Mittwoch 18.07.07, 20:00 Uhr
Die Unabhängige Sozialberatung zur Belastunganalyse bei der ARGE:

Die Betroffenen sind noch mehr belastet


Die Unabhängige Sozialberatung nimmt Stellung zu den Veröffentlichungen über die Belastungsanalyse, die bei den Beschäftigten der ARGE durchgeführt wurde: »Das grösste Leid haben allerdings die Hartz IV-Betroffenen zu tragen: Neben den krankmachenden Belastungen durch die Arbeitslosen-Trias „Job weg – Struktur weg – Geld weg“ sehen sie sich einem Moloch gegenüber, wo die linke Hand nicht weiss, was die rechte macht.
Sie reichen Belege ein, die dann trotzdem wiederholt eingefordert werden einschliesslich der Drohung, andernfalls alle Leistungen umgehend einzustellen. Knall-auf-Fall werden Ihnen Leistungen gekürzt mit der Begründung, sie hätten leistungsrelevante Fakten zurückgehalten. Miete und Heizkosten werden gekürzt, ohne dass eine Begründung oder Berechnung aus den Bescheiden ersichtlich ist. Einkommen aus Minijobs usw. werden auf abenteuerliche Weise falsch angerechnet oder „fantasievoll“ in die Bescheide hineingefummelt. Post versickert auf unkontrollierbaren Wegen, kommt nicht an und führt trotzdem zu existenzbedrohenden Sanktionskürzungen, angebotene Hilfstätigkeiten werden als Qualifikation „verkauft“ … . Die Liste ließe sich endlos verlängern. Unlängst hat ein Richter des SG Dortmund zum wiederholten Male die ARGE Bochum charakterisiert: „Vielmehr ist gerade nicht von stets ordnungsgemäßem Verwaltungshandeln bei der Antragsgegnerin auszugehen.“ (Az.: S 31 AS 99/07 v. 13.4.2007).
Würden ähnliche Fragebogen den Hartz IV-Betroffenen vorgelegt, sicherlich kämen ähnliche Ergebnisse heraus wie bei der Befragung der Beschäftigten. Die gesundheitlichen „Nebenwirkungen“ sind noch weitaus dramatischer: Verzweiflung, Angst, Panik, Schlaflosigkeit, Hunger, ggf. keine angemessene ärztliche Versorgung, weil viele sich die Praxisgebühr nicht leisten können. Angst ums Überleben, weil das Geld eh schon zu knapp ist, willkürlich gekürzt wird und niemand sicher sein kann, ob es morgen noch kommt.
78 Prozent der Beschäftigten fühlen sich gegen bedrohliche Situationen nicht ausreichend abgesichert. Beschäftigte in verschiedenen Bereichen, bis zur Rechtstelle hin, klagen über die „ungeheure Aggressivität“ der Betroffenen. Bei unseren Begleitungen haben wir Nervenzusammenbrüche auf beiden Seiten erlebt. Bislang blieb die erwartete Welle von tätlichen Wutausbrüchen in Bochum wie bundesweit allerdings aus. Das ist nicht Verdienst der ARGE, sondern zu danken der hohen Leidensfähigkeit der Betroffenen und ihrer Besonnenheit.
Viele Probleme hausgemacht
Viele Probleme der ARGE sind allerdings hausgemacht: Die personelle Unterbesetzung ist seit langem bekannt; etliche Beschäftigte kamen von KW-Stellen anderer Ämter, wo sie mit Menschen und Rechtsfragen dieser Art nichts zu tun hatten. Verständlich, dass sie mit Unwillen und Unkenntnis an die Arbeit gehen.
Viele Widersprüche und Klagen ließen sich vermeiden, wenn die Rechtslage und die Tatbestände von Anfang an korrekt ermittelt würden, wie es das Gesetz vorschreibt. Aber wie sagt doch die Sachbearbeitung: „Dann legen Sie doch Widerspruch ein“ – und wie sagt die Rechtsstelle: „Dann klagen Sie doch“. Die Sozialgerichte brechen zusammen unter der ungeheuren Last.
Das Gesetz schreibt auch vor, dass die Betroffenen über ihre Rechte und Pflichten aufzuklären und zu beraten sind sowie über alle Sach- und Rechtsfragen Auskunft zu erteilen ist. Keine Chance in diesem Chaos!
Statt dessen werden immer noch entgegen der Rechtslage die Kontoauszüge eingefordert und datenschutzrechtlich unzulässige Bescheinigungen von Vermietern verlangt. Es wird um nichts einbringende Quadratmetergrenzen bei trotzdem noch billigen Wohnungen gefeilscht oder Menschen aus preiswerten Wohngemeinschaften gedrängt, weil die Größe bestimmt wird, als wäre es eine Bedarfsgemeinschaft. Frische HochschulabsolventInnen werden in Berufsfindungsmassnahmen gedrängt, AbiturientInnen für die Zeit bis zum Studienbeginn ebenso – eine unendliche Arbeitsbeschaffungsmassnahme für die Bürokratie. Und echt wertschöpfend: eine Sachbearbeitungsstunde muss mit alle Drum und Dran (incl. Raum und Ausstattung) auf ca. 80 Euro veranschlagt werden.
Augen zu und durch?
Seit Beginn 2005 weisen wir immer wieder auf die unzureichende personelle Ausstattung und unzureichende Aus- und Fortbildung bei der ARGE hin. Nie war das Fürsorgerecht so kompliziert und bürokratieaufwändig wie heute.
Klar, dass die KollegInnen am Rotieren sind und der Arbeitsmenge und den hohen fachlichen Notwendigkeiten nicht entsprechen können.
Dabei ist gesetzlich vorgeschrieben, dass „die zur Ausführung von Sozialleistungen erforderlichen sozialen Dienste und Einrichtungen rechtzeitig und ausreichend zur Verfügung stehen“. (§ 17 Sozialgesetzbuch I). In der Pflicht sind die Träger der ARGE, die Arbeitsagentur und die Kommune. Offensichtlich werden sie dieser Rechtsverpflichtung genau so wenig gerecht wie der Fürsorgepflicht gegenüber ihren Untergebenen. Wir nennen das Unrecht.
Bochum – Soziale Stadt?
Dabei hat Bochum die denkbar besten Voraussetzungen, auch schwierige Zeiten gemeinsam gut zu meistern: Viele engagierte Bürger und Bürgerinnen in Parteien, Gewerkschaften, Sozial- und Wohlfahrtsverbänden, Mieterverein, Kirchen und Initiativen, engagierte Anwälte und Anwältinnen, Berater und Beraterinnen. Die Liste ließe sich erweitern. Das ist im besten Sinne „Humankapital“ für eine lebens- und liebenswerte Stadt!«