Donnerstag 05.12.24, 14:00 Uhr

Stigma 2.0 – Asoziale und Berufsverbrecher 


In der Wattenscheider Stadtbücherei (Alter Markt 1, 44866 Bochum) findet am 13. Dezember um 17:00 eine Lesung mit Nicole Kaczmarek zum o.g. Thema statt:

»Das sind doch die, die sich bewusst nicht in eine Gesellschaft einordnen wollen. Die, sich dauerhaft ihrer Arbeitspflicht entziehen und somit der Allgemeinheit auf der Tasche liegen, ohne eine Gegenleistung. Solche, die das im Blut haben immer wieder Straftaten zu begehen.

Über diese Menschen wird in Deutschland bis heute nicht öffentlich als Opfer gesprochen.

Aus Angst vor weiteren Stigmatisierungen schweigen die Betroffenen Angehörigen weiter. Auch innerhalb unserer Familien sprechen wir nicht über unsere Familienmitglieder. Das ist „geheim“.

Erst am 13.02.2020 erkannte der Deutsche Bundestag die Asozialen und Berufsverbrecher offiziell als Opfergruppe im Nationalsozialismus an.

Seit Jahrhunderten kursieren diese Begriffe und ihre Zuschreibungen im alltäglichen Sprachgebrauch.

Asoziale und Berufsverbrecher seien an ihrem Unglück, ihrer Verfolgung, besonders im Nationalsozialismus und danach selbst schuld. Eine Erfindung der Nazis sind diese Begriffe nicht aber sie nutzten diese Worte schamlos für ihre Zwecke aus, um diese Personen ganz und gar zu vernichten, vor allem durch Zwangsarbeit.

Die Geschichte meiner Urgroßeltern Martin und Berta Remus, mit ihren zehn Kindern, steht hier exemplarisch für zigtausende anonyme Schicksale. Sie soll wachrütteln, was mit Asozialen und Berufsverbrechern, damals wirklich geschah. Von Aufenthalten in Arbeitshäusern, Haftanstalten, ihrer Zwangssterilisation…, bis 1940 Martin und Berta endgültig in Konzentrationslagern deportiert wurden. Die komplette Familie wurde mehrmals im Laufe der Jahre auseinandergerissen. Ihre Kinder saßen in Erziehungsanstalten, auf Bauernhöfen als billige Arbeitskräfte, waren Kanonenfutter…, ihr Schicksal ist in vielen Akten gut überliefert. Das ist nicht üblich.

Ganz persönlich möchte ich darüber berichten, welche Spuren Martin, Berta und ihre Kinder, darunter meine Oma Ruth und nie heilenden Wunden in Wattenscheid hinterließen. Genauso über die fortlaufende Stigmatisierung nach 1945, unter der mein Vater litt und welche Folgen das für meine Familie bis zu mir heute noch bedeutet.

Am 14.12.21 verlegte Gunter Demnig fünf Stolpersteine in der Hüllerstrasse 43. Für Berta, Martin wie ihre drei letzten Kinder, Herbert, Hermann und Günter.

Am 21.22.Januar2023 gründete sich der Verband für das Erinnern an die verleugneten Opfer im Nationalsozialismus (vevon). Ich bin ein Gründungsmitglied. Denn seit dem 13.02.2020 änderte sich eigentlich für uns Angehörige nichts. Das war die erste Zusammenkunft dieser Art in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland.

Wir wollen und können nicht mehr über unsere Angehörigen schweigen….«