Dienstag 17.01.12, 08:42 Uhr
Massive Grundrechtseingriffe an der Strafprozessordnung vorbei?

Fragen zum SEK Einsatz am 1. 1. 2012


Dr. Ralf Feldmann, Richter am Bochumer Amtsgericht und Ratsmitglied für die Linkspartei in Bochum, kritisiert in einem zweiten Brief an die Polizeipräsidentin und den Leitenden Oberstaatsanwalt deren Informationsverweigerung über die Vorgänge beim SEK-Einsatz am 1. 1. 2012 in den Flüchtlingsheimen. Er stellt die Rechtmäßigkeit der Geschehnisse in Frage und schreibt in einer Mitteilung: »Am frühen Neujahrsmorgen wurde in Wattenscheid ein Mann durch Schüsse aus einem Mercedes mit italienischem Kennzeichen, in dem Zeugen 3 Personen sahen, schwer verletzt. Die Polizei entdeckte den PKW wenig später mit noch warmer Motorhaube vor den Asylbewerberhäusern in der Emilstraße. Spezialkräfte durchsuchten die Wohnungen. 13 angetroffene männliche Migranten wurden gefesselt zur Untersuchung auf Schmauchspuren dem Polizeipräsidium zugeführt. Andreas Dickel, Leitender Kriminaldirektor im Polizeipräsidium Bochum und beim Einsatz vor Ort, informierte die Medien später dahin, alle Maßnahmen seien auf Antrag der Staatsanwaltschaft vom Ermittlungsrichter am Amtsgericht Bochum angeordnet worden. Die dem Polizeigewahrsam zugeführten Menschen sollen „ruhig und verständnisvoll“ gewesen sein. Nach Informationen aus der Sitzung des Innenausschusses des Landtags vom vergangenen Donnerstag sind die Betroffenen im Polizeipräsidium bis zu 4 Stunden in Arrestzellen festgehalten worden.

Dieses massive Vorgehen gegen unschuldige unbeteiligte Dritte ist mit der Strafprozessordnung nicht vereinbar. Evident bestand kein Anfangsverdacht gegen alle 13 festgenommenen, gefesselten und auf Spuren untersuchten Männer. Die körperliche Untersuchung unbeteiligter Dritter auf Tatspuren ist gemäß § 81c Strafprozessordnung nur zulässig, wenn sie als Zeugen in Betracht kommen. Dafür nennt die Polizei in ihrer Presseerklärung keinen Grund, weil ein solcher auch nicht vorhanden ist. Zudem sind unbeteiligte Dritte darüber zu belehren – bei Sprachschwierigkeiten mit Hilfe eines Dolmetschers – , dass sie die Untersuchung ablehnen können. Vor einer zwangsweisen Anordnung durch einen Richter ist ihnen rechtliches Gehör zu gewähren. Zu alldem schweigt sich die Presseerklärung des Leitenden Kriminaldirektors Dickel aus.
Ich habe deshalb in Schreiben an den Leitenden Oberstaatsanwalt Bernd Schulte und die Polizeipräsidentin Diana Ewert um Aufklärung darüber gebeten, welche strafprozessuale Eingriffsnorm Staatsanwaltschaft, Polizei und Richter für den massiven Grundrechtseingriff gegen Unbeteiligte in Anspruch nehmen, und weiter um Informationen über den formalen Ablauf des Verfahrens, insbesondere die Kommunikation zwischen Staatsanwaltschaft, Polizei und Richter mit den Betroffenen. Herr Schulte und Frau Ewert verweigern in ihrer übereinstimmenden Antwort die erbetenen Informationen, weil dann die Darlegung des Ermittlungsganges einschließlich der staatsanwaltlichen Anträge und der daraufhin getroffenen richterlichen Anordnungen erforderlich sei; dem stehe  § 475 Strafprozessordnung entgegen.
§ 475 Abs.4 Strafprozessordnung ermöglicht aber durchaus Auskünfte aus Akten auch an Privatpersonen, wenn schutzwürdige Interessen der Betroffenen nicht entgegenstehen und bei laufenden Verfahren der Unersuchungszweck nicht gefährdet wird.
Dies ist bei Fragen nach der Rechtsgrundlage des Vorgehens und dem formalen Ablauf nicht der Fall. Die demokratische Öffentlichkeit hat ein berechtigtes Interesse daran zu erfahren, wie Staatsanwaltschaft und Polizei derart massive Grundrechtseingriffe gegen unbeteiligte Dritte im Zuge eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens begründen und ob der Verfahrensablauf mit Recht und Gesetz in Einklang stand. Zur Durchsuchung der Wohnungen selbst, deren Verhältnismäßigkeit großen Zweifeln ausgesetzt war und ist, hat sich die Polizei ausführlich geäußert. Zum nachfolgenden Geschehen: 13 Männer wurden ohne konkretisierbaren Anfangsverdacht wie Schwerverbrecher gefesselt zur Untersuchung ins Polizeipräsidium verbracht und dort bis zu 4 Stunden in Arrestzellen festgehalten, verweigern Staatsanwaltschaft und Polizei tatsächliche Informationen und eine rechtliche Begründung. Haben sie etwas zu verbergen oder ist ihnen inzwischen peinlich, Asylbewerber wie in deren Heimatland, nicht aber rechtsstaatlich behandelt zu haben?
Der Rechtsausschuss des Landtags wird sich am 18.Januar in einer aktuellen Viertelstunde mit den Vorfällen am Neujahrstag befassen.«
Der 2. Brief an Polizeipräsidentin und Leitenden Oberstaatsanwalt.