Donnerstag 18.11.10, 23:00 Uhr

Bericht vom Tortenprozess 3


Die heutige vierte Runde im Tortenprozess endete mit einem Freispruch und war eindeutig davon geprägt, dass Gericht und Staatsanwaltschaft sich darum bemühten, den im letzten Amtsgerichtsprozess erlitten öffentlichen Ansehensverlust der Justiz zu minimieren.  Staatsanwältin Wenzel hatte es dabei leicht. Sie reduzierte ihre im Amtsgerichtsprozess dargestellte Peinlichkeit schon allein dadurch, dass sie dieses Mal kaum etwas sagte. Der Vorsitzende Richter Gerd Riechert hatte sich sehr viel Gedanken gemacht, wie der massiven Urteilsschelte nach dem Amtsgerichts-Urteil begegnet werden konnte. Beim Amtsgerichtsurteil war in fast jeder Medien-Berichterstattung erwähnt worden, dass die Richterin ein vorgefertigtes Urteil in den Prozess mitgebracht und dies ohne echte Anhörung am Schluss des Prozesses verlesen habe.  Riechert stellte zu Beginn des Prozesses dar, welche Fragen er im Verlauf der Verhandlung klären wolle und dass der Ausgang des Verfahrens für ihn offen sei. Die Medien hatten kritisiert, dass die Amtsrichterin der Anwältin und dem Angeklagten überhaupt nicht zugehört hatte. Richter Riechert bat demonstrativ den Angeklagten, langsam zu sprechen, damit er alles mitschreiben könne. Der Angeklagte und seine Anwältin Anne Mayer konnten dieses Mal, ohne unterbrochen zu werden, ausführlich ihre Position darstellen. In seiner Einlassung zitierte Martin Budich noch einmal, dass die Anklage gegen ihn laute, die inkriminierte Meldung auf bo-alternativ.de stelle sich „als Aufruf an die Teilnehmer der Gegendemonstration dar, bei der öffentlichen Versammlung Gegenstände, die ihrer Art nach zur Verletzung von Personen oder Beschädigung von Sachen geeignet und bestimmt sind, ohne behördliche Ermächtigung mit sich zu führen und diese zur Begehung von Vergehen der gefährlichen Körperverletzung einzusetzen.“ Budich zeigte auf, dass nicht einmal die Abteilung Staatsschutz der Polizei auf die Idee gekommen war, dass es sich bei dem Plakat um einen Aufruf zur Gewalt gehandelt habe. Wörtlich: „Genau genommen wird mir eigentlich vorgeworfen, dass ich etwas dargestellt habe, das in der Gewaltfantasie eines Teils der Staatsanwaltschaft die Assoziation zu einer Aufforderung zur gefährlichen Körperverletzung auslöst.  Dafür dass die gleichen Assoziationen bei Teilen der Antifa ausgelöst worden sind, dafür legt die Staatsanwaltschaft keinerlei Beweise oder Hinweise vor. […] Wenn ein Privatmensch, solche Vorwürfe gegen mich erheben würde, wie das die Staatsanwaltschaft macht, würde ich juristisch dagegen vorgehen. Beleidigung, falsche Anschuldigung, das müsste ich prüfen, wie ich mich dagegen wehren kann. Die Staatsanwaltschaft kann ungestraft solche Rufmordgeschichten gegen mich in die Welt setzen. Ich kann mich kaum selber dagegen wehren. Dies kann nur das Gericht leisten. Es kann die Staatsanwaltschaft in seine Schranken verweisen. Das wäre ein Gewinn für den Rechtsstaat.“ In den Mittelpunkt seiner Einlassung stellte Budich die politische Funktion der Anklage. Sie solle einschüchtern, den Widerstand gegen Nazi-Aufmärsche kriminalisieren und kritische Medien zur Selbstzensur veranlassen. Die Staatsanwaltschaft versuche dabei, sich in einer Äquidistanz zu links und rechts zu definieren. Wenn es bei dem Naziaufmarsch eine Reihe von Straftaten gegeben hat, die sie verfolgen muss, dann suche sie halt, ob sie auch im linken Spektrum etwas finden könne. Wenn es bei der Gegendemonstration nichts gegeben habe, was anklagbar wäre, suche die Staatsanwaltschaft im Internet. Und wenn auch dort nichts zu finden ist, werde eben aus einer Torte halt eine Bombe. Staatsanwältin Wenzel verhaspelte sich dann bei ihrem Plädoyer und sprach von einer als Bombe getarnten Torte, wiederholte ihre Ausführungen über die bösen Augen des Tortenmänchen und seine aggressiven Gesichtsausdruck, der deutlich mache, dass mit dem Plakat zur Gewalt aufgerufen werden sollen. Zum Schluss nannte sie recht offen, warum sie eine Verurteilung fordere. Das Urteil solle generalpräventiven Charakter haben und zur Abschreckung dienen. Ihrer Ansicht nach gäbe es eine Vielzahl von Straftaten, wie Sitzblockaden gegen Naziaufmärsche oder das Schottern gegen den Castortransport, die sich versuchen unter dem Deckmantel des zivilen Ungehorsam zu rechtfertigen. Das dürfe einfach nicht durchgehen.
Anwältin Mayer hat in ihrem Plädoyer deutlich gemacht, wie lächerlich die Anklage der Staatsanwaltschaft ist. Sie zitierte eine Vielzahl von höchstricherlichen Urteilen, in denen sehr gewalttätig formulierte Aufrufe als von der im Grundgesetz garantierten Meinungsfreiheit als nicht strafbar gewertet wurden. Sie machte deutlich, dass der Paragraph 88a abgeschafft sei, mit dem eine zeitlang versucht worden war, z. B. kritische Aufrufe zu kriminalisieren. Jetzt müsse ein strafbarer Aufruf zu Straftaten sehr konkret sein. Es müsse klar sein, wer genau wann zu welcher konkreten Handlung aufgefordert werde. All dies erfülle die Meldung auf bo-alternativ nicht.
In seinem Schlusswort stellte Budich noch einmal klar, dass es sich bei dem Beitrag auf bo-alternativ nicht um einen Aufruf der Redaktion gehandelt habe, sondern um die Berichterstattung über die Gegenaktivitäten vier Tage vor dem Nazi-Aufmarsch. Hier seien Fakten benannt und zwei Plakate, die zu Gegenaktivitäten aufrufen, dokumentiert worden. Er fragte, ob denn die Chefredakteure von WAZ und Ruhr-Nachrichten auch vor den Kadi gezerrt worden wären, wenn sie das Plakat veröffentlicht hätte. Wenn eine solche Berichterstattung wie auf bo-alternativ.de nicht mehr möglich sei, dann sähe es erschreckend aus um die Pressefreiheit in diesem Land.
Als Richter Riechert schließlich den Freispruch begründete, fasste er sich sehr kurz. Wenn man sich bei dem Plakat den Bomberman wegdenke und durch eine andere Comic-Figur ersetze, wäre es völlig eindeutig kein Aufruf zur Gewalt. Es sei glaubwürdig, dass der Angeklagte die Figur Bomberman nicht gekannt habe. Also sei er freizusprechen.
In einer ersten Stellungnahme nach dem Prozess bedankte sich Martin Budich für die „überwältigende Solidarität“, die er bei diesem Prozess erfahren habe. Er forderte alle UnterstützerInnen auf, jetzt mit gleicher Solidarität und Entschlossenheit die Angeklagten zu unterstützen, die im Zusammenhang mit dem Widerstand gegen das Auftreten von „Pro-NRW“ kriminalisiert werden. „Hier steht ein Dutzend Verfahren an, bei denen dringend Solidarität erforderlich ist.“


3 Gedanken zu “Bericht vom Tortenprozess

  • Wolfgang Dominik

    Ja! Große Freude, dass Martin endlich (mal wieder?) frei gesprochen wurde. Gleichzeitig der worst-case-Gedanke: Vielleicht war das Gericht diesmal besonders schlau? „Wir sprechen den Budich frei, dann haben wir nicht mehr tagelang die antifaschistische Nörgelei vor unserem Gericht, dann ist dieses Friedensbewegungspack endlich pazifiziert, dann bekommen wir keine Schelte mehr von den Medien und anderen, dass hier im Gericht schon mal vor dem Prozess formulierte Urteile nach dem Prozess verlesen werden, egal, wer was im Prozess auch sagen mag. Und jetzt legt die hartnäckige Staatsanwaltschaft Widerspruch gegen das Urteil ein, die Sache geht ans OLG nach Hamm, und die haben schon die Sprungrevision eingeleitet und den Budich damals erfolgreich im Emily-Prozess verknackt. Dann waschen wir unsere Bochumer Hände in Unschuld, und Hamm ist weit weg.“
    Also, hoffen wir, dass die Staatsanwaltschaft endlich Ruhe gibt! Glückwunsch allen, die mit Martin gebangt und gehofft haben!

  • Wolfgang Wendland

    Glückwunsch zum gewonnenen Prozess. Ich hoffe dass es jetzt dabei bleibt und die Staatsanwaltschaft nicht noch mehr Unsinn macht.

  • Mehriban Özdogan DIDF Bochum

    Wir begrüßen diesen Freispruch der längst überfällig war. Dieser Freispruch ist ein Erfolg für antifaschistisches Engagement und Pressefreiheit. Wir hoffen, dass die Staatsanwaltschaft endlich gelernt hat und Ruhe gibt.
    Solidarische Grüße

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