Dienstag 10.02.15, 11:25 Uhr

Griechenland und das Theater


 »Es droht der Erstickungstod, nicht nur künstlerisch.«

Frank-Patrick Steckel, ehemaliger Intendant des Schauspielhauses Bochum und Erstunterzeichner des Appells-Hellas, richtet einen leidenschaftlichen Aufruf an den Deutschen Bühnenverein, Griechenland betreffend. Das Internetportal “nachtkritik.de“, welches sich selbst als unabhängiges und überregionales Theaterfeuilleton beschreibt und sonst jeden „Pups“ veröffentlicht, meint dazu „… im Moment gedenken wir nichts zu tun“. Wir dokumentieren gerne den Offenen Brief von Frank-Patrick Steckel an den Deutschen Bühnenverein:

»Werter Klaus Zehelein, verehrter Herr Bolwin, lieber Ulrich Khuon,

gestern Abend lautete die Schlagzeile der Webseite SPIEGEL ONLINE: „Europa läßt die Griechen abblitzen“. Ich finde, es reicht. Es wird höchste Zeit, daß der Deutsche Bühnenverein sich mit einer Erklärung an die Bundesregierung wendet, einer Erklärung, in welcher klargestellt wird, daß das europäische Theater, soweit wir wissen, eine griechische Erfindung ist, und daß der ignorante und gehässige Umgang mit den Problemen des Landes, dem wir den Begriff der Demokratie verdanken, die Basis der Leistungsfähigkeit unserer Theater aushöhlt und untergräbt.

Es ist ohnehin schwierig, Theater in einem Land zu machen, dessen selbstgerechte Regierung keine Gelegenheit ausläßt, auf die Alternativlosigkeit der herrschenden Verhältnisse hinzuweisen, vor allem dann, wenn diese Verhältnisse von Massenarmut, Beschäftigungslosigkeit und sozialen Verzerrungen gekennzeichnet sind – Deutschland ist das Land mit der höchsten Vermögensungleichheit in Europa.

Das Theater benötigt die Änderbarkeit solcher Verhältnisse wie die Luft zum Atmen, soll heißen, es ist von allen Kunstformen diejenige, deren eigentliches Lebenselement sie ist: „Ins Licht treten… Die Änderbaren.“ (Brecht) Es sorgen ja auch diejenigen, die das TINA-Prinzip auf ihre Fahnen geschrieben haben („There Is No Alternative“), allerorten für die ihren Interessen dienenden Änderungen – nur eben nicht für solche, die die schreienden Ungerechtigkeiten zu beheben geeignet wären, im Gegenteil: im Jahre 2016 wird das reichste Prozent der Weltbevölkerung mehr als die Hälfte des Weltvermögens besitzen. Alle Aufstände, alle Revolutionen, Reformen, Ausgleichsbemühungen, Kunstanstrengungen und Kampfbünde seit Menschengedenken, alles für eine gerechtere Welt vergossene Blut – umsonst.

Das Theater gerät durch eine solche Entwicklung in eine kümmerliche, aussichtslose Lage. Als Aischylos, Sophokles, Euripides ihre Tragödien verfaßten, ging es ihnen um eine poetisch ausgefeilte aktive Gestaltung jenes Bereichs, der ständig neu fragwürdig wurde und fragwürdig blieb, dem der Polis. Wird diese Fragwürdigkeit bestritten oder gar aufgehoben, droht der Erstickungstod, nicht nur künstlerisch.

Der Dunst aus Halbwahrheiten, Entstellungen und Lügen, der die antigriechische Kampagne umgibt – und für den das Eingangszitat ein Beispiel liefert -, vergiftet auch die Beziehung des Theaters zu seinem Publikum. Dem Theater ist es um die Wahrheit des Menschen zu tun, und wer glaubt, was ihm hier vorgesagt, vorgelogen und eingeredet wird, der hat für diese Wahrheit weder Augen noch Ohren.

Die Initiative der neuen griechischen Regierung ist, wenn ihr denn stattgegeben würde, geeignet, hier Luft und Raum zu schaffen. Das ist, scheint mir, der Grund, warum sie von den Agenten des Status quo und ihren medialen Helfershelfern so niederträchtig behandelt wird. Es soll sich nichts ändern. Es muß sich aber etwas ändern, wenn wir einen neuerlichen Kulturbruch verhindern wollen, der nun auch das deutsche Theater mit in den Abgrund ziehen wird – die ersten Risse und Verwerfungen sind bereits gut sichtbar.

Bitte appellieren Sie an die Bundesregierung, die Vorschläge der griechischen Regierung ernst zu nehmen und in entsprechende Verhandlungen einzutreten. Geschieht das nicht, entsteht ein europäischer Schaden, der in Generationen nicht wieder gut zu machen ist.

Berlin, den 7.2.2015
Frank-Patrick Steckel«