Rede von Elke Koling, IPPNW, zum Auftakt des Ostermarsches am 9. 4. 2007 in Bochum Werne
Montag 09.04.07, 18:23 Uhr

Krieg und Kinder


Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde,

eigentlich wollte ich etwas zu den Tornadoeinsätzen in Afghanistan sagen und wo sich deutsche Soldaten noch überall im Krieg befinden. Ich finde dies ist ein wichtiges Thema, aber ich glaube, dass allen Menschen, die heute zum Ostermarsch nach Werne gekommen sind dies wissen.
Deshalb habe ich mich für ein anders Thema entschieden. Dies liegt mir als Ärztin für Neurologie und Mutter besonders am Herzen.
Die virtuelle Kriegsvorbereitung.

Amerikanische Kinder und Jugendliche verbringen mehr Zeit vor dem Bildschirm als mit jeder anderen Tätigkeit außer Schlafen. Schon Zweijährige sitzen dort zwei Stunden vor dem Bildschirm. Ein Durchschnittsschüler hat dort nach Abschluß der High-School (das heißt nach 12 Schuljahren) etwa 13.000 Stunden in der Schule verbracht – und 25.000 vor dem Fernsehapperat. Der amerikanische Medizinerverband American Medical Associatin hat geschätzt, dass ein Kind nach Abschluss der Grundschlule, also mit zehn oder elf Jahren, bereits 8.000 Morde und 100.000 Gewalttaten im Fernsehen gesehen. Es wurde weiterhin geschätzt, dass Kinder, die in Haushalten mit Kabelanschluss oder Videorekorder aufwachsen, bis zum 18. Lebensjahr 32.000 Morde und 40.000 versuchte Morde gesehen haben und dass diese Zahlen für bestimmte Bevölkerungsgruppen in den Innenstädten noch weit höher liegen.
Hierzulande ist die Datenlage nicht viel besser: Der tägliche Fenrsehkonsum liegt im Vorschulalter bei 70 Minuten, im Grundschulalter (bei den Sechs- bis Neunjährigen) bei gut 1,5 Stunden und bei den 10- bis 13jährigen bei knapp zwei Stunden. Besitzt ein Kind sein eigenes Fernsehgerät, schaut es noch deutlich mehr fern. Der Anteil der Kinder mit eigenem Fernseher nimmt zu. Gewalt kommt in 78,7% aller Sendungen des deutschen Fernsehens vor, ein Wert der Anfang der 90 iger Jahre noch bei knapp 47,7% lag. In Deutschland sehen 20% der Jugendlichen jeden Tag mindestens einen Horrorfilm.
Hinzu gesellt sich in den letzten Jahren schleichend und von vielen nicht wahrgenommen eine „Industrie“, die das Fernsehen im Hinblick auf die Stärke der negativen Auswirkungen noch übertrifft: In Computer und Videospielen wird Gewalt nicht passiv konsumiert, sondern aktiv trainiert. Dies ist im Grunde ein unglaublicher Vorgang. Milliarden werden ausgegeben, um die Kinder im Töten zu perfektionieren. Je brutaler und grausamer das Spiel ist, desto höher ist seine Attraktivität bei Kindern und Jugendlichen. Pikanterweise werden diese Spiele von den Kindern und zum Teil auch deren Eltern verharmlosend als „Ballerspiele“ bezeichnet, gemeint sind aber Gewalt- und Tötungsspiele.
Bei der überwiegenden Mehrzahl der Computer und Videospiele handelt es sich um Softwear
zum Trainieren von Gewalt, zum Abgewöhnen von Tötungshemmung und zur Abstumpfung gegenüber Mitgefühl und sozialer Verantwortung. Die Spiele wurden zum Teil explizit vom Militär entwickelt. Mit dem Spiel „American`s Army“ werden die Kinder in die Details militärischer Organisationsformen und Arbeitsweisen von Dienstrangbezeichnungen bis Erstürmungsstrategien eingeführt. Dann lernen sie Schießen auf Menschen und wer das alles kann hat bei der Bewerbung in der US-Armee eine bessere Chance.
Die Folgen bleiben häufig zunächst auf die Familien beschränkt. Als Spitze des Eisberges, tauchen hier in Deutschland immer wieder Gewalt in Schulen auf, wie zuletzt in meiner Heimatstadt Emsdetten. Bei all diesen Täter war eine besondere Vorliebe für brutale Computerspiele bekannt.
In den USA hat man während oder nach dem Irakkrieg Kampfbomberpiloten befragt. Den allermeisten war nicht bewusst, dass sie sich im Krieg befanden und gerade Menschen töteten. Wahrscheinlich hatten sie eher das Gefühl, dass sie gerade ein Computerspiel spielen würden.
Als ich Kind war, hat die Friedensbewegung mit großem Aufwand Kriegsspielzeug gegen Stofftiere eingetauscht.
Das fand ich gut. Verglichen mit den heutigen Computerspielen und deren Konsequenz auf zukünftige Kriege war das Kriegsspielzeug meiner Kindheit völlig harmlos.
Was ist für uns als Friedensbewegung die Konsequenz.
Wir müssen auf jeden Fall das Problem der Kriegs- und Gewaltvorbereitung durch Fernsehen und Computerspiele als Friedensbewegung erkennen, zu unserem Thema machen und öffentlich ablehnen, das heißt auch politische Verbote einfordern. Das passiert Gott sei Dank ab und zu in meinen Fachzeitschriften und bei den Pädagogen wahrscheinlich auch, in den friedenspolitischen Medien habe ich es bisher noch gar nicht gefunden. Hier herrscht meiner Auffassung nach dringend Nachholbedarf.
Für Menschen mit Kindern, Enkelkindern, Patenkindern gilt natürlich je später ( im Lebensalter) und je kürzer die Kinder vor dem Bildschirm, egal ob Fernsehen oder Computer, sitzen, um so besser. Dies ist natürlich erheblich anstrengender und komplizierter. Kinder vor dem Computer sind von ihrem Spiel begeistert, langweilen sich nicht, sind ruhig und machen nichts dreckig.
Für alle Menschen ohne Kinder bedeutet dies, Kinder, die nicht vorm Bildschirm sitzen, sind für ihre Umwelt lauter, dreckiger und machen mehr kaputt-
Sehen wir und sie das als Chance und freuen uns über jedes Kind was mit Matscheschuhen von draußen reinkommt und denken „ Dieses Kind hat gerade nicht Krieg gespielt.“
Frohe Ostern!