Donnerstag 11.02.10, 22:00 Uhr

Kleine HasspredigerInnen 5


Drei bisher als aufgeschlossen und liberal geltende ev. PfarrerInnen verrennen sich z. Z. in die Rolle von kleinen HasspredigerInnen. Sie hatten eine Woche nach der Rede von Shimon Peres im Bundestag die Bochumer Bundestagsabgeordnete der Linken, Sevim Dagdelen, angeriffen, weil sie nach der Rede nicht aufgestanden war. In ihrer Attacke behaupteten die drei: „Sie saßen da, als er, der Überlebende, das Kaddisch sprach für sechs Millionen, die ermordet wurden“.  Sevim Dagdelen erwiderte völlig eindeutig, dass sie sich “selbstverständlich erhoben habe zu Ehren der Opfer, die dem deutschen Rassenwahn zum Opfer gefallen sind”. Nun erwarteten alle, dass sich die drei PfarrerInnen für das, was im christlichem Sprachgebrauch Lüge heißt, entschuldigen. Doch nichts geschah. Sevim Dagdelen drohte darauf eine Woche später den drei RepräsentantInnen der ev. Kirche rechtliche Konsequenzen an, wenn sie ihre Falschdarstellung nicht widerrufen. Es ist bemerkenswert, wie sie sich quälten, ihre Unwahrhaftigkeit einzugestehen. Zu ihrer Falschdarstellung schrieben sie ziemlich gequält: “Soweit diese Darstellung den Eindruck erweckt, Frau Dagdelen sei beim Kaddisch sitzen geblieben, ist sie falsch. Richtig ist, dass Frau Dagdelen sich beim Kaddisch erhoben hat.”
Der Angriff gegen Sevim Dagdelen ist maßgeblich von Thomas Wessel, dem Pfarrer der Bochumer Christus Kirche formuliert worden. Er hatte ihr im ersten Brief sogar mit einer rhetorischen Frage unterstellt:“Sind auch die Anhänger der Hisbollah darunter, mit denen Sie auf Demos gehen und den ‘Tod! Tod Israel!’ verlangen?”
Die heftige Polemik der ev. PfarrerInnen hat zu ungewöhnlich heftigen Reaktionen geführt. Marie-Luise Bartz, die langjährige Vorsitzende der Bochumer Initiative gegen Apartheid, BIGA (anschließend Bochumer Initiative südliches Afrika, BISA) fragt, wie sollen „GegnerInnen der Apartheidpolitik Israels gegen Palästina ihren Unmut kundtun“. Einige LeserInnen verweisen auf Verlautbarungen von oppositionellen israelischen Publikationen. Andere LeserInnen erinnern daran, dass die ev. Kirche mit Martin Luther einen der militantesten Antisemiten in der deutschen Geschichte als Kirchengründer hat. Auch im Faschismus hat die ev. Kirche zu den Gruppen gehört, die Hitler am begeisterten begrüßt haben.


5 Gedanken zu “Kleine HasspredigerInnen

  • Wolfgang Dominik

    Die drei PfarrerInnen nehmen lediglich – wie bo-alternativ schreibt – äußerst „gequält“ zurück, was als offensichtlichste falsche Tatsachenbehauptung partout nicht weiter behauptet werden kann. „Gequält“ ist sehr vorsichtig ausgedrückt, wird doch im „Widerruf“ der Eindruck vermittelt, als hätte ein völlig eindeutiger Satz auch „einen anderen Eindruck erwecken“ können. Das war doch nie vorgesehen!
    Alle anderen bösartigen Diffamierungen einschließlich des Hausverbots (eine total antijesuanische, aber in der christlichen Tradition oft geübte, Maßnahme!) gegen Sevim, auch dass Sevim „restlos“ den Respekt der PfarrerInnen verloren hat, dass die PfarrerInnen „angewidert“ sind von Sevims Verhalten u.a. werden mit keinem Wort zurückgenommen oder bedauert, sondern durch den „Widerruf“ (wahrscheinlich von den PfarrerInnen nicht umsonst im Begleitschreiben in Anführungsstriche gesetzt!) im Kontext des Textes m.E. verschärft.
    Martin Niemöller hat sich (nach ca. 1938) immer gefragt: „Was würde mein Herr Jesus dazu sagen?“ Das sollten sich die PfarrerInnen vor dem Schreiben und der Veröffentlichung ihrer diskriminierenden, ehrverletzenden Aussagen im „Offenen Brief“ eigentlich auch gefragt haben.

  • Thilo Sommer

    Da nehmen drei evangelische PfarrerInnen ihre Verantwortung wahr im Umgang mit der Shoah, im Respekt vor den Opfern, in der Abwehr aktueller antisemitischer Umtriebe und dann kommen irgendwelche Linke daher und klären auf: Luther war einer der „militantesten Antisemiten“, die evangelische Kirche hatte „Hitler begeistert begrüßt“. Was soll mir das sagen? Das Bewusstsein der drei PfarrerInnen rührt wohl – so nehme ich an – eben auch aus dieser Geschichte her. Dass dies nun von Linken zur Diffamierung hergenommen wird, zeugt schon von äußerster Hirnverbranntheit. Und dann diese – „ach, wir sind so lustig“ – Betitelung als „kleine HasspredigerInnen“. Das ist das Niveau auf dem in der Linken Diskussionen geführt werden, insbesondere solche über Israel. „Down to earth“, um es mit Adorno zu sagen.

  • Martin Budich

    @Thilo Sommer
    Ich finde, Verantwortung im Umgang mit der Shoah kann und sollte man sachlich leisten. Die drei PfarrerInnen haben sich aber ereifert. Die Formulierungen lassen Hass spüren. Sie diffamieren statt zu argumentieren. Dass ein solcher Stil die nun gezeigten Reaktionen hervorruft, darf nun wirklich nicht überraschen.
    Wer den Vorwurf erhebt, die andere Meinung sei „hirnverbrannt“, sollte sich besser nicht über das Niveau einer Debatte äußern.

  • Doris Rohrmann

    Sehr geehrte Redakteure,
    zur Sorgfaltspflicht eines Journalisten zählt, Zitate richtig wiederzugeben. Als Zitat erscheint dieser Satz: „Richtig ist, dass Frau Dagdelen sich beim Kaddisch erhoben hat.”
    Im Original findet sich an dieser Stelle ein Komma und kein Punkt:
    „… erhoben hat, hingegen sitzen blieb, als sich der Bundestag am Ende der Rede erhob.“
    Das ist der Punkt, um den es geht. Frau Dagdelen hat sich erhoben, um der Ermordeten zu gedenken, und blieb sitzen vor dem, der seiner Ermordung entkam.

  • redaktion

    Die Kritik ist berechtigt. Korrekt hätte erst der Anführungsstrich und dann der Punkt stehen müssen. Hierfür entschuldigen wir uns.
    Dass Sevim Dagdelen am Ende der Rede nicht aufgestanden ist, ist unstrittig und von ihr bestätigt und begründet worden.
    Da wir den Widerruf der drei PfarrerInnen im Wortlaut veröffentlicht und an der Stelle verlinkt haben, wird deutlich, dass wir keine Zensur mit unserem Zitat beabsichtigten.

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