Am Sonntag, den 2. Februar 2025 versammelten sich mehr als 100 Menschen im ehemaligen sogenannten Ostarbeiterlager der Zeche Constantin der Große an der Bergener Straße. um der 22 getöteten Zwangsarbeiter zu gedenken, die genau 80 Jahre zuvor in der Nacht des 2. Februar 1945 bei einem Luftangriff ums Leben kamen. Unter ihnen befanden sich 21 italienische Militärgefangene sowie der sowjetische Zwangsarbeiter Wasyl Hejderin, der gerade einmal 20 Jahre alt wurde.
Die Initiative Gedenkort Bochum-Bergen berichtet: »Zur Gedenkveranstaltung eingeladen hatte die Initiative Gedenkort Bochum-Bergen, um mit ihrer Veranstaltung die Bedeutung einer lebendigen europäischen Erinnerungskultur konkret werden zu lassen. Aus unterschiedlichen Blickwinkeln erinnerten die Beteiligten in ihren Beiträgen und Reden an die italienischen Militärinternierten (IMIs) und ihre bisher kaum erforschten Schicksale. Darunter der stellvertretende italienische Konsul aus Dortmund Dr. Giuseppe Perconte Licatese, Dr. Alfredo Vernazzani, Doktor der Philosophie an der Ruhr-Universität Bochum und Mitglied der ANPI (Nationale Vereinigung der Partisanen Italiens), Mitglieder der italienischen Gemeinde Bergen-Hiltrop, der deutsch-italienischen Gesellschaft Bochum „Cicuit“, Pater John Joseph der italienischen Mission Gevelsberg, der Bezirksbürgermeister Henry Donner sowie Alfons Zimmer, Susanne Wycisk und Volker Gerwers für die Initiative Gedenkort Bochum-Bergen.
Die Verlesung der Namen der Opfer und ihrer Geburtsorte durch die Mitglieder der Italienischen Mission und des Vereins „Cicuit“ sowie das Anbringen einer roten Nelke für jeden Getöteten an der Tür der ehemaligen Baracke der italienischen Militärinternierten durch Martin Olms und Myra Kaiser von der Initiative Gedenkort Bochum-Bergen setzten dabei ein starkes Zeichen gegen das Vergessen und für neue interkulturell geprägte Formen des Erinnerns.
80 Jahre nach Errichtung des Lagers wird im ehemaligen Lager Bergen ab Sommer ein neuer, authentischer und seit dem Krieg bewohnter Gedenkort der Zwangsarbeit im Ruhrbergbau eröffnet. Auf kleiner Fläche in der ehemaligen Kommandantur, direkt am ehemaligen Lagereingang konzipiert das Stadtarchiv (mit der Historikerin Susanne Abeck) derzeit eine Ausstellung. Die übrigen teils noch bewohnten acht Gebäudekomplexen, darunter auch das ab den 1970er als Vereinsraum genutzte Lagergebäude, werden von der Stadt Bochum für die Bewohner*innen saniert,worauf diese seit Jahren sehnlichst warten.
In ihrer Rede beleuchtete Susanne Wycisk die Situation der italienischen Militärinternierten (IMIs) im Ostarbeiterlager Bergen ab 1943. Nach der deutschen Niederlage in Stalingrad suchte die Ruhrindustrie nach neuen Zwangsarbeitern, da russische Kriegsgefangene nicht mehr zur Verfügung standen. Stattdessen wurden ab Oktober 1943 Tausende italienische Soldaten, die sich nach Italiens Waffenstillstand nicht der Wehrmacht anschließen wollten, als Arbeitskräfte zwangsverpflichtet. Auf der Zeche Constantin in Bochum-Riemke waren bis Juli 1944 rund 744 italienische Militärinternierte eingesetzt. Sie lebten unter prekären Bedingungen in dem sogenannten Ostarbeiterlager Bergen, in Baracken. Über Zeitzeugen wie Nicolaj Storoschenko (*26.12.1928) Ukraine), Michael Petruk (*15.8.1925, Ukraine) ist bekannt, dass sie von 1942 bis zur Befreiung im April 1945 auf Constantin unter schwersten Bedingungen arbeiteten. Sie wurden ihrer Jugend beraubt, aber überlebten. Sie sind den Italienern im Lager Bergen spätestens 1944, nach Schließung des Lagers Kaiseraue, hier vor Ort begegnet.
Erst die Sichtung von Sterbeurkunden des Standesamts Gerthe brachte ans Licht, dass am 2. Februar 1945 um 23 Uhr 22 meist junge Männer, katholischen Glaubens, aus verschiedenen Regionen Italiens bei einem Luftangriff ums Leben kamen. Stefan Golinski, ein polnischer Zwangsarbeiter und Zeitzeuge erinnerte sich in einem Interview aus dem Jahr 2002 an die Tragödie: „Kurz vor dem Kriegsende ist da eine Luftmine reingekommen. Die 45 Italiener waren sofort weg. Da sind doch die Baracken… die zwei Baracken. Die haben an die Seite der Baracke die Leute gepackt und hingelegt. Acht Tage haben sie draußen gelegen, mit Papier zugedeckt – ein Gestank! Später kamen sie mit einem Auto, russische Gefangene oder Ostarbeiter haben alle aufgeladen und zum Bochumer Friedhof gebracht.“ Begraben wurden die Opfer zunächst auf dem Hauptfriedhof am Freigrafendamm. In den 1950er Jahren erfolgte die Umbettung der meisten von ihnen auf den italienischen Kriegsfriedhof in Frankfurt-Westhausen. Wie der Grabstein auf dem damaligen Italienerfriedhof in Bochum zeigt, waren die 21 am 2. Februar 1945 durch alliierten Luftangriff getöteten Italiener dem Arbeitskommando 722 zugeordnet.
Dank der unterstützenden Recherchen von Giancarlo De Simoi von der Nationalen Vereinigung der Partisanen Italiens(ANPI) konnten einige Hintergründe zu den getöteten Soldaten rekonstruiert werden. Viele von ihnen gehörten Einheiten an, die in Jugoslawien stationiert waren, darunter die Alpini-Division, deren Mitglieder teils noch bis Oktober 1943 Widerstand leisteten, sowie das 56. Infanterie-Regiment der Division Marche, das in Dubrovnik gegen SS-Einheiten kämpfte. Alfredo Vernazzani schilderte in seiner Rede die unmenschliche Behandlung der italienischen Militärinternierten (IMIs) durch die Wehrmacht. Ihnen wurde der Schutz der Genfer Konvention verweigert, sie litten unter Hunger, Kälte und Demütigungen, doch Hunderttausende entschieden sich gegen eine Kollaboration mit dem NS-Regime und Mussolinis Italienischer Sozialrepublik. Vernazzani hebt diese Haltung als besondere Form des Widerstandes hervor.
Er betont, dass die Geschichte der IMIs lange in Vergessenheit geraten sei und erst seit Kurzem intensiver erforscht werde. Viele Überlebende schwiegen über ihr Leiden, während andere namenlos in Zwangsarbeitslagern starben. Die Erinnerung an ihren Widerstand wachzuhalten sei, so Vernazzani, gerade in Zeiten eines erstarkenden Rechtsextremismus in Europa als Eckpfeiler einer demokratischen Gesellschaft unverzichtbar. Abschließend dankt er den Initiatoren der Gedenkveranstaltung (Alfons Zimmer, Susanne Wycisk, Volker Gerwers) für ihre Arbeit zur Wiederentdeckung der 22 vergessenen Opfer.
Diese Gedenkveranstaltung war in dieser Form neu und setzte Impulse für ein erinnerndes Handeln, das einen Raum für lebendige, verbindende und übergreifende Geschichtserinnerung für die Zukunft ermöglichen kann.
Zum Abschluss sprach Pater John Joseph von der italienischen Mission Gevelsberg das „Padre nostro“ in italienischer Sprache. Sein Team lud alle ein, in den warmen Gemeindesaal im Hagenacker zu Kaffee und Begegnung ein. Bei kaltem, schönem Winterwetter nahmen viele die Gastfreundschaft der Italiener gerne an.«









