Sonntag 15.10.06, 10:53 Uhr
Protestkomitee gegen Studiengebühren kritisiert Polizei

Demo gegen Studiengebühren und Sozialabbau angegriffen


Die AktivistInnen der Freien Uni bzw des Protestkomitees gegen Studiengebühren sind erneut mit üblen Erfahrungen von Polizeiübergriffen von einer Demonstration aus Siegen zurückgekehrt. Sie schreiben in einer Pressemitteilung über die gestrige Demonstration in Siegen: »Die nordrhein-westfälische Polizeirepression gegen studentische Proteste hat am Samstag, den 14. September, einen neuen Höhepunkt erlebt. Ohne Vorwarnung hat die Polizei eine friedliche Spontandemonstration gegen Studiengebühren und Sozialabbau großflächig mit Reizgas (Pfefferspray) angegriffen. Es gab mehrere Verletzte, acht Demonstrationsteilnehmer wurden willkürlich gefangen genommen. Besonders auffällig war, dass die Polizei sich in ihrer rücksichtslosen Eskalationsstrategie noch nicht einmal an ihre eigenen Regeln gehalten hat.
An der spontanen Demonstration haben sich etwa 200 Menschen beteiligt, die sich nach dem offiziellen Ende der AStA-Demonstration (über 400 TeilnehmerInnen) in Bewegung setzten. Die zweite Demo konnte die ersten zehn Minuten lang von der Polizei unbehelligt weiter auf die skandalöse Bildungs- und Sozialpolitik aufmerksam machen. So hatten sich viele TeilnehmerInnen darauf eingestellt, an diesem Samstag stressfrei von ihrem Recht auf Meinungsäußerung Gebrauch machen zu können.

EXZESSIVER REIZGAS-EINSATZ OHNE VORWARNUNG
Doch der Eindruck hat getäuscht: Obwohl die Spontandemonstration nicht von der Polizei für aufgelöst oder beendet erklärt worden ist, hat die Polizei plötzlich willkürlich einen einzelnen Teilnehmer aus der Demonstration gewaltsam herausgegriffen. Als andere TeilnehmerInnen darauf stehen geblieben sind oder zum Ort des Geschehens zurück kehrten, wurden diese ohne Vorwarnung und großflächig aus kürzester Entfernung mitdemo-siegen-200.jpg Pfefferspray angegriffen. Mehrere völlig überraschte Studierende, denen die Polizei das Spray in großen Mengen direkt in die Augen und in den Mund gesprüht hat, mussten von MitdemonstrantInnen und einem Sanitäter versorgt werden. Der großflächige und völlig überraschende Reizgas-Einsatz lief so exzessiv und unkontrolliert ab, dass zwei PolizistInnen von ihren KollegInnen selbst große Mengen des Sprays abbekommen haben. Eines der beiden „Friendly-Fire“-Opfer wurde nach Polizeiangaben durch das Spray „erheblich verletzt“ und musste im Krankenhaus behandelt werden.

WEITERE WILLKÜRLICHE FESTNAHMEN
Nachdem die angegriffene Demonstration – die noch immer nicht wahrnehmbar von der Polizei für aufgelöst erklärt worden war – sich wieder sammelte und die Verletzten zurück zum Hauptbahnhof begleiten wollte, hat die Polizei die zum Teil verletzten DemonstrantInnen erneut großflächig mit Pfefferspray angegriffen und willkürlich weitere VersammlungsteilnehmerInnen festgenommen.
Zu keinem Zeitpunkt hat die Polizei vorher die DemonstrantInnen z.B. durch Lautsprecher- oder Megafondurchsagen dazu aufgefordert, den Ort des Geschehens zu verlassen. Trotzdem sind sieben weitere TeilnehmerInnen gefangen genommen worden. Dabei ist die Polizei mit erheblicher Brutalität vorgegangen: Die betroffenen VersammlungsteilnehmerInnen wurden zum Teil mit Pfefferspray außer Gefecht gesetzt, anschließend auf den Boden geworfen und mit Knüppeln attackiert. Mindestens ein Betroffener wurde knappe zwei Minuten lang auf den Boden gedrückt und dabei gewürgt. Eines der Opfer berichtet: „Selbst als mich die Polizisten schon zu Boden geworfen hatten und gerade dabei waren, mir Handschellen anzulegen, hat mir ein anderer angeblicher Ordnungshüter noch Pfefferspray ins Gesicht gesprüht. Offensichtlich ging es darum, uns absichtlich zu verletzen.“

POLIZEI NIETET 86JÄHRIGE FRAU UM
Die sichtlich überforderte Polizei machte bei der Aktion sogar noch nicht einmal vor völlig Unbeteiligten halt. So hat ein Polizist rücksichtslos eine 86 Jahre alte Frau umgerannt. Weil sich die Polizei nicht weiter um die verletzt am Boden liegende Frau gekümmert hat, wurde sie von DemonstrantInnen versorgt, bis ein Krankenwagen eingetroffen ist. Sie wurde mit dem Verdacht auf Schulterbruch ins Krankenhaus eingeliefert.
Gegen die acht willkürlich Gefangengenommenen steht jetzt nach Polizeiangaben der Vorwurf wegen „Rädelsführerschaft“, „Landfriedensbruch“, „versuchter Gefangenenbefreiung“ und „Widerstand gegen die Staatsgewalt“ im Raum.
Für BeobachterInnen der Geschehnisse wirkt das wie blanker Hohn. „Die einzig angebrachten Verfahren sind die gegen die völlig außer Rand und Band geratenen Polizeikräfte, die DemonstrationsteilnehmerInnen absichtlich verletzt haben“, so ein Beobachter der Geschehnisse. „Die Siegener Polizei hat sich noch nicht einmal die Mühe gemacht, die Demo aufzulösen und den TeilnehmerInnen die Möglichkeit zu geben, sich vom Versammlungsort zu entfernen. Das zeigt ganz deutlich, dass es um nichts anderes als die Eskalation einer eigentlich friedlichen Demo ging.“
Die auf der Demo von der Polizei Verletzten behalten sich rechtliche Schritte gegen den Einsatzleiter und die gewalttätigen BeamtInnen vor. Von einigen brutalen Polizeiaktionen liegt den Betroffenen Videomaterial vor, das jetzt mit anwaltlicher Unterstützung ausgewertet wird, um eventuelle Klagen vorzubereiten. Um die Vorfälle noch besser auswerten zu können, bitten die Betroffenen darum, dass alle Anwesenden, die Polizeigewalt beobachtet haben, Gedächtnisprotokolle erstellen und diese dem Siegener Ermittlungsausschuss zukommen lassen.«