Zweiter Offener Brief von Frank-Patrick Steckel an den Intendanten des Schauspielshauses Bochum, Elmar Goerden
Freitag 26.10.07, 19:20 Uhr

Lieber Elmar Goerden,


Norbert Lammert war Rüstungsexperte der CDU unter Rexrodt – er hat sich unter anderem für die Anschaffung des „Eurofighters 2000“ stark gemacht. Neuerdings hat er sich durch Anmerkungen zum sog. „EU-Verfassungsvertrag“ (jetzt „EU-Reformvertrag“) hervorgetan, wie beispielsweise die, dass es „nicht überzeugend“ sei, das nationale Gewaltenteilungsprinzip der europäischen Staaten nach Brüssel zu übernehmen. Norbert Lammert hat außerdem, in seiner Eigenschaft als Bundestagspräsident, die Veröffentlichung der Nebeneinkünfte von Abgeordneten, obwohl gesetzlich vorgeschrieben, über ein Jahr lang (bis zum Entscheid des BVG) hintertrieben. Und Herr Lammert hat ferner durch eine von ihm erteilte Strafverfolgungsermächtigung die Verfahren der Staatsanwaltschaft gegen 17 Journalisten im Zusammenhang mit dem Kurnaz-Untersuchungs-ausschuß überhaupt erst ermöglicht. Herr Lammert ist ein CDU-Politiker, somit Mitglied derjenigen Bundestags- und nunmehrigen Regierungspartei, die sowohl die Kosovo-Einsätze der NATO, als auch den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr, als auch den Tornado-Einsatz, als auch nahezu alle weiteren verfassungswidrigen „Auslandseinsätze“ der Bundeswehr betrieben und befürwortet hat (beim Libanon-Einsatz der Bundesmarine hat er sich enthalten) – in allen diesen Abstimmungen des Bundestages hat Herr Lammert mit „Ja“ gestimmt. Wie das Abstimmungsverhalten des Herrn Lammert ausgesehen hätte, wäre zu Beginn des Irak-Kriegs die CDU an der Macht gewesen, lässt sich unschwer vermuten. Wie Sie sehen, kommt allerlei zusammen – und ich zähle hier nur bruchstückhaft auf, was in den Zeitungen stand und steht. (Und übergehe großzügig solche Fehlleistungen wie die Forderung nach der Wiederbelebung der „Leitkultur“-Debatte seines Parteifreundes Merz.)

Jürgen Flimm hatte, was den Irak-Krieg angeht, Glück. Seine Partei, seine politischen Freunde, Förderer und Gönner, waren dagegen. Nicht dagegen war er, waren sie beim Kosovo-Krieg und der Selbstmandatierung der NATO und, in der Folge, bei allen anderen Kriegseinsätzen im Nahen und Mittleren Osten und in Afrika. Jürgen Flimm hat unlängst einen absurd formulierten, kreuzreaktionären Aufruf mit dem Titel AUCH WIR SIND DAS VOLK unterschrieben (gemeinsam mit dem Arbeitgeberpräsidenten Hundt und dem Nobelpreisträger Grass u.a.), in dem die Herren (eine Dame ist nicht dabei!) uns in kriegerischen Tönen wissen lassen, sie hätten „das Jammern über Deutschland satt“, in welchem weiterhin (mit dem in solchen Fällen üblichen militärisch/medizinischen Vokabular) vom „Standort Deutschland“ und von „schweren Operationen“ geredet wird, die jetzt nötig seien und von der „verantwortungslosen Furcht vor Schmerzen“ – der anderen, möchte man ergänzen, denn, soweit wir sehen, wird keiner der unter-zeichneten Standortbewohner diese Schmerzen fühlen. Sie sind die Operateure, nicht die Operierten. Es werden in dem Text vorsorglich und pauschal „Demagogen“ geschmäht, die „dem Volk nach dem Maul reden“ – wir erkennen, neben einer wahrhaft demokratischen Gesinnung (welche sich bekanntlich niemals dem „Druck der Strasse“ beugt), die Umrisse der Linkspartei, Lafontaines und Gysis. Dem seinerzeit amtierenden Kanzler Schröder (und somit seiner „Agenda 2010“) wird vollmundig Unterstützung „in einer großen Koalition der Vernunft“ zugesichert. Solche Einlassungen sind eines Theatermachers (und, nebenbei, auch eines Nobelpreisträgers) unwürdig. Ihm kommt es zu, sich – ich zitiere Paul Celan – „so differenziert als möglich für das Wahre und Menschliche“ einzusetzen.

Genug. Ich wollte Ihnen nur deutlich machen, dass solche zweifelhaften Existenzen, wie Herr Lammert und Herr Flimm sie darstellen, allenfalls im Zuschauerraum eines Schauspielhauses, das künstlerisch auf sich hält, etwas zu suchen haben, keinesfalls aber auf der Bühne. Keiner der beiden Herren ist meines Erachtens legitimiert, „dem Thema Krieg literarisch nachzuspüren“, wie Sie so gefühlvoll schreiben – im Gegenteil. Sie, und das ist politisch aufspürbar, vertreten den Krieg, sie und/oder ihre politischen Parteien haben ihn – durch wiederholte Verstöße gegen die Verfassung dieses Landes – mit herbeigeführt und führen ihn mit wachsender Intensität, ohne daß wir von seinen literarischen Nachspürern auch nur ein Wort des Protests gehört hätten. Das Auftreten dieser Herren auf dem Arbeitsplatz der Schauspieler kontaminiert, zumal in einem Schauspiel in städtischer Trägerschaft, jede aufrichtige Theaterarbeit. Insofern hoffe ich für den 11.11. nicht nur auf den Beginn des Karnevals, vielmehr inständig auf ein recht auffälliges In-Erscheinung-Treten des von Ihnen apostrophierten „kritischen Geistes“.

Einen Offenen Brief habe ich Ihnen nicht geschrieben, um Sie „medienwirksam“ zu überfahren (meine Medienwirksamkeit hält sich, wie Sie wissen, durchaus in Grenzen), sondern weil sich das, was ich Ihnen zu sagen hatte, auf eine von Ihnen und Ihrem Haus öffentlich angekündigte Veranstaltung bezieht – und der sich ergebende Sachverhalt mir ein entschieden öffentlicher zu sein schien.

Mit ungebrochen solidarischem Gruß aus der Hauptstadt des Übels

Frank-Patrick Steckel

Berlin, den 24. Oktober 2007