Samstag 16.11.24, 09:58 Uhr
Hallenfreibad Höntrop

Ein Partizipationsbeispiel für das Lehrbuch der Politik 3


von Irene Maucher

Der Verein „Freundinnen und Freunde des Hallenfreibades Höntrop“ hat 11200 Unterschriften für den Erhalt „des Sprungturms – mit Wasser drunter“ gesammelt. Der Rat der Stadt Bochum hat – mit Ausnahme der UWG / Freien Wähler und weiterer Oppositioneller – mit den Stimmen von CDU, SPD und GRÜNEN für eine Zweckentfremdung gestimmt und damit die Hoffnung auf den Erhalt des historischen Sprungturms endgültig zerstört.

Zerstört wurde damit nicht nur ein mögliches Freizeitvergnügen für nachwachsende Generationen, die sich bereits vorgestellt haben, wie es wäre, in unmittelbarer Nachbarschaft ein Park-Hallenbad mit einer solchen Attraktion zu haben, wo sie sich nach der Schule bei schönem Wetter treffen und vergnügen können. Sie hat auch einen Eingriff in ein funktionierendes soziales Gefüge eines lebendigen Vereins und eines interessierten sozialen Umfelds von Bürgern vorgenommen.

Die Tragweite ihrer Entscheidung als Eingriff und Störung eines sozialen Gefüges, – also jenem Kit, der jede funktionierende Kommune zusammenhält, war den Stadtverordneten bei ihrer Entscheidung vermutlich nicht bewusst. Dagegen wirkt das Argument eines Stadtverordneten (CDU) eher „putzig“. Er verweist darauf, dass Investitionen nicht nur Einmalkosten sind, sondern Betriebskosten für Wartung und Pflege nach sich ziehen. Wenn er verstanden hätte, dass das Angebot des Vereins, sich um den Sprungturm zu kümmern viel mehr als eine betriebswirtschaftliche Kostenrechnung umfassen kann, – nämlich Ausdruck eines funktionierenden sozialen Gebildes im Stadtteil ist, das im Kern weit darüber hinausgeht, dann hätte er sich vermutlich anders entschieden. Eine „sozial Kostenrechnung“ wie sie von der Bertelsmanns Stiftung entwickelt wurde, basiert genau darauf, dass „Kosten“ nicht nur auf die klassischen betriebswirtschaftlichen Kostenpositionen reduziert werden, sondern einbeziehen, dass in funktionierenden sozialen Gebilden neben diesen „faktischen Kosten“ die „sozialen Gemeinkosten“ erstere quasi nebenbei erledigen, aber mindestens verringern. Das, was Bürgerschaftliches Engagement und im Ehrenamt erledigt wird, bekommt die Kommune gratis. Einen lebens- und liebenswerten Stadtteil, in dem das Miteinander stimmt. Beispiel: Ein schöner Sommernachmittag bei gespendetem Cafe und Kuchen und Trommeln für den Sprungturm. Bei so einem Event kommen die Anwohner ins Gespräch.
Siehe: https://schwimmeninhoentrop.de/2024/09/15/sambarhythmen-und-proteste-in-wattenscheid/

Die Sozialwissenschaften sind sich darüber bewusst, wie schwierig es ist das Soziale – also den Kit für Gesellschaften und Gemeinschaften zu befördern – insbesondere in Gesellschaften mit zunehmender Komplexität. Das im benachbarten Stadtgarten durchgeführte EFRE-Projekt, in dem die Bürger über die Auswahl von Papierkörben und Bänke partizipativ mitentscheiden durften, ist ein Beispiel und ein eher hilfloser Versuch sozialen Zusammenhalt zu konstruieren. Vandalismus und Verschmutzung haben längst wieder Einzug gehalten.

Umso größer der Kontrast und das Unverständnis über die städtische Fehlentscheidung ein partizipatives Engagement zu zerstören, das einerseits immerhin 11200 Unterschriften hinter sich versammeln konnte und damit in die Lehrbücher das Partizipationsforschung eingehen wird. Andererseits hätte es ganz nebenbei vermutlich dauerhaft befördert, was im EFRE-Projekt beabsichtigt war, sozialer Zusammenhalt im Stadtteil.

Was ist also aus dieser Fehlentscheidung für CDU, SPD und GRÜNE zu lernen. Funktional wäre für die Parteien zu lernen, dass so keine Wählerstimmen gewonnen werden können – was dem Schwimmbadverein vermutlich egal ist. Was die Stadt interessieren sollte, ist vielmehr, dass der Verein weiter besteht. Darauf sollte die Stadträte ihr Augenmerk richten und dafür braucht es ein Angebot der Stadt, das die Zukunft im Blick hat. Die Stadträte sollten, so mein politisches Verständnis, auf den Verein zugehen, den Dialog suchen und dem Verein ein Angebot unterbreiten. Das könnte die Mitgestaltung des geplanten Hallenschwimmbades sein, oder die Entwicklung eines ähnlich attraktiven Freizeitangebots, das zwischen Stadt und Verein verhandelt werden kann. Noch sind die Kommunikationsstrukturen im Verein vorhanden. Für den 25.11. ist eine Mitgliederversammlung des Vereins geplant.

Es bleibt jedenfalls zu hoffen, dass die Geschichte noch eine positive Wendung nimmt und dass es gelingt, die mit der Zerstörung des Sprungturms verursachte Störung des Sozialen zu heilen.


3 Gedanken zu “Ein Partizipationsbeispiel für das Lehrbuch der Politik

  • H.K.

    Sehr geehrte Frau Maucher,

    all das was ich in dieser Stadt von Verwaltung und Rat erlebt habe sind Entscheidungen für die Wirtschaft und die Interessen weniger Betuchter und gegen die Menschen und das „Soziale“. Dabei wird mit Geld gerechnet, die die Menschen dieser Stadt in die öffentlichen Kassen einzahlen. Es geht um den Profit weniger. Entschieden wird von einer abgehobenen Kaste von Politiker*Innen, die an ihren eigenen Profit denken. Da ist es mittlerweile egal, welche Partei man wählt. Auch die Partei „Die Linke“ würde so entscheiden. Von den populistischen Rechtsextremen wie der AfD und Wertunion ist nur noch Schlimmeres zu erwarten.
    Ich habe keine Antworten, auf die sich darau entwickelnden Fragen. Am ehesten kommt mir in den Sinn, man/frau/* macht stadtteilorganisierte Vereine und Initiativen auf, die sich um ihren Lebensort selber kümmern und lernen und lehren soziale und ökologische Verantwortung zu übernehmen. Und, wenn es Bedarf hat, der offiziellen (Stadt- und Staats-)politik in ihre übergriffige Politik zu spucken.

    mit freundlichen Grüßen

    H.K.

    • Irene Maucher

      Vielen Dank für Ihren Beitrag. Sie sprechen einen wichtigen Punkt an – ein notwendiger „Träger des Sozialen“ sind Vereine und Initiativen bzw. die Zivilgesellschaft. Ich glaube, ohne dieses Engagement werden Städte vollständig verwahrlosen. Diese Tendenzen gibt es bereits zu genüge.
      Den von Ihnen formulierten Gegensatz zwischen Stadt und Vereinen/Initiativen sehe ich nicht so scharf.
      Eine Strategie könnte vielmehr sein, dass die Kommune Vereine und Initiativen, die sich um Angelegenheiten im kommunalen Raum kümmern als Partner betrachten. Warum hat die Stadt im obigen Fall beispielsweise nicht die kommunale Förderberatung der NRW.Bank einbezogen (…) und ein innovatives Finanzierungsmodell zusammen mit dem Verein „Freundinnen und Freunde des Hallenfreibades Höntrop“ entwickelt? Warum wurde das Vorhaben und der Verein nicht Teil eines ERFE-Projektes oder eines anderen EU-Subventionsprogramms?
      … und Danke für die Kommunikationsstandards von Bewegung in Bochum – diese würde ich in jedem öffentlichen Raum begrüßen.

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