Donnerstag 01.07.10, 09:00 Uhr

Arbeitslosigkeit unter NULL


Unterbeschäftigung 8,6 Millionen
Ein Kommentar von Norbert Hermann
Die allmonatlichen Abzählreime der Arbeitsagentur: Und wieder sind die Arbeitslosenzahlen gesunken. Wenn das so weitergeht, werden sie irgendwann unter Null weitergeführt werden müssen. Und auch das wäre nur ein Anzeichen dafür, dass immer mehr Menschen einen Zweitjob brauchen, weil der erste nicht reicht.
Wie dieser Zauber der „Neuen Zählweise“ immer wieder gelingt, beschreibt die Bundesagentur selbst: So unterscheidet sie zwischen registrierten Arbeitslosen, registrierten Stellensuchenden, registrierten nichtarbeitslosen Stellensuchende, übrigen nichtarbeitslosen Stellensuchende … Näheres. Hinzu kommen noch jene 1,2 Millionen, die es für unsinnig halten, sich überhaupt ins Arbeitslosigkeitssystem zu melden. Näheres.
Verwunderlich ist auch, dass immer mehr Menschen von Hartz IV abhängig sind (die Hälfte schon mehrere Jahre), aber gleichzeitig die Zahl der „Langzeitarbeitslosen“ sinkt. „Langzeitarbeitslosigkeit“ besteht ab einer Arbeitslosigkeit von mindestens einem Jahr – wenn sie nicht mehr als 28 Tage unterbrochen wird, z.B. durch Krankheit, Kurzzeitjob, Schulungsmaßnahmen … – dann fängt die Zählerei wieder bei Null an! (§ 18 SGB III)
Das könnte uns ja egal sein, weiß eh jedeR. Wenn nicht selbst diese Falschzählweise zur Ignoranz und Vergrößerung des Elends beitragen würde. MitarbeiterInnen der Arbeitsverwaltung- und Sozialverwaltung bangen um ihre Zukunft (vor allem die befristet Beschäftigten), denn so statistisieren sie sich allmählich überflüssig. Ihren Frust lassen so manche an den Erwerbslosen aus, von denen zwei Drittel auf Hartz IV sind. Neben der knappen Existenzsicherung haben sie immer wieder gegen die unerbittlichen Windmühlenflügel der Bürokratie zu kämpfen. Die Arbeit von Beratungsstellen, die die Wut auffangen und auf den Rechtsweg leiten, wird als Angriff auf die Gemeindekasse empfunden, wenn sie Aufklärung und Beratung über zustehende Sozialleistungen erbringen. Politik und Verwaltung wird als gegenüber dem Rechtstat „immunisiert“ empfunden, eine Ausrichtung auf den Rechtsstaat und ein bürgerlichfreundliches Verwaltungsverfahren findet sich hier nicht mehr (so ein Resümee aus der Rechtswissenschaft).
Während vor einigen Jahren noch die ARGE jubelte, ihre Praxis der Ermittlung der „… angemessenen Heizkosten der ARGE Bochum … sei „rechtssicher“ (Näheres) beklagen jetzt sogar SachbearbeiterInnen, dass sie von der Stadtverwaltung gezwungen werden, bewusst und systematisch widerrechtlich zu handeln (Näheres).
Gegen die grauen Eminenzen in Form der Verwaltungsstrukturen gibt die Politik klein bei – in Bochum verkörpert die Spitze der Verwaltung gar die in dieser Hinsicht janusköpfige Frau Oberbürgermeisterin.
Am 8. Juli soll der Rat der Stadt Bochum auf subtile Weise die Kahlschlagpolitik der Verwaltung absegnen. Alle Bereiche der öffentlichen Daseinsvorsorge werden beschnitten – mancherorts stehen selbst die Subventionen für Bus und Bahn auf der Streichliste.
Mehr als einhunderttausend erwerbsfähige Menschen waren in der Vergangenheit in Bochum bereits auf Hartz IV angewiesen, dazu einige zehntausend nicht erwerbsfähige Angehörige (bei nicht einmal 380.000 EinwohnerInnen). Näheres. Das mag einen Eindruck vermitteln, wie groß der Anteil der BochumerInnen ist, die sich in einer prekären Lage befinden. Die Armutsgefährdung in Bochum ist überdurchschnittlich. Näheres. Ihre Lage wird durch den Kahlschlag der Verwaltung nicht besser. Die sich dann entwickelnde Wut werden die Beratungsstellen nicht auffangen können.