Samstag 15.02.25, 13:49 Uhr

Opposition und Anpassung – der Weg der Grünen


Hallo,
ich freue mich, hier heute eingeladen zu sein, um etwas zum Parlamentarismus, dem Verrat der Grünen an ihren ursprünglichen Positionen, dem gescheiterten Weg durch die Institutionen und dazu etwas zusagen, welche Risiken bestehen, wenn wir uns in die Kommunalpolitik einmischen. Eingeladen worden bin ich, weil ich bei einer Diskussion über die Zukunft der Linken in der Zanke davor gewarnt habe, zu optimistisch an linke Möglichkeiten in diesem Bereich heranzugehen. Es gibt schließlich kaum positive Bespiele, an denen wir uns orientieren können.

Ich habe damals eine meiner Lieblingsanekdoten erzählt. Anfang der 1980er Jahre habe ich mich in einem sehr offenen Gespräch mit dem Kultursekretär der DDR-Jugendorganisation FDJ zu der Behauptung verstiegen: Ihr steckt eure Opposition in den Knast und macht sie zu noch größeren Systemhassern. Im Westen wird die Opposition ins Parlament gesteckt und angepasst.
Diese Form, Opposition auszuschalten, funktioniert erfolgreicher.
Ich konnte damals nicht ahnen, wie perfekt in den folgenden Jahren in der Grünen Partei diverse K-GrüpplerInnen zu
StaatssekretärInnen, Minister;innen oder zum Ministerpräsidenten von Baden Württemberg aufsteigen würden.
Damit ist Punkt 1, die Frage nach dem Marsch durch die Institutionen auch schon beantwortet. Technisch hat er traumhaft geklappt. Christoph Butterwegge erinnerte kürzlich auf einer attac-Veranstaltung in der KoFabrik daran, was Olaf Scholz als stellv. Juso-Vorsitzender 1983 schrieb. Zitat: „Für die Jungsozialisten war und ist der US-Imperialismus die Hauptgefahr für den Weltfrieden.“ Zitat-Ende
Damit sind wir bei Punkt 2.: Nicht nur die politische Opposition wird in Parteien und im Parlamentarismus angepasst. Anpassung und Opportunismus sind gesamt-gesellschaftliche Normalität. Das passiert mit kritischen Referendar:innen in Schulen und mit aufmüpfigen Jugendvertrer:innen in den Gewerkschaften.
Wenn ihr es sehr sensibel beobachtet, könnt ihr erkennen, wie z. B. neue Leute in euren Gruppen durch soziale Zuwendung, Lob und Belohnung dazu gebracht werden, die Gruppennormen zu übernehmen.
Anpassung passiert auch in der Politik nur zu geringen Teilen durch Druck.
Hier gibt es allerdings ein großes Instrumentarium, das die Akteure sanft zur Anpassung drängt. Hier spielen z. B. die Medien eine herausragende Rolle.
Ich habe mich selbst mehrfach dabei erwischt: Es ist einfach sehr verführerisch, das zu erklären, was die Medien wahrscheinlich bringen und nicht das, was mir am wichtigsten ist.
Vielleicht gibt es ja Interesse, einmal ausführlich darüber zu reden, wie diese subtilen Mechanismen der Anpassung funktionieren. Ich würde einen Diskussionsabend dazu gerne mit vorbereiten.
Als 3. Punkt erinnere ich an die ursprünglichen Grundpositionen der Grünen.
Die provokativste Forderung des ersten Grundsatzprogramms 1980 lautete „Raus aus der NATO“ – Auflösung der Nato – die BRD ein neutrales Land. Zentrale Forderungen im Ökologiebereich war neben der sofortigen Stilllegung aller AKWs die Abkehr von der Wachstumsideologie.
Innerparteilich haben die Frauen in den Grünen die Quotierung durchgesetzt und eine Fülle von Forderungen z. B.
zur geschlechtlichen Gleichstellung,
zur Selbstbestimmung
oder zur Neuorganisation von Care-Arbeit formuliert.
Zentrale Menschenrechtspositionen z.B. im Asylbereich waren damals für die Grünen selbstverständlich.
Ein Paket von Maßnahmen für eine basisdemokratische Struktur wurde beschlossen, das verhindern sollte, dass die Grünen so werden, wie sie es heute sind. Damals wollten siee nicht so werden wie die Altparteien.
Und genau das wurde als erstes gekippt. Schon in der zweiten Legislaturperiode gab es keine Rotation mehr. Im Grundsatzprogramm 1994 tauchte der NATO-Austritt nicht mehr auf.
1999 wurden die Grünen Regierungspartei. Nato-Sprecher Jamie Shea sagte in einem Interview, dass der NATO-Krieg gegen Jugoslawien 1999 ohne den großartigen Einsatz von Mister Fischer nicht möglich gewesen wäre.
Auch in fast allen anderen Bereichen warfen die Grünen als Regierungspartei ihre wichtigsten Grundsätze über Bord. Es gab z. B. keine Stilllegung der AKWs, nicht einmal die Streichung des § 218 setzten sie durch. Statt dessen kamen Hartz IV, unbegrenzte Leiharbeit und viele andere Grausamkeiten, die eine CDU geführte Regierung kaum hätte durchsetzen können. Der gesellschaftliche Widerstand dann natürlich mit SPD, Grünen und Gewerkschaften zusammen wäre zu groß gewesen.
Im 4. Teil will ich an eine Erfahrung erinnern, die wir in Bochum gemacht haben. Die Bochumer Grünen wandelten sich Mitte der 1990 Jahre von einer Realo-Hochburg zum linkesten Kreisverband in NRW.
Auch vorher gab es schon eine beachtliche Unterstützung von Initiativen.
Das wurde nun systematisch ausgebaut. Jedes Vorstandsmitglied war in mindestens einer Initiative aktiv. Ein erheblicher Initiativenfonds stand zur materiellen Unterstützung zur Verfügung. Busse zu den Demos nach Bonn, Büren oder Ahaus wurden finanziert.
Der Kreisverband organisierte für die Anti-AKW-Bewegung sogar einen Sonderzug von Düsseldorf nach Ahaus.
Die monatlichen Mitgliederversammlungen entschieden tatsächlich über die zentralen Dinge in Partei und Fraktion. Dies damals zu organisieren, war schwierig und gelang nicht immer. Mit den heutigen Kommunikationsmitteln wäre Basisdemokratie wahrscheinlich einfacher zu organisieren.
Die Ratsfraktion war in engem Kontakt mit den Initiativen, die in einigen Ausschüssen auch die Sitze für die Grünen einnahmen. Die Fraktion organisierte z. B. die Finanzierung eines Gutachtens des Wuppertal Instituts, um den Widerstand gegen das Autobahnprojekt DüBoDO zu unterstützen.
Es gab den Grünspecht, eine Zeitung die in 20.000-er Auflage an Haushalte verteilt wurde und schwerpunktmäßig über Initiativen berichtete.
Dies tat auch eine Webseite, die über die Bewegung in Bochum informierte.
Nach der Zustimmung der Grünen zum NATO-Krieg gegen Jugoslawien trat der komplette Vorstand in Bochum zurück und verließ fast vollständig mit vielen anderen die grüne Partei.
Das Konzept der Webseite für die Bewegung in Bochum wurde mitgenommen und bis heute gepflegt.
Die SPD hat vor 25 Jahren ihre absolute Mehrheit im Bochumer Rat verloren. Seitdem unterstützen die Grünen die SPD in ihrer Politik. Sehr wahrscheinlich ist es das schrecklichste rotgrüne Bündnis in NRW. Die rotgrüne Verachtung von Bürgerbeteiligung von Crossborder Leasing bis zum Radentscheid ist kaum zu übertreffen.

Damit komme ich zum 5. Punkt: Der Versuch eines Fazits:
Der beschlossene Bau der Atomanlage Wackersdorf wurde 1989 unter Ex-Atomminister und damals Ministerpräsident Franz-Josef Strauß verhindert.
Die „Ehe für alle“ wurde beschlossen, als die CDU die Kanzlerin stellte.
Bewegungen können also mächtig sein.
Initiativen können gleichzeitig stark davon profitieren, wenn sie von Parteien und Fraktionen z. B. mit Geld, Insiderinformationen oder Publikationsmöglichkeiten unterstützt werden.
Wir sollten – auch international – Beispiele suchen werden, von denen wir für Bochum lernen können, wie möglichst effektiv gesellschaftlicher und politischer Druck erzeugt werden kann.
Ich habe in den letzten 50 Jahren, in denen ich politisch aktiv bin so ein Treffen wie heute noch nicht erlebt. Eine Parlamentarismus-kritische Bewegung berät zusammen mit einem Netzwerk, das vor allem Einfluss auf die parlamentarischen Entscheidungen nehmen will, wie wir gemeinsam Prozesse und Aktionen organisieren, um einer menschenfreundlicheren Gesellschaft näher zu kommen.
Ich hoffe, dass genügend Motivation, Respekt und Toleranz vorhanden ist, um das erfolgreich gemeinsam zu gestalten. Gutes Gelingen!

Nachtrag: Schutz basisdemokratiser Prinzipien