Montag 25.08.25, 18:47 Uhr
Das war Rot-Grün in Bochum (22)

‚Eckpunkte‘ für Bürgerbeteiligung – eine verpasste Chance!


Menschen aus anderen Städten, die sich wie das ‚Netzwerk für bürgernahe Stadtentwicklung‘ und andere Bochumer Initiativen schon seit Jahren für echte Partizipation einsetzen, kommentieren die Situation in Bochum immer mal wieder mit dem Satz: „Euer Rat hat doch ‚Eckpunkte für Bürgerbeteiligung‘ verabschiedet, das ist doch was!“ Bochumer Initiativen sehen das etwas anders – die Frage ist, warum?

Bürgerbeteiligung – erste Schritte

Zwischen 2019 und 2022 lud das Referat für politische Gremien, Bürgerbeteiligung und Kommunikation Initiativen und Stadtaktive zu Gesprächen ein. Ziel war der Entwurf einer erweiterten Bürgerbeteiligung, wie sie in etlichen anderen Städten in NRW bereits vor Jahren eingeführt worden war, zum Beispiel in Bonn (2012), Oberhausen (2014), Plettenberg (2016), Soest (2015), Wuppertal (2016), Solingen (2017), Schwerte (2019).

Erste Strukturen einer Bürgerbeteiligung zeichneten sich bald ab. So wurde eine gemeinsame Liste zu wichtigen städtischen Vorhaben erstellt und die Einführung der Plattform Consul beschlossen, die inzwischen online ist.

Die Corona-Pandemie verzögerte weitere Fortschritte bei der Arbeit immer wieder und schließlich brach der Gesprächsfaden ganz ab.

Böse Überraschung: die Zivilgesellschaft ist draußen
Auf der Podiumsdiskussion „Bürgerbeteiligung statt Politikverdrossenheit“ am 3.11.2022 in Höntrop erklärte der Leiter des Referats für politische Gremien, Bürgerbeteiligung und Kommunikation, Thorsten Lumma, dann öffentlich, die Verwaltung habe sich – entgegen anderslautender Verabredungen – aus dem Prozess zurückgezogen, um zunächst intern zu beraten, welche Vorstellungen über Bürgerbeteiligung man habe. Sobald dieser interne Beratungsprozess abgeschlossen sei, werde man wieder auf die Bürgerinnen und Bürger zugehen.

Interessant dazu die Reaktion von Toralf Stark, Politikwissenschaftler von der Uni Essen/Duisburg, der zu Bürgerbeteiligung zwischen den Wahlen forscht und mit auf dem Podium saß. Sein Kommentar: „Das ist der absolut falsche Weg! Warum machen Sie keinen Bürgerkongress und klären: Welche Beteiligung möchten die Bochumer Bürger? Dass es in Bochum zu Bürgerbeteiligung bereite Bürger gibt, ist nicht selbstverständlich. Warum nutzen Sie das nicht? Beteiligung hilft gegen Politikverdrossenheit!“

Die rein intern geführte Diskussion nahm über ein Jahr in Anspruch, in dem kein weiterer Dialog stattfand.

Die darauf angesprochenen Koalitionsparteien hatten sich in ihren Antworten auf die Wahlprüfsteine des ‚Netzwerks‘ 2020 und im Koalitionsvertrag zwar klar für einen gemeinsamen Debattenprozess zur Erarbeitung von Leitlinien für Bürgerbeteiligung ausgesprochen, aber jetzt hielten sie das offenbar nicht mehr für nötig – sie wollten erstmal abwarten, was die Verwaltung vorlegt.

Ratsbeschluss statt Austausch mit der Zivilgesellschaft

Thorsten Lummas Zusicherung, man werde ‚auf die Bürgerinnen und Bürger zugehen‘, wurde nicht eingelöst. Stattdessen erfuhren die Initiativen zufällig kurz vor der entscheidenden Ratssitzung, dass die Verwaltung ein Eckpunktepapier erarbeitet hatte, das sie ohne weitere Konsultation mit der Öffentlichkeit und den Bürgerinnen und Bürgern dieser Stadt kurzfristig vom Rat verabschieden lassen wollte.

Selbst Bezirksvertretungen und Fachausschüsse waren zuvor nicht angehört worden – als ob diese Gremien nichts mit Bürgerbeteiligung zu tun hätten. Der Hauptausschuss mochte keinen Beschluss fassen und griff zum bewährten Mittel, ‚Beratungsbedarf‘ anzumelden, um dem Rat die Entscheidung zuzuschieben.

Unabhängig davon, dass die Stadtaktiven ein solches Vorgehen kontraproduktiv fanden, weil eine für alle Seiten konstruktive Bürgerbeteiligung nur gemeinsam entwickelt werden kann – vielleicht sind die ‚Eckpunkte‘ ja richtig gut geworden? Das sind sie leider nicht.

Hauptsache unverbindlich..

Sie strotzen auf neun Seiten vor Allgemeinplätzen und Unverbindlichkeiten, die sich in der verräterischen Häufung der Wörter ‚sollte‘ ‚möglichst‘, ‚bei Bedarf‘, ‚so … wie möglich‘ niederschlägt – nichts wird ernsthaft festgeschrieben.

Elf Bochumer Initiativen taten sich daraufhin zusammen, schrieben einen Brief an die Fraktionen und brachten eine Eingabe im Rat ein.

Hier der Wortlaut:

»Der Rat gibt der Verwaltung auf,

a) umgehend einen Prozess zur Erarbeitung von „Leitlinien für Bürger*innenbeteiligung in Bochum“ einzuleiten,

der für die Bochumer Zivilgesellschaft eine „Bürgerkonferenz“ oder ein vergleichbares Format sowie eine Online-Beteiligung umfasst,

und in dem eine Arbeitsgruppe gebildet wird, die sich aus durch Losverfahren ausgewählten Einwohner*innen, Vertreter*innen aus den Ratsfraktionen sowie Mitarbeitenden der Verwaltung paritätisch zusammensetzt,

in der unter Moderation und fachlicher Unterstützung eines als Fachinstanz für Bürger*innenbeteiligung anerkannten Moderationsbüros „Leitlinien für Bürger*innenbeteiligung in Bochum“ erarbeitet werden,

b) die erarbeiteten Leitlinien mit Beschlussvorschlag für eine Änderungssatzung zur Hauptsatzung der Stadt Bochum den Bezirksvertretungen zur Anhörung, den Ausschüssen zur Vorberatung und dem Rat der Stadt Bochum zur Entscheidung vorzulegen.«

Grundlage der Eingabe war die Überzeugung, wenn in der Stadtgesellschaft Akzeptanz geschaffen werden soll, muss diese an der Erarbeitung der Leitlinien auch beteiligt werden.

Die von der Verwaltung erstellten ‚Eckpunkte‘ wären ein Diskussionsbeitrag, aber es braucht genauso die Positionen der Politik und Zivilgesellschaft.

Die Eingabe der Initiativen wurde erwartungsgemäß von Rot-Grün abgelehnt, die Chance auf eine gemeinsame Debatte mit einem guten konsensualen Ergebnis wurde vertan.

Die Serie „Das war Rot-Grün in Bochum“ wird hier dokumentiert