsstelle für Arbeitslose” in der Brückstr. 46 tätig, ein Kollege hat die Beratung im Wahlkreisbüro von Sevim Dagdelen übernommen, und Toni Hillebrand hat die “Sozialberatung Ruhr” gegründet. Für IG-Metall Mitglieder findet jeden Montag Vormittag eine eigen Beratung statt. VdK und SoVD führen in geringem Umfang Hartz IV-Beratungen für Mitglieder durch. Der ver.di-Erwerbslosenausschuss bereitet eine eigene Sozialberatung vor.
Alle Beratungsstellen haben ihre Schwerpunkte und beraten auf ihre Art gut. Bei komplizierteren Sachverhalten kann das Einholen mehrerer Meinungen und dann der Gang zu Anwalt oder Anwältin sinnvoll sein.
Das Hartz IV-Gesetz (SGB II) sieht auf den ersten Blick einfach und übersichtlich. Einfach ist aber nur die Zielsetzung: die Repression der betroffenen Menschen. Kompliziert wird es durch die mittlerweile mehr als 70 Veränderungen, die es seit der Inkraftsetzung 2005 erfahren hat, und die mehr als 2.000 Seiten Durchführungshinweise, Geschäftsanweisungen usw.. Die Personalpolitik in den Jobcentern ist leider so, dass in hohem Maße mit quer Eingestiegenen gearbeitet wird, die sich mit “learning-by-doing” die Basiskenntnisse aneignen müssen. Antragsverschleppung und fehlerhafte Bescheide sind die Folge.
Das ist zu viel für die “ehrenamtlich” Tätigen, die in Bochum die Hauptlast der Beratungen tragen, und viel zu viel für die eine einzige feste bezahlte Beratungsstelle in Bochum. In Essen stehe dafür sechs Stellen zur Verfügung, in Dortmund vier. In Bochum wissen viel Betroffene immer noch nicht, dass es diese Beratungsstellen gibt. Es grenzt an ein Wunder, dass es nicht zu viel mehr Unruhe im Jobcenter kommt. Mehr als einhundert Verwarnungen werden dort eh schon jährlich ausgesprochen und es kommt auch immer wieder zu Hausverboten.
Es ist also längst überfällig, dass die (bezahlte) Beratungskapazität in Bochum aufgestockt wird. In den nächsten Jahren wird der Beratungsbedarf enorm ansteigen, wenn ein großer Teil der Geflüchteten nach Anerkennung in Hartz IV gerät. (Nebenbei: für die Geflüchteten gilt der gleiche Rechtsanspruch auf Hilfe und Beratung des SGB I, hier im Asyl- und Asylverfahrensrecht. Es ist ein Unding, dass die “Medizinische Flüchtlingshilfe” versuchen muss, diese staatlich/kommunale Aufgabe mit Hilfe von Spendengeldern wenigstens zu einem Minimum zu erfüllen).
Beratungsstellen können durch das Land gefördert werden. Allerdings soll das in jedem Ort nur eine Einrichtung sein, die Anzahl insgesamt und die Mittel sind landesweit gedeckelt. Erwerbslosenberatung werden zu 80% vom Land NRW mitfinanziert. Niedrigschwellige Arbeitslosenzentren erhalten einen pauschalen Festbetrag von 15.600 Euro im Jahr. Das zuständige Ministerium (MAIS) wird unter Berücksichtigung der fachlichen Stellungnahmen aus Regionen und der G.I.B. eine Auswahl treffen.
So, und wo bleibt nun der Eklat? Mit der Einrichtung von Hartz IV hatte das Land die Ko-Finanzierung von Beratungsstellen eingestellt. In 2007 beschloss der Rat der Stadt Bochum, dass die Stadt dafür einspringen solle mit 95.000 Euro jährlich. Seit 2011 hat das Land die Ko-Finanzierung (mit ESF-Mitteln) wieder aufgenommen.
Die “Unabhängiger Sozialberatung” hat sich immer vehement dafür ausgesprochen, dass die langjährig bestehende Arbeitslosenberatung des Kirchenkreises weitergeführt werden solle. An dieser Entscheidung gibt es auch bis heute nichts zu mäkeln. Bald schon hat sich auch die “Sozialberatung Ruhr” darum bemüht. In der Sache berechtigt und notwendig, in der juristischen Qualität gut, im Vorgehen allerdings äußerst fragwürdig. Allein die Forderung nach zusätzlicher Beratung ist berechtigt, die folgende Kritik an der bestehenden Beratung ist ziemlich daneben, juristische Querelen an der Vergabepraxis mögen nachvollziehbar sein, sollten aber nicht bis zur existenziellen Bedrohung anderer durchgezogen werden. Sie sind damit auch gescheitert.
Am Dienstag nun hatte die “Sozialberatung Ruhr” Gelegenheit, sich im Sozialausschuss vorzustellen. Das ging völlig nach hinten los: Nachdem Frau Prof. Dr. jur. Angelika Cottmann als Mitglied des Beirates den sozialpolitischen Hintergrund und die Vereinsstruktur dargelegt hatte, kam Toi Hillebrand auf die Beratungsarbeit zu sprechen. Nach einer Bemerkung zum “Helfen und Belästigen” (Prof. Dr. Spindler) durch das Jobcenter, in der Wortwahl sehr an der Grenze, wollte er auf die Notwendigkeit unabhängiger und an den Betroffenen orientierter Beratung zu sprechen kommen. Allerdings so ungeschickt, dass der Eindruck entstehen konnte, er wolle wiederum abwertende Kritik an anderen Beratungsstellen üben. Ob er das tatsächlich vor hatte lässt sich nicht feststellen, denn schnell und heftig fiel ihm Astrid Platzmann-Scholten ins Wort, unterstellte ihm Selbiges und forderte in auf, den Vortrag zu beenden. Was dann auf die Schnelle Frau Prof. Cottmann tat.
Na, ob das verhältnismäßig war? Jedenfalls war es verhältnismäßig blöde. Als vor zwei Jahren Hans-Friedel Donschen von den damaligen „Freien Wählern Bochum“ über EU-Mitbürger_innen aus Südosteuropa herzog, hatte sie für den nur eine freundliche Ermahnung, zur Sachlichkeit zurückzukehren (bo-alternativ berichtete:
(http://www.bo-alternativ.de/2013/11/25/rassismus-im-sozialausschuss/).
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Weitere Infos:
Sozialbericht Bochum 2015 erschienen
https://session.bochum.de/bi/to0040.php?__ksinr=7698 darin:
https://session.bochum.de/bi/getfile.php?id=356049&type=do
Auch die Broschüre „Bochumer Ortsteile kompakt 2015“ kann jetzt unter www.bochum.de/sozialberichterstattung heruntergeladen werden. Es besteht auch die Möglichkeit, die Daten interaktiv in Form eines Kartogrammes oder als Zeitreihe abzurufen.
Hier findet sich auch der Sozialbericht 2012. Der vom früheren Team wesentlich aussagekräftiger erarbeitete Bericht 2008 ist auf dem Webangebot der Stadt Bochum nicht mehr zu finden! Warum nicht? Zum Glück gibt es bo-alternativ:
http://www.bo-alternativ.de/2008/04/17/bochumer-sozialbericht-2008-arme-werden-aermer-reiche-werden-reicher/
Die Sammlung über die Geschichte(n) der Hartz IV-Beratung in Bochum:
http://www.bo-alternativ.de/category/unabhaengige-sozialberatung/
Arbeitslosenzentren
Wer es noch nicht gemerkt hat: es gibt in Bochum zwei “Arbeitslosenzentren”. Beide auch Träger für Beschäftigungs- und Qualifizierungsmaßnahmen. Wobei SKM durchaus auch gut berät und die Interessen ihrer Klientel vertritt. Zur Gewerkstatt fragen wir wieder bo-alternativ:
http://www.bo-alternativ.de/2007/03/15/unsaubere-arbeitsbedingungen-bei-agil/
Gewerkstatt: http://www.gewerkstatt.de/arbeitslosenzentrum.html
SKM: http://www.wbz-bochum.de/alzentrum.html
Die “Sozialberatung Ruhr”:
http://www.sozialberatung-ruhr.de/
Beratungsstelle für Arbeitslose (getragen von der Stadt Bochum, dem Mieterverein und dem Evangelischen Kirchenkreis, gefördert vom Land NRW)
http://www.beratungsstelle-bochum.de/
Die “Unabhängige Sozialberatung”:
http://www.sozialberatung-bochum.de/
Sozialberatung im Büro von Sevim Dagdelen – Alleestr. 36
http://www.bo-alternativ.de/termin/veranstaltungsort/buero-von-sevim-dagdelen
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Hilfreiche Informationen zur Förderung von Erwerbslosenberatungsstellen und Arbeitslosenzentren“ (Die Abgabefrist für 2016 endete allerdings bereits am 05.10.2015. Manche Infos dazu wurden erst am 01.10. veröffentlicht!)
ESF in NRW. Informationen für Antragstellende
https://www.mais.nrw/esf-antrag
darin:
Förderung von Erwerbslosenberatungsstellen und Arbeitslosenzentren“
4.3.1.1 „Förderung von Erwerbslosenberatungsstellen“
Antrag „Förderung von Erwerbslosenberatungsstellen“
4.3.1.2 „Förderung von Arbeitslosenzentren“
Antrag „Förderung von Arbeitslosenzentren“
Anlage „Maßnahmeplanung über das im Programm Erwerbslosenberatungsstellen eingesetzte Personal“
ESF-Förderrichtlinie 2014 – 2020 (dort Punkt 4.3)
http://www.nrwbank.de/de/foerderlotse-produkte/ESF-Foerderrichtlinie/15527/produktdetail.html
Förderung von Erwerbslosenberatungsstellen und Arbeitslosenzentren
https://www.mais.nrw/erwerbslosenberatung
http://www.gib.nrw.de/service/foerderprogramme/erwerbslosenberatungsstellen-und-arbeitslosenzentren darin:
FAQ – häufig gestellte Fragen1
http://www.gib.nrw.de/service/downloaddatenbank/faq-liste-der-ebs-und-alz
Evaluierung des ESF-kofinanzierten Landesprogramms “Erwerbslosenberatungsstellen und Arbeitslosenzentren” – Endbericht
“Seit 1.1.2011 fördert das Land NRW – kofinanziert durch den Europäischen Sozialfonds – erneut die Arbeit von derzeit 73 Erwerbslosenberatungsstellen (EBS) und 69 Arbeitslosenzentren (ALZ). Erwerbslosenberatungsstellen und Arbeitslosenzentren stellen unabhängige Beratungs- und Unterstützungsangebote zur Verfügung und zeichnen sich insbesondere durch die Freiwilligkeit der Teilnahme und ihre Unabhängigkeit aus. Beide Angebote richten sich vorwiegend an erwerbslose Personen aus dem Rechtskreis SGB II, die Angebote stehen aber auch Erwerbslosen des Rechtskreises SGB III, älteren Arbeitslosen, von Arbeitslosigkeiten bedrohten Personen, Berufsrückkehrenden und Beschäftigten mit aufstockenden SGB-II-Leistungen offen. Während bei Erwerbslosenberatungsstellen die qualifizierte (Einzel)Beratung im Vordergrund steht, bieten Arbeitslosenzentren insbesondere niedrigschwellige Angebote an, die Begegnungsmöglichkeiten bieten.”
Berichte:
Erwerbslosenberatungsstellen in NRW: Ratsuchende, Beratungen und Veranstaltungen 2014
Erwerbslosenberatungsstellen: Jahresbericht 2014
Weitere Infos hier:
http://www.harald-thome.de/media/files/Antwort-MAIS_-F-rderung-ALBST-ABZ_2010-09-03.pdf
http://www.harald-thome.de/media/files/Elozentren_Umsetzung_Bericht-Ministerium–10.01.2011.pdf