Die Initiative Religionsfrei im Revier hat vor 234 Tagen den Film „Das Leben im Brian“ im Sozialen Zentrum gezeigt. Nach Ansicht der Stadt Bochum ist das eine Ordnungswidrigkeit. An diesem Tag war schließlich Karfreitag und das Feiertagsgesetz würde die Vorführung des Filmes an diesem stillen Feiertag verbieten. Nach 147 Tagen verschickte das Rechtsamt der Stadt Bochum eine „Anhörung im Bußgeldverfahren“ an die Initiative. Als Vorwurf wird formuliert, dass die Firma „Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft GmbH“ (FSK) den Film zur Vorführung am Karfreitag nicht freigegeben habe. Die FSK betont allerdings, dass sie nur Empfehlungen für die „Filmwirtschaft“ also für den kommerziellen Kinobetrieb ausspricht. Die Karfreitagsvorführung war nicht kommerziell. Der Eintritt war frei. Also hatte die Initiative Religionsfrei im Revier zur Unterstützung der Rechtsfindung ein eigenes Gutachten angefordert und sich an die dafür zweifellos kompetenteste Stelle gewandt: Die Giordano-Bruno-Stiftung. In dem Gutachten heißt es: »Hiermit bestätigen wir, dass der Film „Das Leben des Brian“ der britischen Comedy-Gruppe Monty Python nach Auffassung der Giordano-Bruno-Stiftung, der viele renommierte Wissenschaftler, Philosophen und Künstler (darunter auch namhafte Juristen und Politiker) angehören, selbstverständlich zur Vorführung an einem Karfreitag geeignet ist.
Tatsächlich meinen wir, dass es kaum einen Film gibt, der besser geeignet wäre. Der Abschlusssong des Films „Always Look on the Bright Side of Life“, der in deutlicher Anlehnung an die existentialistische Philosophie Albert Camus“ die Absurdität der menschlichen Existenz thematisiert, wird häufig sogar auf Beerdigungen gespielt. Wir halten die Bußgeldandrohung des Ordnungsamtes der Stadt Bochum für einen grotesken Verstoß gegen das Prinzip der weltanschaulichen Neutralität, auf dem jeder moderne Rechtsstaat gründet.«
Dieses Gutachten war für das Rechtsamt der Stadt offensichtlich nicht die geeignete Hilfe für eine schnelle Entscheidungsfindung. Vielleicht muss erst einmal gegoogelt werden, was die existentialistische Philosophie von Albert Camus meint. Es gibt jedenfalls immer noch keinen Bescheid in dem Bußgeldverfahren.
Sonntag 07.12.14, 07:22 Uhr
Vielleicht hatten das Rechtsamt ja auch Probleme damit, den Satz zu verstehen, in dem es heisst „Verstoß gegen das Prinzip der weltanschaulichen Neutralität, auf dem jeder moderne Rechtsstaat gründet“. Es ist eindeutig, dass es hier in Deutschland keine weltanschauliche Neutralität gibt, dass dieses Land vielmehr durch und durch christlich verseucht ist. Wer das Gegenteil behauptet, der ist blind oder der lügt. Die alltägliche Erfahrung der Neutralitätslüge dürfte mit ein Grund dafür sein, dass sich Leute radikalen Konfessionen anschliessen.
Die Folgerung daraus ist dann weiterhin , dass auch der Rechtsstaat eine Lüge ist.
Lieber Wolfgang,
aus strategischen Gründen halte ich das Gutachten und auch die genannte Formulierung dennoch für sinnvoll, denn die „Neutralitätslüge“ ist ein konstitutiver Teil des (Be-)Gründungsmythos, auf den sich Deutschland in seiner Selbstdarstellung als Rechtsstaat beruft. Aufgrund der essentiellen Bedeutung, die dieser „Lüge“ damit im Hinblick auf die Selbstdarstellung zukommt, kann sich der Staat nicht ohne weiteres „beim Lügen erwischen lassen“.
Indem das Gutachten die „Lüge“ zu einem „Versprechen“ umdeutet, erlangt es die Möglichkeit eine solchermaßen legitimierte Forderung zu formulieren: „The Life of Brian“ muss auch am Karfreitag gezeigt werden dürfen.
… und wenn sich diese Forderung dann (innerhalb der rechtlichen Sphäre) durchsetzt, können wir möglicherweise auf eine diskursive Entwicklung hoffen, in der aus der Lüge eine Tatsache wird – und das war ja auch das Ziel des Gutachtens. ;)
Außerdem: Obwohl ich selbst Atheist bin, finde ich „christlich verseucht“ etwas hart formuliert. Ich teile die Kritik an institutionalisierten Religionen jeglicher Art, die (im Bezug auf das Christentum) als Kirchen zu ideologischen Machtapparaten werden – was aber die individuelle mitunter religiös geprägte Weltsicht des Einzelnen betrifft: Wer bin ich einem anderen meine Perspektive aufzudrängen? Alles, was ich tun kann, ist dem Anderen im intersubjektiven Miteinander einen Einblick in meine Sicht der Dinge zu geben, ihm meine Perspektive gleichsam nur „anzubieten“ (hier könnte man eventuell an Adornos Konzept der ethischen Gewalt und der Notwendigkeit der „lebendigen Aneignung“ anschließen).
…und, wenn wir mal von den metaphysischen Prämissen absieht, mit einem Christentum im Sinne Tolstois könnte ich mich gut anfreunden. :)
Beste Grüße und einen schönen Sonntag!
-Das Eichhorn
Ich bin noch nicht richtig wach , da erwisch ich den neutralen Staat schon beim Lügen. Im Staatssender, auf WDR5 um 6.55, Kirche im WDR . Ein katholischer Pfaffe gibt mir im intersubjektiven Miteinander Einblick in seine Sicht der Dinge. Ich könnte ja ausschalten, will aber nicht wieder einschlafen. Also deute ich die Lüge zu einem Versprechen um und singe fröhlich :
Schmiert die Guillotine ein mit Pfaffenfett.
Draussen beginnt eine Kirche mit ihrer Bimmelei. Ich deute wieder um. Der alevitischen Nachbarin, die ich morgens im Treppenhaus treffe, erkläre
ich, dass sie den katholischen Kindergarten einfach umdeuten muss. Vielleicht verstehen die muslimischen Kinder auf dem Weg in die
Bekenntnis-Grundschule, was das heissen soll. Beispiel, also, wenn ihr euren Vater beim Lügen erwischt, dann sagt ihm das und auch dass ihr das
nun als ein Versprechen seht, es nicht wieder zu tun. Die Mutter hört meine Erklärung. Warum lacht sie darüber ?
Hmmm… all das, was du beschreibst, stört mich genauso wie dich. Tatsächlich gesteht unsere vorgeblich neutrale Gesellschaft gewissen Weltanschauungen eine breitere „Bühne“ zu als anderen – ich selbst komme mir manchmal vor wie Troubadix. Warum muss ich das Gebimmel am Sonntag Morgen aushalten, wenn die christlichen Nachbarn am Samstag Abend wegen lauter Punk-Musik die Polizei anrufen dürfen? Inhaltlich sind wir uns einig – die Differenz ist eine strategische…
Die Frage ist, wie „Widerstand“ aussehen kann. Sicherlich wird sich nichts ändern, wenn ich die Situation umdeute und mir selbst einrede, alles sei gut – aber indem ich den Staat beim Wort nehme und die bewusst-erkannte Lüge zur Grundlage meiner Forderung mache, kann ich Veränderungen herbeiführen, wenn mir hinreichende öffentliche Aufmerksamkeit und somit eine Bühne zur Verfügung steht (vgl. Ranciere). Bezüglich Monty Python am Karfreitag sehe ich gute Chancen. :)
Natürlich löst das nicht alle Probleme und besonders Kindergärten und Schule unter kirchlicher Trägerschaft (die außerdem auch noch vom angeblich säkularen Gemeinwesen finanziert werden) sind auch mir ein schmerzhafter Dorn im Auge. Aber was sollen wir tun? Eine Filmvorführung und ein Gutachten sind nur ein kleiner Anfang, aber doch besser als gar nichts. Aufgeben ist in jedem Fall keine Option.
Leben, Lachen, Kämpfen!
Aber was die Guillotine angeht: Ich war schon immer gegen die Todesstrafe – auch bei Leuten, die sie verdient hätten.
Beste Grüße und Respekt!
Eichhorn