Mittwoch 19.01.11, 08:34 Uhr

Kroke: Zum Tag der Befreiung 5


Gemeinsam laden die Künstlerinitiative Kosmopolen und die Christuskirche dazu ein, den 27. Januar als „Tag der Befreiung“ zu begehen. Beginn ist um 20.00 Uhr. In der Einladung heißt es: „Mit Texten der polnischen Erinnerung, von den Kosmopolen zusammen gestellt und gelesen, und vor allem mit der Musik von Kroke, dem polnischen Trio, das durch Steven Spielbergs „Schindlers Liste“ bekannt geworden ist: Kroke – der Name ist jiddisch für Krakau – hat eine sehr polnische Weise entwickelt, die lange jüdische Tradition ihrer Stadt fortzusetzen: Ihre Musik ist mehr als Klezmer- oder Weltmusik und anders als Klassik oder Avantgarde, sie ist kosmopolitisch.“ Am 27. Januar 1945 wurde das Vernichtungslager Auschwitz, polnisch OÅ›wiÄ™cim, von Soldaten der Roten Arme befreit. Seitdem ist der deutsche Name des polnischen Ortes zum Inbegriff geworden für ein Verbrechen, dessen Unmaß unvorstellbar bleibt. Vor fünf Jahren haben die Vereinten Nationen den 27. Januar zum „Internationalen Holocaust-Gedenktag“ erklärt. Näheres.


5 Gedanken zu “Kroke: Zum Tag der Befreiung

  • Manfred Schößler

    An
    Christuskirche Bochum
    Thomas Wessel/Pfarrer
    An der Christuskirche 1
    44787 Bochum-Zentrum

    Betr.: Ihre Einladung zum 27. Januar 2011, Tag der Befreiung von Auschwitz

    Sehr geehrter Herr Wessel,

    seit Jahren erhalte ich von Ihnen Einladungen zu Veranstaltungen in der Bochumer Christuskirche.
    Viele davon haben mich sehr interessiert, einige habe ich besucht.
    Die von Ihnen zum Tag der Befreiung von Auschwitz eingeladene Gruppe „KROKE“ kenne und
    schätze ich von CD-Aufnahmen her.

    Ihre Veranstaltung am 27. Januar 2011 werde ich nicht besuchen. Mit zunächst Erstaunen, dann Empörung habe ich Ihren Einladungstext gelesen. Es ist eine Unverschämtheit, in einem Text, der zu einer Veranstaltung zum Tag der Befreiung von Auschwitz einlädt, mit keinem Wort die dort ermordeten, aus zahlreichen Ländern hierhin deportierten Jüdinnen und Juden zu erwähnen. Es ist eben nicht der Gedenktag zur Befreiung Polens, um den es hier geht, sondern der Tag, an dem der Befreiung der Überlebenden von Auschwitz gedacht werden soll. Die polnische Bevölkerung hat furchtbar unter der deutschen Besatzung gelitten, dies steht außer Frage. Es kann aber nicht angehen, den Tag der Befreiung von Auschwitz in einen Tag des allgemeinen Gedenkens der polnischen Opfer umzuwandeln.
    Desweiteren handelt es sich um eine historisch unzulässige Behauptung, dass „sechs Millionen Polen.. von ihren Nachbarn ermordet“ worden seien. Hier erfolgt eine Gleichsetzung des Hitlerfaschismus und der Sowjetunion, die weder quantitativ noch qualitativ korrekt ist, ja, angesichts der Tatsache, dass es die Rote Armee war, die Auschwitz befreit hat, geradezu zynisch wirkt.
    Dass, wie es in Ihrem Text weiter heißt, „kein anderes Land…derart von Deutschen heimgesucht“ worden sei „wie Polen“, ist falsch. Die Sowjetunion hat um ein Vielfaches mehr an Opfern und Zerstörung erleiden müssen. Hinter diesen Behauptungen meine ich ein erhebliches Maß an polnischem Nationalismus zu verspüren.
    Gerade angesichts dieser falschen Behauptung, aber auch im Kontext des Verschweigens der jüdischen Opfer von Auschwitz, kann ich nicht verhehlen, dass bei mir ein sehr ungutes Gefühl entsteht in Anbetracht der polnischen Mitveranstalter. Es ist nicht zu leugnen, dass neben dem eliminatorischen Antisemitismus der Deutschen der Antisemitismus in der polnischen Bevölkerung weit verbreitet war und zu Exzessen noch bis in die Nachkriegszeit hinein führte. Auch die lange Weigerung der polnischen Verantwortlichen in Regierung und Medien, das einzigartige Filmwerk „Shoa“ von Claude Lanzmann aufzuführen, mag als Beispiel für diese Einstellung dienen.
    Ich finde es jedenfalls skandalös, wie Ihr Einladungstext verfasst ist und werde deshalb Ihre Veranstaltung nicht besuchen.

    Mit freundlichen Grüßen,

    M.Schößler

  • Annika

    Herr Schößler, in der Tat wurden sechs Millionen polnische Staatsbürger/innen allein von ihren deutschen Nachbarn ermordet – drei Millionen davon waren jüdischen Glaubens.
    Die von ihnen behauptete Gleichsetzung von NS und Sowjetunion findet also nicht statt, da hier ausschließlich von Menschen die Rede ist, die den Deutschen zum Opfer fielen. Auch die Unterstellung eines polnischen Nationalismus entbehrt jeder Grundlage.
    Mir stößt an ihrem Brief desweiteren bitter auf, dass sie den Holocaust-gedenktag zum Anlass nehmen, den Anklage-Finger auf „die Polen“ zu richten. Können sie einen Gedenktag für die Verbrechen durch Deutsche nicht ertragen, ohne sie durch die Verbrechen anderer zu relativieren?

  • Manfred Schößler

    Sehr geehrte Annika,
    ich richte keinen Finger auf „die Polen“, schon gar nicht gibt es irgendetwas an deutscher Verant-wortung zu relativieren.
    Gegen jede Spielart von Nationalismus, Antikommu-nismus und Antisemitismus wende ich mich allerdings entschieden.
    Ich habe mich in meinem Leserbrief nicht auf den Artikel in bo-alternativ bezogen, sondern auf die
    mir zugegangene Einladung von Christuskirche Bochum und Kosmopolen e.V. In dieser Einladung steht eben nichts von deutschen Nachbarn, die sechs Millionen Polen ermordet haben, sondern ganz
    allgemein „Nachbarn“. Gegen diese Art historischer Relativierung habe ich mich gewandt. Sie entspricht dem seit langem in Polen propagierten Antikommunismus. Und dass es seit längerem in Polen eine heftige Diskussion über bestimmte Tendenzen des polnischen Nationalismus gibt, in der vor allem die Stilisierung der polnischen Seite zum „Hauptopfer“ des 2.Weltkriegs versucht wird sowie eine in diese Richtung zielende Transformation des Gedenktages zur Befreiung von Auschwitz, sollte zur Kenntnis genommen werden.
    Mit der Verantwortung der Deutschen für die von ihnen begangenen beispiellosen Verbrechen hat all
    das nichts zu tun.

  • Annika

    Ich bleibe dabei: Aus der Formulierung, dass sechs Millionen Polen von ihren Nachbarn ermordet wurden, herauszulesen, dass damit auch Opfer des NKWD o.ä. gemeint seien, ist eine einigermaßen abstruse, wenn nicht gar bösartige Unterstellung.

    Ihre Forderung, beim Gedenken an den Holocaust auch darauf hinzuweisen, dass es im realsozialistischen Polen eine Zensur gab, die die Filmvorführung von Lanzmanns „Shoa“ unterbunden hat, halte ich weiterhin für ein ziemlich starkes Stück, das doch in Richtung Relativierung zeigt.

    Die von ihnen erwähnte polnische Debatte ist mir sehr wohl bekannt. Ich reise seit Jahren regelmäßig nach Polen, lese polnische Zeitungen usw. Meiner Einschätzung nach ist die Debatte komplexer als von Ihnen dargestellt, und es gibt dabei auch ganz andere Positionen. Aber zu solchen Debatten kann von mir aus jede/r stehen, wie er oder sie will; es ist jedoch keinesfalls Aufgabe der Veranstalter, am Holocaust-Gedenktag Ihre persönliche Bewertung dieser Debatte zum Thema zu machen, denn:
    „Mit der Verantwortung der Deutschen für die von ihnen begangenen beispiellosen Verbrechen hat all
    das nichts zu tun.“
    Da stimme ich Ihnen zu, und deswegen wundere ich mich über Ihren Beißreflex in Richtung eines völlig an den Haaren herbeigezogenen Antikommunismus und polnischen Nationalismus.

  • Katrin Stoll

    Sehr geehrter Herr Schößler,

    Ich finde im Einladungstext in erster Linie die Formulierung „Vernichtungslager Auschwitz, polnisch OÅ›wiÄ™cim“ unglücklich, weil der Eindruck entstehen könnte, es handele sich um „ein polnisches
    Vernichtungslager“. Die Stadt heißt OÅ›wiÄ™cim, das Konzentrationslager hieß bekanntlich nicht so.

    Bundespräsident Roman Herzog hat 1996 den 27. Januar „zum Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus erklärt“. In seiner Ansprache führte er dazu aus: „Der 27. Januar soll dem Gedenken an die Opfer der Ideologie vom ,nordischen Herrenmenschen‘ und von den ,Untermenschen‘ und ihrem fehlenden Existenzrecht dienen.“ (nachzulesen hier:
    http://www.bundespraesident.de/Die-deutschen-Bundespraesident/Roman-Herzog/Reden-,11072.11991/Ansprache-von-Bundespraesident.htm)

    Bekanntlich hat die rassistische Ideologie der Nationalsozialisten nicht nur die Juden, sondern auch die Slawen zu Untermenschen erklärt. Auschwitz war das größte nationalsozialistische Konzentrations- und
    Vernichtungslager. Nach Auschwitz wurden Juden und Jüdinnen aus allen europäischen Ländern, die von Deutschland besetzten waren und aus allen Ländern, mit denen Deutschland verbunden war, deportiert und ermordet.
    Insofern erscheint es berechtigt, „Auschwitz“ als Synonym für die Judenvernichtung zu gebrauchen. Indes darf nicht vergessen werden, dass das „K.L. Auschwitz“ von den Deutschen als Lager für polnische politische Gefangene errichtet wurde. Die ersten Opfer, die in das Konzentrationslager
    deportiert wurden, waren Angehörige der polnischen Intelligenz und Mitglieder des nationalpolnischen Widerstandes. Wollen Sie den ehemaligen politischen Häftlingen, die jedes Jahr am 27. Januar nach Auschwitz kommen, um an die Befreiung des Lagers zu erinnern, das Recht absprechen, der
    polnischen Opfer zu gedenken, die von den Deutschen ermordet wurden?

    Reinhart Koselleck hat in einem Aufsatz (Formen und Traditionen des negativen Gedächtnisses, in: Volkhard Knigge/Norbert Frei (Hrsg.), Verbrechen erinnern. Die Auseinandersetzung mit Holocaust und Völkermord, München 2002, S. 21-32) bemängelt, dass „wir [d.h. die Deutschen] zugunsten
    der jüdischen Opfer die Erinnerung an die anderen ausgeklammert“ haben.
    Seine Antwort auf die Frage „Wer ist zu erinnern?“ lautet wie folgt beantwortet: „entweder erinnern wir uns aller Opfer einzeln oder aller einzelnen Opfer gemeinsam“. Ich finde, der 27. Januar sollte dazu dienen, aller Opfer der menschenverachtenden Ideologie des Nationalsozialismus zu gedenken.

    Dass sie den Gedenktag zum Anlass nehmen, um eine Hierarchisierung der Opfergruppen vorzunehmen und den Antisemitismus von Teilen der polnischen Bevölkerung anzuprangern, zeigt: Ihnen ist das Gedenken zweitrangig. Ich habe den Eindruck, dass Sie an der historischen Erfahrung der Opfer, die im
    Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz und anderen Orten gelitten haben, überhaupt nicht interessiert sind.

    Mit freundlichen Grüßen
    Katrin Stoll

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